Interview

Interview: Der Mittelstand und die Krise "Einfach mit in den Strudel gerissen"

Stand: 07.04.2009 11:32 Uhr

Die Krise bringt Konzerne ins Straucheln, aber wie ergeht es den kleineren Betrieben? Im Mittelstand seien solide Firmen keine Ausnahme, sagt Frank Wallau, Geschäftsführer des Instituts für Mittelstandsforschung in Bonn. "Allerdings kommt diese Krise so schnell, dass auch gut aufgestellte Unternehmen mit runtergezogen werden." Im tagesschau.de-Interview erklärt er, wer Chancen hat, glimpflich davonzukommen. 

tagesschau.de: Herr Wallau, wie geht es den kleinen und mittleren Unternehmen?

Frank Wallau: Die Krise erreicht den Mittelstand, so viel ist sicher. Die Auswirkungen sind schwer abzuschätzen. Das liegt auch daran, dass so unterschiedliche Unternehmen zum Mittelstand gehören, das reicht von der Imbissbude über den Handwerker oder den Steuerberater bis zum Maschinenbauer. Einzelne Firmen sprechen von Umsatzrückgängen von 70 bis 80 Prozent, denen ist praktisch der Markt komplett weggebrochen. Und andere Unternehmen sagen, dass sie in ihrer Nische noch gar keine Auswirkungen spüren, sondern sogar noch leicht steigende Auftragseingänge haben.

Generell sind die internationalen Konzerne wesentlich stärker von der Krise betroffen. Das liegt an der meist höheren Exportquote: Vielen Großkonzernen ist der deutsche Markt zu klein, sie operieren weltweit. Wenn dann das Amerika-Geschäft wegbricht und das Süd-Ost-Asien-Geschäft, Russland schwächelt, Osteuropa schwächelt, dann trifft diese Unternehmen die Krise zuerst. Der kleinere Mittelstand ist im Durchschnitt eher am Binnenmarkt orientiert. Aber auch die Nachfrage am Binnenmarkt könnte es - etwa falls die Arbeitlosenzahlen weiter steigen - noch treffen. Wir importieren über die Exporteure die Krise.

Konservative Strategien

tagesschau.de: Ist der Mittelstand denn für harte Zeiten gerüstet?

Wallau: Im Mittelstand sind solide aufgestellte Firmen keine Ausnahme. Und sicherlich werden die, die konservative Strategien gefahren haben, besser durch die Krise kommen. Etwa Unternehmen mit einer höheren Eigenkapitalquote, höherer Liquidität, weniger Abhängigkeit von der Bank, vorsichtigen Investitionen.

Zur Person
Prof. Frank Wallau (Jahrgang 1968) ist Geschäftsführer des Instituts für Mittelstandsforschung in Bonn und Dozent an der Fachhochschule der Wirtschaft Ostwestfalens. Zu seinen Fachgebieten als Volkswirt zählen Mittelstandspolitik, Existenzgründung und Unternehmensnachfolge.

Der Mittelstand hat in der Krise 2002- 2004 dazugelernt: Die Firmen haben flexible Arbeitszeitmodelle eingeführt, sprich Überstundenregelungen, Teilzeitkonten, Kurzarbeit, um normale Auftragsschwankungen abzufedern. Ein bis zwei schlechte Monate konnten die Unternehmen so überbrücken. Gegen Anfang des Jahres war dieser Puffer allerdings aufgebraucht.

Ähnlich schwierig sieht es mit den finanziellen Ressourcen aus. In den guten Jahren von 2005 bis 2008 haben die Unternehmen Gewinne erwirtschaftet und konnten ihre Eigenkapitalquoten erhöhen. Sie haben ein bisschen Speck angesetzt. Aber dass die Zeiten jetzt so schnell so schlecht werden, dass konnte niemand vorhersehen. Bei vielen sind die Reserven jetzt schon aufgebraucht.

Definiton Mittelstand
Zum Mittelstand gehören alle Unternehmen, die eine bestimmte Größe nicht überschreiten. Die KfW-Bankengruppe nennt als Obergrenze einen Jahresumsatz von 500 Millionen Euro. Das Institut für Mittelstandsforschung fasst die Grenzen enger: Betriebe mit bis zu 500 Mitarbeitern und maximal 50 Millionen Euro Umsatz ordnet es dem Mittelstand zu. Neben diesen quantitativen Definitionen gibt es auch eine qualitative: Demnach umfasst der Mittelstand die Familienunternehmen, also Firmen, bei denen der Eigentümer die Geschäfte führt und das unternehmerische Risiko trägt.

Glimpfliches Ende für den Bau?

tagesschau.de: Welche Branchen trifft es denn besonders hart?

