Interview

Interview zum Mindestlohn-Vorstoß in der CDU "Einseitig festgelegte Löhne sind nicht in Ordnung"

Stand: 22.08.2011 16:29 Uhr

Der Arbeitnehmerflügel der Union will beim CDU-Parteitag offensiv um einen allgemeingültigen Mindestlohn kämpfen - und doch den Staat dabei heraushalten. Vorbild sei der Zeitarbeits-Mindestlohn. Der Wettbewerb um die billigsten Löhne müsse gestoppt werden. Ein Interview von tagesschau.de.

tagesschau.de: Beim CDU-Bundesparteitag will die Arbeitnehmergruppe der CDU sich für flächendeckenden Mindestlohn einsetzen, den sie "tariforientierte Lohnuntergrenze" nennen - warum?

Karl-Josef Laumann:  Ganz einfach, weil wir festgestellt haben, dass es einige Branchen gibt, in denen es keine tarifvertraglich vereinbarten Löhne mehr gibt, weil Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht mehr in Verbänden oder Gewerkschaften organisiert sind.  Zur Sozialen Marktwirtschaft gehört für mich unabdingbar, dass sich die Unternehmen nicht bei der Frage Konkurrenz machen, wer den billigsten Arbeitnehmer findet. Deswegen gehört zur Sozialen Marktwirtschaft die Lohnfestlegung - das ist bis vor wenigen Jahren über die Tarifvertragsparteien sehr gut gelaufen.

Zur Person
Karl-Josef Laumann (54) ist seit 2005 Bundesvorsitzender der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) und seit 2010 Fraktionsvorsitzender der CDU im nordrhein-westfälischen Landtag. Dort wirkte er vor dem Regierungswechsel 5 Jahre als Arbeitsminister, davor war er 15 Jahre lang Abgeordneter im Deutschen Bundestag. Vor seiner politischen Laufbahn war Laumann als Maschinenschlosser und Betriebsrat tätig. Außerdem ist er Vorsitzender der Katholischen Arbeitnehmerbewegung im Münsterland.

tagesschau.de: Warum dann nicht gleich ein gesetzlicher Mindestlohn, wie ihn die Opposition fordert?

Laumann: Wir als CDA tun uns sehr schwer damit, weil wir der Meinung sind, dass einseitig festgelegte Löhne - egal ob vom Arbeitgeber oder vom Staat nie eine gerechte Lohnfindung darstellen. Die Höhe eines Lohns sagt auch nichts darüber, ob er gerecht ist oder nicht - Löhne können nie höher sein als die Wertschöpfung in der jeweiligen Branche. Aber von Unternehmen derzeit einseitig festgelegte Löhne - die wir zum Beispiel im Dienstleistungsbereich immer mehr haben, weil wir dort keine Tarifbindung mehr haben -, sind auch nicht in Ordnung.

Wir haben eine gute Eselsbrücke gefunden: Es gibt jetzt in der Zeitarbeit den Mindestlohn als ein branchenübergreifendes Arbeitsmarktinstrument - weil Zeitarbeit überall außer im Baubereich vorkommt. Wenn sich dort Gewerkschaften und Arbeitgeber auf einen Mindestlohn von rund sieben Euro verständigen können, dann müsste das auch für die gesamte Wirtschaft gehen - das ist unser Vorschlag.

tagesschau.de Wie soll das gehen?

Laumann: Es gibt zwei Möglichkeiten:  Man nimmt den Abschluss der Zeitarbeit als Lohnuntergrenze, weil er tariflich festgelegt ist - oder BDA und DGB müssen einen eigenen Mindestlohn verhandeln.

tagesschau.de: Das heißt, Sie haben ein Problem mit einem gesetzlichen Mindestlohn, im Ergebnis wollen Sie aber dasselbe - dass die Menschen sich darauf verlassen können, das sie keine Dumpinglöhne mehr verdienen.

