Arbeitslosenzahlen Was die offizielle Statistik verbirgt
Millionen Menschen in Deutschland sind arbeitslos. Die offizielle Zahl veröffentlicht die Bundesagentur für Arbeit jeden Monat. Doch nicht jeder, der einen Job sucht, taucht in der Statistik auf. Die wichtigsten Gründe dafür im Überblick.
Ist die Arbeitslosenstatistik geschönt?
Ja und Nein. Denn wer als arbeitslos gilt, ist eine Frage der Definition. Die offiziellen Kriterien sind in Deutschland per Gesetz festgelegt. Jede Änderung wirkt sich auf die Statistik aus. Immer wieder formulierte die Politik die Kriterien so um, dass die Arbeitslosenzahlen offiziell sanken.
Nur in wenigen Fällen führten Gesetzesänderungen dazu, dass die Arbeitslosenzahlen in der amtlichen Statistik stiegen. Ein bekanntes Beispiel dafür ist die Hartz-IV-Reform, weil ab 2005 die erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger in die Statistik einbezogen wurden. Laut Bundesagentur für Arbeit (BA) erhöhte dieser Hartz-IV-Effekt die Arbeitslosenzahl damals um etwa 380.000.
Wer gilt als arbeitslos?
Wer in Deutschland nach dem amtlichen Verständnis arbeitslos ist, ergibt sich aus dem SGB III. Im Prinzip ist diese gesetzliche Definition weit gefasst: Sie umfasst alle Erwachsenen, die keine Arbeit haben oder weniger als 15 Stunden pro Woche arbeiten, eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung von mindestens 15 Stunden pro Woche suchen und für einen Job durch Vermittlung der Arbeitsagenturen sofort verfügbar sind. Zudem müssen sich die Betroffenen bei einer Agentur für Arbeit persönlich arbeitssuchend gemeldet haben. Detailvorschriften führen aber dazu, dass Millionen Menschen die Kriterien in der Praxis nicht erfüllen und in der Arbeitslosenstatistik nicht auftauchen. Generell nicht als Arbeitslose angesehen werden Schüler, Studenten und Rentner, auch wenn sie im erwerbsfähigen Alter sind. Generell können nur Personen als arbeitslos gelten, die mindestens 15 Jahre alt sind und noch nicht die gesetzliche Regelaltersgrenze überschritten haben.
Wer fehlt in der Arbeitslosenstatistik?
Wer sich nicht zur Arbeitssuche meldet, taucht in der Statistik nicht auf. Gleiches gilt für alle, die nicht mindestens 15 Stunden pro Woche arbeiten könnten oder wollen. Auch wer krankgeschrieben ist, fällt in dieser Zeit aus der Statistik. In der Arbeitslosenstatistik fehlen aber vor allem jene, die durch Instrumente der Arbeitsmarktpolitik gefördert werden. Das betrifft die Fort- und Weiterbildung genauso wie Trainings- und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Wer einen Ein-Euro-Job hat oder einen Gründungszuschuss erhält, ist damit offiziell nicht arbeitslos.
In der Statistik fehlen zudem Personen ab einem Alter von 58 Jahren, die mindestens seit zwölf Monaten Arbeitslosengeld II beziehen und in dieser Zeit keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung angeboten bekommen haben. Dieser Sonderregel wurde zwar mit Einführung des Bürgergelds im Januar 2023 gestrichen. Wer bis Ende 2022 aufgrund dieser Regelung nicht als arbeitslos galt, wird aber aufgrund von Übergangsregelungen auch nicht neu als arbeitslos in der Statistik geführt.
Zusätzlich streicht die Arbeitsagentur alle aus der Statistik, die eine Vermittlung erschweren, weil sie ihre Pflichten bei der Jobsuche nicht erfüllen - zum Beispiel, weil sie nicht oder nicht zeitnah dazu bereit sind, an Maßnahmen der Arbeitsagenturen teilzunehmen, oder weil sie sich weigern, eine "zumutbare Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des für sie oder ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarktes" anzunehmen.
Wie viele Arbeitslose gibt es wirklich?
