Leistungsprämien im Beruf "Man sollte sich immer fragen, wofür man arbeitet"
Bonuszahlungen können als Motivation funktionieren, bergen aber auch Gefahren, sagt der Forscher Van Quaquebeke im Interview. Wichtiger ist die Motivation "von innen" - und Führungskräfte, die eine Kultur der Anerkennung prägen.
tagesschau.de: Herr Van Quaquebeke, Prämien sollen Beschäftigte im Unternehmen dazu motivieren, sich mehr anzustrengen. Können dabei auch Probleme entstehen?
Niels Van Quaquebeke: Die Idee dieses Anreizes stammt aus der "Turniertheorie". Die besagt, wir spielen im Beruf wie in einem Turnier gegeneinander. Diejenigen, die besonders gut abschneiden, erhalten Anreize, im Unternehmen zu bleiben und mehr zu tun. Und wer nicht so gut spielt, soll laut Theorie irgendwann so frustriert sein, dass er das Turnier, demnach also die Organisation, verlässt.
Boni verbessern die Leistung des Mitarbeiters nur bis zu einem gewissen Grad. Denn es gibt Nebeneffekte: Wenn Sie im Beruf mit anderen konkurrieren, was traditionell durch Boni motiviert wird, dann können Sie sich mehr anstrengen oder im Umgang mit Ihren Kollegen ein wenig härter werden. Dazu zählen zum Beispiel unangemessene Witze am Arbeitsplatz oder Ignoranz. Dadurch leidet das Arbeitsklima, was wiederum zu Leistungseinbußen führt und damit die Idee der Turniertheorie auf den Kopf stellt.
Der Psychologe Niels Van Quaquebeke ist Professor für Leadership und Organizational Behavior und Leiter der Abteilung für Leadership und Management an der Kühne Logistics University (KLU) in Hamburg. Er erforscht unter anderem die kommunikativen Grundlagen erfolgreicher Führung, die Bedeutung von Werten, ethische Führungsweisen und die Funktion zwischenmenschlichen Respekts.
Wenn aus Arbeit ein Wettbewerb wird
tagesschau.de: Eine Prämie scheint auf den ersten Blick etwas Positives und jeder Beschäftigte freut sich über eine Bestätigung der erbrachten Arbeitsleistung. Woran liegt diese Reaktion, täuscht der erste Blick?
Van Quaquebeke: Der erste Blick täuscht nicht, aber es gibt immer mehrere Stufen. Natürlich freuen wir uns alle über mehr Geld. Aber im zweiten Schritt vergleichen wir uns mit anderen Kollegen. Wenn wir im Beruf besonders gut abschneiden, dann sind wir als Einzelne glücklich. Aber es gibt auch solche, die nicht so gut abschneiden. Das führt oft dazu, dass wir das Gefühl haben, dass wir miteinander konkurrieren. Dieser Wettbewerb wiederum kann positiv sein, sodass sich der Mitarbeiter mehr anstrengt. Aber er kann auch die negativen Aspekte ans Licht bringen.
"Scheuklappen" bremsen das eigene Potenzial
tagesschau.de: Wenn man sich diese Ergebnisse anschaut: Welche Folgen hat eine Leistungsprämie auf Dauer für den Beschäftigten, wenn er seine eigene Leistung immer wieder übertreffen möchte?
Van Quaquebeke: Der Mitarbeiter freut sich mit der Zeit nicht mehr über einen Bonus in einer bestimmten Höhe, weil er sich daran gewöhnt hat. Der Bonusbetrag hat dann keine motivierende Wirkung. Also strengt er sich nicht mehr an, weil er denkt, dass er den Bonus sowieso erhält. Der Mitarbeiter stumpft ab und zieht dann lieber die Freizeit oder die Familie vor. Das bedeutet, dass das Unternehmen einen höheren Bonus zahlen müsste, um den Motivationseffekt aufrechtzuerhalten. Große Metaanalysen zeigen jedoch, dass es überhaupt nicht effektiv ist, mehr als zehn Prozent des Gehalts für einen Bonus zu bezahlen.
