Indien statt China Habeck wirbt für Deutschland und den Freihandel
Bundeswirtschaftsminister Habeck will Indien in wirtschaftlicher Hinsicht den Vorzug vor China geben und wirbt in Neu-Delhi für Deutschland. Sein Ziel: Mehr Investitionen und ein Freihandelsabkommen.
Wenn erstmals seit mehr als zehn Jahren ein deutscher Bundeswirtschaftsminister nach Indien reist, dürfte klar sein, dass der Subkontinent wieder mehr Aufmerksamkeit erfährt, als es zeitweise der Fall war. Und wenn der Minister dorthin reist, ohne vorher in der Wirtschaftsmacht China gewesen zu sein, wo es viele seiner Vorgänger zuerst oder ausschließlich hingezogen hatte, ist das ebenfalls ein Signal.
Mehr Indien - weniger China
Die deutsche Wirtschaft soll sich breiter aufstellen, sich weniger abhängig von China machen, so die Hoffnungen der Politik. Die Unternehmen hoffen wiederum, dass ein Freihandelsabkommen mit der fünftstärksten Wirtschaftsmacht Indien und der Europäischen Union endlich zustande kommt, um ihnen den Handel mit Indien zu erleichtern.
Doch Deutschland und die EU sind nicht allein unterwegs: Indien verhandelt auch mit Kanada und Australien Freihandelsabkommen. Und viele weitere Volkswirtschaften wollen die Beziehungen zu Indien stärken, etwa die USA. Sie haben Indien eine Kooperation bei der Energiewende angeboten. Indien setzt immer mehr auf Erneuerbare Energien und will bis 2070 klimaneutral sein.
Habeck betont Chancen und Notwendigkeiten
Seit mehr als 15 Jahren strebt die EU den Freihandel mit Indien an. Die letzten Gespräche scheiterten im Jahr 2013. Auch Deutschland hatte sich von Indien ab- und China zugewandt. Nun will Robert Habeck auf dem Subkontinent vorankommen. Das Handelsabkommen sei kompliziert, "weil Indien eine lange Tradition hat, seinen Markt zu schützen", sagte er vor Ort in Neu-Delhi. Deswegen sei man nicht vorangekommen. "Die Interessen laufen jetzt nicht im Detail automatisch synchron", sagte er, betonte aber die Chancen und Notwendigkeiten.
Für deutsche Unternehmen ist Indien ein großer Absatzmarkt für Maschinen, Elektronik, Automobile und Konsumprodukte sowie in der Infrastruktur, weil Indien sowohl seine Transportwege sowie seine Energieversorgung ausbauen muss. Die Kosten für Transport und Logistik in Indien sind mit 16 Prozent des Bruttoinlandsprodukts deutlich höher als in China mit zehn Prozent. Darüber hinaus brauchen weite Teile der schnell wachsenden Bevölkerung Anschluss an Strom. Neben den Chancen gibt es auch Risiken: Bis dato sind die Zölle, die Indien erhebt, ein Problem.
So trägt die Automobilindustrie nach Angaben des Bundesverbandes der Industrie (BDI) für vollständig montierte Fahrzeuge aus Europa 66 bis 110 Prozent an steuerlichen Lasten. Die Branche sei durch Indiens Zölle auf importierte Komponenten aus der EU gegenüber seinen asiatischen Konkurrenten benachteiligt. "Mit dem Freihandelsabkommen zwischen Indien und dem Verband Südostasiatischer Nationen (ASEAN), in dem japanische und koreanische Hersteller stark vertreten sind, können einige Komponenten zollfrei nach Indien exportiert werden", hatte der BDI schon im vergangenen Jahr moniert. Er hatte aber auch positiv hervorgehoben, dass der Maschinenbau von seit Beginn des Jahrzehnts gesunkenen Zöllen profitiere. Derzeit liege die Zollbelastung für die meisten Produktgruppen der Maschinenbauer bei 5 bis 7,5 Prozent.