Wie viele Jobs in Deutschland fehlen, lässt sich nur schätzen. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) veröffentlicht neben der Arbeitslosenzahl weitere Werte, um die Lücke fehlender Jobs zu verdeutlichen. Die sogenannte "Arbeitslosigkeit im weiteren Sinne" umfasst zusätzlich all jene, die durch bestimmte Instrumente der Arbeitsmarktpolitik gefördert werden (zum Beispiel Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Ein-Euro-Jobs, berufliche Weiterbildung) oder nur aus der offiziellen Statistik fallen, weil sie über 58 Jahre alt sind und mindestens zwölf Monate kein Angebot für eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung erhalten haben. Diese Zahl lag 2022 um rund 322.000 höher als die offizielle Arbeitslosenzahl. Zusätzlich gibt die BA jeden Monat auch die sogenannte Unterbeschäftigung an. Sie umfasst neben der "Arbeitslosigkeit im weiteren Sinne" zahlreiche weitere Bürger, die von der Förderung durch die Arbeitsagenturen profitieren (zum Beispiel Gründungszuschuss, Einstiegsgeld) oder krankgeschrieben sind. Diese "Unterbeschäftigung im engeren Sinne" lag nach der Definition der BA im Jahr 2022 um rund 750.000 höher als die offizielle Arbeitslosenzahl. Als am weitesten gefasste Kategorie der Unterbeschäftigung gibt die Bundesagentur für Arbeit auch noch eine Zahl an, die zusätzlich Kurzarbeiter und Personen in Altersteilzeit umfasst.
Das Statistische Bundesamt kam für das Jahr 2021 auf eine so genannte Stille Reserve von 828.000 Menschen. In dieser Definition sind das einerseits alle, die zurzeit Arbeit suchen, aber kurzfristig für den Beginn eines Jobs nicht zur Verfügung stehen. Andererseits sind in der Zahl auch diejenigen enthalten, die zwar im Moment formell keine Arbeit suchen, aber grundsätzlich für eine Tätigkeit zur Verfügung stünden und auch gerne arbeiten würden. Zusätzlich errechnen die Statistiker eine Zahl zur Unterbeschäftigung, die aber etwas ganz anderes meint als derselbe Begriff bei der Bundesagentur für Arbeit. Beim Statistischen Bundesamt geht es dabei um alle, die bereits arbeiten, aber gerne mehr Stunden pro Woche arbeiten würden und dafür auch die Möglichkeit hätten. Diese Zahl lag 2019 bei 2,08 Millionen.
Ist jeder arbeitslos, der Arbeitslosengeld I oder II bekommt?
Nein. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit galten 2022 nur rund 43 Prozent der erwerbsfähigen Empfänger von Arbeitslosengeld II, das 2005 Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe abgelöst hat, auch als arbeitslos. Der Rest stand dem Arbeitsmarkt aus verschiedenen Gründen formal nicht zur Verfügung oder nahm an einer Fördermaßnahmen teil. Eine weitere Gruppe sind Aufstocker. Sie arbeiten zwar mindestens 15 Stunden in der Woche und gelten deshalb nicht als arbeitslos. Weil ihr Einkommen für den Lebensunterhalt aber nicht reicht, bekommen sie zusätzlich Arbeitslosengeld II. Auch Empfänger von Arbeitslosengeld I gelten nicht automatisch als arbeitslos. Im Jahresdurchschnitt 2021 traf das bei rund 185.000 Menschen zu, die zum Beispiel vorübergehend krank geschrieben waren oder an bestimmten Fördermaßnahmen teilnahmen. Umgekehrt galten in der offiziellen Statistik 2021 aber auch etwa 134.000 Menschen als arbeitslos, die kein Arbeitslosengeld I oder II bekommen.
Was sind saisonbereinigte Zahlen?