Möglich ist auch, dass der Mitarbeiter mit seinem Verhalten das Arbeitsumfeld so sehr ruiniert hat, dass das Team gegensätzlich handelt. Sie arbeiten dann nicht mehr zusammen. Außerdem kann ein Bonus dazu führen, dass der Mitarbeiter "Scheuklappen" trägt und Aufgaben im Job vernachlässigt. Klassischerweise werden mit dem Vorgesetzen Ziele vereinbart. Andere Aufgaben werden dann als weniger wichtig eingestuft, da sie nicht relevant für den Bonus sind. Die Ziele müssen daher mit der Zeit angepasst werden. Sonst führt das dazu, dass der Mitarbeiter wie ein "Häschen der Karotte hinterherjagt".
Für ihre Studie haben die Forscher der Hochschulen Kühne Logistics University (KLU), der Universität Hamburg und der BI Norwegian Business School in Oslo mehrere Untersuchungen vorgenommen - ein Experiment mit 104 Teilnehmenden sowie zwei Feldstudien mit 96 und 286 Probanden. Zudem sprächen Vorgängerstudien dafür, dass die genannte Effekte auch in nicht untersuchten Unternehmen zu finden seien. Vor allem jüngere Beschäftigte und Männer neigen demnach eher zu aggressiverem Verhalten. Das wiederum schade dem Betriebsklima.
tagesschau.de: Welche Tipps haben Sie für betroffene Beschäftigte, wie sie mit diesem äußeren Kampf umgehen können?
Van Quaquebeke: Suchen Sie beispielsweise ein Gespräch zum festgelegten Belohnungssystem mit Ihrem Vorgesetzten. Bereiten Sie sich auf das Gespräch vor und überlegen Sie, was Sie in Ihrem Team anders machen wollen. Welche Argumente für und gegen Einzelboni sprechen. Erläutern Sie Ihre Verbesserungsvorschläge, zum Beispiel, dass das ganze Team einen Bonus erhalten soll.
Und ganz generell lohnt es sich immer, sich selbst zu fragen, wofür man eigentlich arbeitet. Ist es das Geld oder sind es andere Aspekte? Wenn letzteres, dann lassen Sie sich doch nicht von so einer "Karotte" wahnsinnig machen.
Bedürfnis nach Autonomie, Kompetenz und Verbundenheit
tagesschau.de: Was wäre statt einer Leistungsprämie die bessere Alternative, um dem Arbeitsklima im Unternehmen nicht zu schaden?
Van Quaquebeke: Aus psychologischer Sicht haben wir drei psychologische Grundbedürfnisse: nach Autonomie, Kompetenz und Verbundenheit. Sie zu stärken, ist die Aufgabe des Managers im Betrieb. Denn dann entsteht eine intrinsische, also eine von innen kommende Motivation. Der Mitarbeiter handelt vorausschauend und klar im Hinblick auf zukünftige Herausforderungen.
Das Bedürfnis nach Autonomie heißt, dass der Mitarbeiter mitbestimmen will, was sein Leben betrifft. Der Vorgesetzte sollte sich die Meinungen der Mitarbeitenden anhören und deren Realität anerkennen. Unter Kompetenz ist zu verstehen, dass wir uns alle wertgeschätzt und nützlich fühlen wollen. In einer Art und Weise, dass wir zur Arbeit gehen und das Gefühl entwickeln, besser zu werden.
Dafür ist es wichtig, mit dem Vorgesetzten das Gespräch aufzusuchen und Entwicklungsziele abzusprechen, aber auch eine Kultur der gegenseitigen Wertschätzung und Anerkennung zu prägen. Verbundenheit bedeutet, dass ein Gefühl von Zugehörigkeit und Gemeinschaft entstehen soll, also ein "zusammen als Team reißen wir hier wirklich etwas".
Solche Maßnahmen sind deutlich motivationaler als jeglicher Bonus. Und sie müssen auch nicht durch unendlich komplizierte Systeme der Zielabsprache und -erreichung kontrolliert werden.
Das Interview führte Aylin Dülger, tagesschau.de