Erneut zu scheitern ist keine Option
Im Sommer vergangenen Jahres hatten die EU und Indien die Verhandlungen über Freihandel wieder aufgenommen. "Anders als die 2013 gescheiterten Gespräche sind die jetzigen Verhandlungen von dem Paradox gekennzeichnet, zugleich einfacher und komplizierter zu sein" beschreibt die Stiftung Wissenschaft und Politik die Lage. Sie seien einfacher, weil die EU und Indien heute in geopolitischen Fragen vor allem mit Blick auf China mehr Übereinstimmung haben als je zuvor. Sie seien aber auch komplizierter, weil der Erfolg der Verhandlungen weiterhin von schwierigen Zugeständnissen auf beiden Seiten abhängt. "Doch erneut zu scheitern ist weder für Indien noch für die EU mit Blick auf die Zukunft ihrer strategischen Partnerschaft eine Option."
Prognose: 2075 ist Indien die zweitstärkste Volkswirtschaft
Das zu realisieren reicht ein Blick auf die Wirtschaftsdaten: Indien erwirtschaftet pro Jahr Waren und Dienstleistungen von 3,4 Billionen US-Dollar, dem Land gelang in den vergangenen Jahren ein stetiges Wirtschaftswachstum, 2022 waren es fast sieben Prozent. Nach Prognosen des Internationalen Währungsfonds (IWF) wächst Indien weiter - in diesem Jahr um 6,1 Prozent und 2024 sogar um 6,8 Prozent. In dem Tempo könne das Land Deutschland als viertgrößte Volkswirtschaft der Welt im Jahr 2025/26 ablösen, prognostiziert der IWF. Die Investmentbank Goldman Sachs erwartet gar, dass Indien bis 2075 die USA überholt und zur zweitstärksten Volkswirtschaft der Welt aufsteigt.
Für Deutschland ein wichtiges Signal zu einem immer wichtiger werdenden Standort. Indien ist demokratisch - und eine Alternative zu China, von dem man sich wirtschaftlich weniger abhängig machen möchte. Die Regierung hatte dazu erst vor wenigen Tagen eine neue China-Strategie präsentiert.
Fakt ist: Nicht nur die indische Wirtschaft wächst - auch die Bevölkerung. Die indische Bevölkerung ist laut Forschungsinstitut Pew Research mit 1,4 Milliarden riesig und wird bis 2064 womöglich 1,7 Milliarden stark sein - deutlich mehr als die Chinesen. Die meisten Inder sind jung: Mehr als 40 Prozent der Menschen in Indien sind jünger als 25. Das Durchschnittsalter liegt bei 28. Zum Vergleich: Amerikaner sind im Schnitt 38 Jahre alt, die Chinesen 39.
Hoffnung auf große Aufträge
Das sind nur einige Gründe, um das Freihandelsabkommen nun voranzutreiben. Bis Ende des Jahres soll es idealerweise unterschriftsreif sein, weil 2024 in Europa und Indien Wahlen anstehen. Die zunehmenden Spannungen zwischen Westeuropa - auch Deutschland - und China werden von Unternehmen kritisch und besorgt gesehen. Siemens etwa hatte zuletzt eine Milliarde an Investitionen in Deutschland angekündigt.
Zu Jahresbeginn hatte der Konzern einen Rekordauftrag aus Indien erhalten: Die indische Bahngesellschaft India Railways hatte 1200 Elektro-Lokomotiven bei Siemens bestellt. Nach Angaben des Unternehmens war das der größte Einzelauftrag für Lokomotiven in seiner Geschichte gewesen. Siemens hofft auf weitere Aufträge.
Am Morgen hatte der Schweizer Elektrotechnik-Konzern ABB gemeldet, dass die Bestellungen in China als zweitgrößtem Markt des Unternehmens um neun Prozent gesunken seien. Bestellungen in Indien hätten dagegen zugelegt.
Mit Informationen der dpa