Wallau: Stark betroffen sind die exportorientierten Branchen, sprich Automobilbau und Maschinenbau. Die Logistik-Branche hat ebenfalls Probleme: Vielen mittelständischen Speditionen fehlen die Waren, die sie sonst transportieren. Das Baugewerbe dagegen, immer ein Sorgenkind der letzten Jahre, ist recht stabil. Die Baubranche wird die Krise wohl erst zeitverzögert erleben. Das liegt daran, dass Bauvorhaben eher langfristig geplant werden und derzeit noch Bauaufträge zu Ende gebracht werden. Die Branche hofft zudem, von den Konjunkturpaketen zu profitieren, wenn die ab Sommer greifen. So könnte der Bau womöglich glimpflich durch die Krise kommen.

tagesschau.de: Wer ist jetzt möglicherweise besser aufgestellt?

Wallau: Die, die mehrere Standbeine haben, werden besser durch die Krise kommen. Zum Beispiel ein Kunststoff-Hersteller, der nicht nur für die krisengeschüttelte Autoindustrie, sondern auch für die Verpackungsindustrie arbeitet. So bleibt ihm zumindest ein Standbein.

Zahl der Pleiten wird steigen

tagesschau.de: Müssen sich derzeit viele Mittelständler Sorgen um ihre Existenz machen?

Wallau: Im Jahr 2008 war die Zahl der Insolvenzen mit 29.200 sehr niedrig. In diesem Jahr könnte sie auf bis zu 35.000 steigen. Viele Mittelständler stehen jetzt schon vor der Frage des Personalabbaus, weil sie aufgrund wegbrechender Umsätze ihre Kosten drastisch reduzieren müssen. Ich glaube, dass sich viele damit ungeheuerlich schwer tun. In den Jahren zuvor haben die Unternehmen immer über den Fachkräftemangel geklagt. Die Unternehmer wissen sehr wohl, dass sie gut ausgebildete Leute haben, die sie im Aufschwung wieder dringend benötigen werden. Daher bemühen sie sich, ihre Fachkräfte zu halten. Doch die Unternehmen müssen darauf achten, dass sie nicht zu lange mit den überlebensnotwendigen Einschnitten warten. Was habe ich davon, wenn das Unternehmen abgewickelt wird? Dann sind alle Arbeitsplätze verloren.

Steckbrief Mittelstand
In Deutschland gibt es 3,55 Millionen mittelständische Unternehmen mit einem Jahresumsatz von bis zu 500 Millionen Euro.
  • Sie stellen 99,96 Prozent aller Unternehmen. Etwa 1500 Firmen sind Großunternehmen.
  • Sie beschäftigen 26,8 Millionen Menschen – das sind zwei Drittel aller Erwerbstätigen.
  • Sie bilden 1,3 Millionen Menschen aus – das sind 70 Prozent aller Auszubildenden.

Fehler aus den Vorjahren mit Folgen

tagesschau.de: Sind die Pleiten, die wir jetzt schon gesehen haben - auch so bekannter Unternehmen wie Rosenthal und Schiesser -, tatsächlich Folge der Krise?

Wallau: Ohne die genauen Probleme zu kennen, liegt die Vermutung nahe, dass die Finanz- und Wirtschaftskrise das Fass nur zum Überlaufen gebracht hat. Und dass die Fehler schon in den Vorjahren gemacht wurden, etwa bei der Modellpolitik oder bei den Kostenstrukturen. Andere haben da sicher ihre Hausaufgaben besser gemacht. Wir wissen auch, dass Erfolg und Misserfolg zu etwa 50 Prozent an der Person des Unternehmers hängen. Der entscheidet mitunter mit einem richtig guten Bauchgefühl. Aber es gibt eben auch viele, die daran scheitern.

In einigen Bereichen wird es sicher eine Marktbereinigung geben. Das ist ein natürlicher Prozess in der Marktwirtschaft, der genauso dazugehört wie Unternehmensgründungen. Nur so kann eine Marktwirtschaft sich erneuern, ein Strukturwandel stattfinden. Ohne Fluktuation gäbe es auch keine Innovationen und keinen Wettbewerb.

Auch gut aufgestellte Unternehmen auf Talfahrt

tagesschau.de: Trennt die Krise also die Spreu vom Weizen?

Wallau: Wenn ein Abschwung langsam kommt, dann trennt sich die Spreu vom Weizen. Aber wenn sie - um im Bild zu bleiben - den Weizen schnell durch einen Dreschflegel jagen, dann funktioniert das nicht. Bei dieser Krise geht das so schnell, dass auch gut aufgestellte Unternehmen, die nichts dafür können, mit runtergezogen werden. In einem normalen Marktbereinigungsprozess wären sie ihren Konkurrenten überlegen, hätten Marktanteile gewonnen und der Konkurrent wäre irgendwann eingeknickt. Aber in dieser Krise werden sie einfach mit in den Strudel gerissen.

Das Interview führte Claudia Witte, tagesschau.de