Tarifrunden bei hoher Inflation Droht jetzt die Lohn-Preis-Spirale?
Die Inflation steigt und steigt. In den anstehenden Tarifrunden fordern die Gewerkschaften einen Ausgleich. Droht eine Spirale aus höheren Löhnen und noch stärkerer Teuerung wie in den 1970ern?
Die Rufe aus den Gewerkschaften, sie sind in diesen Tagen laut. Egal ob beim Sicherheitspersonal an deutschen Flughäfen oder in der Chemie- und Pharmabranche: Alle fordern mehr Geld angesichts steigender Inflationsraten in Deutschland und vieler Menschen, die im Alltag jetzt für viele Dinge tiefer in die Tasche greifen müssen.
An den Finanzmärkten gehen Börsenprofis längst davon aus, dass schon bald die Löhne steigen könnten. Das sei auch gerechtfertigt, sagt Karsten Junius, Chefökonom der Schweizer Bank J. Safra Sarasin: "Wir haben eine starke Wirtschaft, wir haben höhere Inflationsraten, und wir haben einen sehr, sehr engen Arbeitsmarkt, bei dem viele Firmen die notwendigen Arbeitskräfte nicht bekommen, die sie benötigen."
Ein Phänomen, das sich länger aufbaut?
Die Gefahr dabei: Lohnsteigerungen um fünf oder mehr Prozent könnten wiederum Unternehmen veranlassen, ihre Preisen zu erhöhen. Das könnte eine gefährliche Spirale in Gang bringen: die sogenannte Lohn-Preis-Spirale. Marcel Fratzscher Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, sieht diese Gefahr aber noch nicht. Die Lohn-Preis-Spirale sei dann ein Schreckgespenst, wenn es sich um einen Zeitraum von vier, fünf Jahren handele.
"Höhere Preise führen zu höheren Löhnen, dann sagen die Unternehmen: Jetzt müssen wir aber die Preise noch stärker erhöhen, weil die Löhne gestiegen sind. Dann sagen die Gewerkschaften: Jetzt brauchen wir wieder höhere Lohnsteigerungen. Und dann setzt sich das über viele, viele Jahre fort", erklärt Fratzscher das Phänomen. Dies war in den 1970er-Jahren der Fall, als in Folge der Ölkrise höhere Löhne und steigende Preise sich immer weiter gegenseitig befeuert haben. Doch daraus haben auch die Gewerkschaften gelernt.
Gewerkschaften kompromissbereit, EZB unter Druck
Alles viel schwieriger macht heute der Krieg in der Ukraine. Unklar ist, welche Folgen auf deutsche Unternehmen zukommen, weshalb sich etwa die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie kompromissbereit gibt. "Diesen Teil der Unsicherheit, den kann man auch finanziell so überbrücken, dass man ihn nicht für die Zukunft definiert, sondern in Form von Energiebeihilfen zum Beispiel", konkretisiert der Verhandlungsführer der IG Bergbau-Chemie-Energie, Ralf Sikorski. Einmalige Zahlungen und Forderungen, die nicht sofort für die nächsten Jahre festgeschrieben werden - eine Lösung, um die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale zu reduzieren, glauben auch viele Ökonomen.
Heikel ist die Lage für die Europäische Zentralbank (EZB). Kritiker fordern längst ein Einschreiten der Notenbank angesichts einer Inflationsrate von 5,9 Prozent in Euroraum. Auch die EZB schaut sehr genau auf die Entwicklung der Löhne. Denn wenn die Steigerungen zu hoch sind, könnte die Teuerung im Euroraum weiter gehen. EZB-Vizepräsident Luis de Guindos fordert: Auch die Politik müsse ihren Beitrag leisten. Längst wird hierzulande über Entlastungen beim Tanken diskutiert - bleibt nur die Frage, ob diese Maßnahmen ausreichen, um die Inflation in den Griff zu kriegen.