Im Verlauf eines Jahres gibt es ein typisches Auf und Ab der Arbeitslosigkeit. In der Regel steigt die Quote im Winter und fällt in den Sommermonaten. Dafür verantwortlich sind Branchen wie die Bauwirtschaft. Aber auch regelmäßige Termine wie Schulferien beeinflussen die Arbeitslosigkeit. Für diese saisontypischen Schwankungen berechnen die Statistiker Durchschnittswerte. Dieser von Monat zu Monat unterschiedlich ausgeprägte Effekt wird von den Arbeitslosenzahlen abgezogen. Das Ergebnis sind saisonbereinigte Zahlen. Diese eignen sich besser, um den wirklichen Trend auf dem Arbeitsmarkt zu erkennen, der hauptsächlich auf der konjunkturellen Entwicklung basiert.
Trickst Deutschland stärker als andere Länder?
Nein. Jedes Land definiert Arbeitslosigkeit anders, aber die deutschen Kriterien sind relativ weit gefasst.
Ist die deutsche Arbeitslosenquote international vergleichbar?
Nein. Für internationale Vergleiche gelten die Kriterien der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Deren Regeln für die Berechnung der nationalen Erwerbslosenquote unterscheiden sich stark von den deutschen Vorgaben. Laut ILO endet Arbeitslosigkeit beispielsweise bereits, wenn jemand mindestens eine Stunde pro Woche arbeitet. Die Zahlen auf Basis dieser Regeln berechnet das Statistische Bundesamt mit Hilfe einer stichprobenartigen Befragung. Die Bundesagentur für Arbeit greift dagegen auf die vollständigen Daten des eigenen Hauses zurück. Die offizielle deutsche Arbeitslosenquote ist in der Regel höher als die ILO-Erwerbslosenquote für Deutschland. 2022 lag die offizielle Arbeitslosenquote der Bundesagentur für Arbeit bei 5,3 Prozent. Nach dem ILO-Konzept wurde für Deutschland im Jahr 2022 lediglich eine Erwerbslosenquote von 2,8 Prozent errechnet.
Welche Arbeitsmarktstatistiken sind wichtig?
Neben dem monatlichen Arbeitsmarktbericht der Bundesagentur für Arbeit und der Erwerbslosenquote nach ILO-Standard ist die Beschäftigtenstatistik interessant. Sie gibt an, wie viele Menschen erwerbstätig sind. Für 2022 errechnete das Statistische Bundesamt einen Durchschnittswert von 45,6 Millionen.
Zeigt die Statistik, wie gut Arbeitsmarktpolitik wirkt?
Der Erfolg oder Misserfolg von Arbeitsmarktreformen lässt sich nicht direkt aus den monatlichen Zahlen ablesen. Einzelauswertungen zu Regionen oder bestimmten Gruppen geben aber oft Hinweise darauf, wo Arbeitsmarktpolitik wirkt und wo nicht. Das gilt besonders, wenn Entwicklungen über einen Zeitraum von mehreren Monaten oder Jahren statistisch untersucht werden.
Sind aktuelle Arbeitslosenzahlen mit früheren vergleichbar?
Nicht ohne Weiteres. Trends lassen sich durchaus erkennen. Weil aber die Berechnungsregeln für die Statistiken immer wieder geändert wurden, sind aktuelle Zahlen nicht direkt mit früheren vergleichbar.
Weiß man sicher, wie viele offene Stellen es gibt?
Nein. Die Bundesagentur für Arbeit weist zwar monatlich die Anzahl der ihr gemeldeten, nicht-geförderten Stellen auf dem ersten Arbeitsmarkt aus. Aber kein Arbeitgeber ist gezwungen, seine freien Jobs bei der Bundesagentur für Arbeit zu melden. Viele Stellen erscheinen also nie in der offiziellen Statistik. Das Internet-Portal der Bundesagentur für Arbeit durchsucht zwar auch private Job-Börsen im Internet. Dabei kann es aber auch passieren, dass sich Anzeigen für die selbe Stelle doppeln oder Anzeigen für bereits vergebene Jobs noch nicht entfernt wurden.
Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der BA führt vierteljährlich eine repräsentative Befragung von Arbeitgebern durch, um das "gesamtwirtschaftliche Stellenangebot" zu erfassen. Die Ergebnisse dieser Studie stehen aber erst mit erheblicher Verzögerung fest.