Karstadt nach dem Sjöstedt-Rückzug "Viel schlimmer als man dachte"

Stand: 08.07.2014 15:43 Uhr

Nach wenigen Monaten wirft Karstadt-Chefin Sjöstedt die Brocken hin. Wie schlimm steht es um den Konzern? Der Ökonom Gerd Hessert sieht kaum noch Hoffnung. Ohne radikale Kursänderungen und kräftige Finanzspritzen des Investors Nicolas Berggruen drohe der Konkurs.

tagesschau.de: Eva-Lotte Sjöstedt wirft nach nur wenigen Monaten hin. Welches Signal geht von diesem Schritt aus, wie schlimm steht es um Karstadt?

Gerd Hessert: Das Signal ist verheerend. Sjöstedt hat die Reißleine gezogen. Für die 17.000 Mitarbeiter ist das nach vielen misslungenen Umstrukturierungsprozessen der vergangenen vier Jahre eine beklemmende und lähmende Situation. Es fehlt das Vertrauen in die Zukunft des Unternehmens. In der Außenwirkung für Lieferanten und Kunden ist das ebenfalls ein katastrophales Zeichen. Der Schritt zeigt: Es steht um Karstadt viel schlimmer als man dachte.  

tagesschau.de: Was sind die Hintergründe für diesen plötzlichen Abgang?

Hessert: Sjöstedt sieht, dass das Thema Warenhaus wesentlich komplexer ist als zunächst angenommen. Das Warenhaus in heutigen Zeiten für Kunden attraktiv zu machen, ist ungeheuer schwer. Ich vergleiche so einen Konzern gern mit einem großen Tanker. Das ist kein Sportboot, bei dem Kursänderungen leicht zu machen sind. Sie müssen große finanzielle und strategische Mittel einsetzen, um so einen Konzern in Bewegung zu bringen.

Zur Person
Gerd Hessert lehrt Handelsbilanzen an der Universität Leipzig und war lange als Manager bei Karstadt tätig. Er arbeitet außerdem als Unternehmensberater.

Diese Mittel ist Nicolas Berggruen offenbar nicht bereit einzusetzen. Der Finanzmittelfonds des Konzerns ist nach allem, was man weiß, nicht mehr gut gefüllt. Wenn das nächste Weihnachtsgeschäft nicht gut läuft, droht Karstadt die Insolvenz. Sjöstedt hat erkannt, dass sie den Hebel nicht mehr umlegen kann - und wollte eine mögliche Insolvenz nicht mit ihrem Namen verbunden sehen.

tagesschau.de: Welche Verantwortung trägt der Karstadt-Investor Berggruen? Hat er überhaupt investiert?

Hessert: Nach dem, was wir wissen, hat er nicht investiert. Das ist auch ein Fehler der damaligen Verträge. Man hätte Berggruen zu Investitionen verpflichten müssen. Er hat im Wesentlichen den Cash-Flow des Unternehmens genutzt und nichts in den Konzern hinein gegeben.

tagesschau.de: Was will Berggruen mit Karstadt, warum tut er nicht mehr für die Modernisierung und Umstrukturierung?

Hessert: Man investiert nur Geld, wenn man Vertrauen in die Sanierungsfähigkeit eines Unternehmens hat. Dieses Vertrauen ist ihm offenbar abhanden gekommen. Ein Unternehmen, das über 130 Jahre alt ist, ist schwer zu modernisieren. Die Gewerkschaften haben große Rechte. Es gibt langjährige Verträge mit Mitarbeitern und Vermietern. Offenbar hat Berggruen diese Situation am Anfang falsch eingeschätzt.

tagesschau.de: Es gab ja einige Umstrukturierungen. Die Sport- und Premiumketten wurden verkauft. Was bleibt noch übrig von dem Konzern?

Hessert: Es war aus meiner Sicht absolut richtig, die Sportkette zu separieren. Hier lässt sich ein ganz anderes, international ausgerichtetes Konzept aufbauen. Die Frage ist ja, wem fließen die 75,1 Prozent Verkaufserlös zu? Profitiert tatsächlich Karstadt davon? Auch den Ausbau von Premium-Häusern halte ich für richtig. Diesen Schritt müsste man noch mit weiteren Karstadt-Häusern gehen. Aber dafür fehlen mittlerweile Zeit und Geld.

J. Marksteiner, WDR, 08.07.2014 16:12 Uhr

tagesschau.de: Sie kennen Karstadt, haben dort im Management gearbeitet. Wie sehen Sie die Zukunft des Konzerns?

Hessert: Karstadt muss sich von vielen Häusern trennen. Es gibt eine viel zu große Dichte von Warenhäusern. Es ist nicht rentabel, in einer Stadt mit 400.000 Einwohnern drei oder vier Warenhäuser zu haben. Beispiel Nürnberg: Dort gab es bis vor kurzem zwei Galeria Kaufhaus-Filialen und ein großes Karstadt-Haus. Ein Haus musste schließen. Und es ist nicht unwahrscheinlich, dass ein weiteres Warenhaus dort dicht machen muss. In den noch kleineren Städten wird auf Dauer wahrscheinlich kaum ein Warenhaus überleben.

tagesschau.de: Das klingt nach Verschlankung des Konzerns und Entlassungen. Ist das angesichts der Verträge überhaupt durchführbar?

Hessert: Es ist rechtlich und finanziell äußert schwierig. Die Schließung eines Hauses kostet angesichts der geltenden Mitarbeiter- und Mietverträge zwischen fünf und zehn Millionen Euro. Außerdem drohen Streiks und Proteste. Galeria Kaufhof hat es trotz ebenfalls erheblicher Umsatzrückgänge durch ein rigides Kostenmanagement geschafft, seit vielen Jahren nachhaltig positive Ergebnisse zu erzielen. Eine konsequente Zukunftsausrichtung fehlt aber auch hier.

tagesschau.de: Welche Zukunft hat denn das Warenhaus angesichts von Internet-Handel und Billigketten?

Hessert: Vor hundert Jahren wäre zum Beispiel ein neuer Fernseher feierlich im Warenhaus präsentiert worden. Das waren Erlebnis- und Versammlungsorte in einer Stadt. So eine Erlebniskultur können Sie heute nur in den absoluten Premium-Häusern inszenieren. In den anderen Standorten muss man andere Schwerpunkte setzen.

Hier ist es wichtig, die lokalen Bezüge wieder zu stärken. Und die Warenhäuser müssen verstärkt auf E-Commerce setzen. Die Impulse sind viel zu gering. Bei Galeria Kaufhof macht E-Commerce gerade mal zwei Prozent des Gesamtgeschäfts aus. In Großbritannien machen vergleichbare Häuser 15 bis 20 Prozent ihres Geschäfts im Internethandel.  Die Warenhäuser müssen sich den Veränderungen des Handelsgeschäfts endlich anpassen.

tagesschau.de: Kann Karstadt das Ruder denn noch herumreißen?

Hessert: Ich bin sehr skeptisch. So ein Strukturwandel braucht seine Zeit. Man verliert durch die Neuorientierung erst einmal Kunden und muss durch eine Durststrecke. Es sieht nicht so aus, als hätte Karstadt dazu noch genügend finanzielles Polster. Die Wahrscheinlichkeit einer Insolvenz ist sehr groß. Sie liegt aus meiner Sicht bei über 70 Prozent.

Das Interview führte Simone von Stosch, tagesschau.de