Laumann:  Das beste Instrument, das ich kenne, um einen gerechten Lohn festzulegen, ist die Tarifautonomie - wenn also starke Gewerkschaften mit starken Arbeitgeberverbänden darüber reden. Der einzelne Arbeitnehmer hat keine Verhandlungsmacht - insbesondere da, wo er austauschbar ist. Deswegen vertreten wir als CDA, als Gruppe in der CDU, dass wir eine von Tarifpartnern ausgehandelte Lohnuntergrenze brauchen. Das muss die Politik natürlich in das Entsendegesetz aufnehmen, damit man dadurch einen Rechtsanspruch hat, diesen Lohn einzuklagen.

tagesschau.de: Bisher hielt die CDU einen Mindestlohn für nicht nötig - die Arbeitslosenzahlen entwickeln sich eher gut, betont die Kanzlerin stets. Was hat sich in Ihren Augen geändert, dass Sie diesen Schritt zur allgemeinverbindlichen Lohnuntergrenze gehen wollen?

"Wir sind mit dem Instrument Entsendegesetz am Ende"

Laumann: Es ist einfach so, dass wir Branchen haben, wo wir keine Tarifverträge mehr hinkriegen. Wo wir einen Tarifvertrag nicht einmal einen ansatzweise haben, können wir ihn nicht ins Entsendegesetz aufnehmen. Die Regierung Merkel hat für Millionen Arbeitnehmer Tarifverträge durch das Entsendegesetz zum Rechtsanspruch erhoben. Nur: Mit diesem Instrument sind wir am Ende. Da wo nichts ist, kann man auch nichts für allgemeinverbindlich erklären. Deswegen muss man die deutsche platte Mindestlohn-Debatte ergänzen hin zu einer tariflichen Lohnuntergrenze, die am Ende aber in der Verlässlichkeit für die Arbeitnehmer wirken soll wie ein gesetzlicher Mindestlohn in anderen Ländern.

tagesschau.de: Wer unterstützt Sie bereits in der CDU?

Laumann: Wir haben viel Unterstützung aus dem Handwerk, die über "Schmutzkonkurrenz" klagen. Ich bin ganz sicher, dass uns das Gerechtigkeitsempfinden von Christdemokraten sehr helfen wird. Wir werden Kreisverbände, also die CDU-Basis damit konfrontieren. In unseren Ortsverbänden wir viel zu wenig über Politik gestritten. Es wird nicht leicht  auf dem Bundesparteitag, das ist klar.

tagesschau.de: Sind Sie darüber bereits mit Arbeitsministerin von der Leyen und Merkel im Gespräch?

Laumann: Die Kanzlerin ist über unser Vorhaben informiert und ich denke, dass ich mit ihr in den nächsten Wochen darüber reden kann. Die Arbeitsministerin ist natürlich auf unserer Seite. Die sieht auch, was wir an Lohnentwicklungen haben.

tagesschau.de: Da sind Sie sicher, von der Leyen ist auf Ihrer Seite?

Laumann: Die Ministerin ist auch der Meinung, dass wir in dieser Frage einen Regelungsbedarf haben.

tagesschau.de: Derzeit arbeiten in Ihrem Bundesland Nordrhein-Westfalen 25 Prozent  der Menschen unter 8 Euro pro Stunde - hat das Ihren Blick für das Problem geschärft?

Laumann: Man sieht daran, dass es nicht nur ein Problem von Menschen an der östlichen Grenze. Da war es schon immer so, dass Löhne niedriger sind als im Westen unseres Landes. Aber wir haben inzwischen in ganz Deutschland einen Niedriglohnbereich - das muss man deutlich sehen. Allerdings sind in unserem Bundesland viele tarifliche Löhne unter acht Euro, etwa in der Logistik. Das Thema Niedriglohn muss man als Politiker vor Augen haben.

tagesschau.de: Hoffen Sie, dass sich solche niedrigen Tariflöhne dann mittelfristig angleichen an die Lohnuntergrenze der Zeitarbeit, die Sie für allgemeinverbindlich für Branchen ohne Tarifvertrag erklären wollen?

Laumann:  Wenn man eine tarifliche allgemeinverbindliche Lohnuntergrenze hätte, würde das bedeuten, dass es darunter keine Abschlüsse mehr geben wird. Denn welche Gewerkschaft würde das noch abschließen. Von daher wäre das dann der tiefste Lohn, der denkbar ist.

Das Interview führte Corinna Emundts, tagesschau.de