ESA-Astronautin Cristoforetti "Weltraum gehört zu unserer Kultur"
Während sich in der kommerziellen Raumfahrt Milliardäre derzeit ein Wettrennen liefern, bereitet sich ESA-Astronautin Cristoforetti auf ihre nächste Mission zur ISS vor. Der Weltraum gehöre mehr und mehr zum Leben auf der Erde, sagt sie im tagesschau.de-Interview.
tagesschau.de: Wie geht es Ihnen und wo sind Sie gerade?
Samantha Cristoforetti: Mir geht es sehr gut, danke. Ich komme gerade aus Moskau und bin jetzt im Training in Houston. Hier bereite ich mich auf meine Mission zur Internationalen Raumstation vor, die im Frühjahr 2022 stattfinden soll. Gerade bekomme ich zum ersten Mal erklärt, welche wissenschaftlichen Experimente ich während meines Aufenthalts auf der ISS durchführen soll. In einer Woche fliege ich dann weiter nach Los Angeles - auch zum Training - und dann wieder nach Europa.
tagesschau.de: Nach 2014/2015 fliegen Sie bereits zum zweiten Mal zur ISS. Was hat sich verändert?
Cristoforetti: Es gibt neue Apparaturen und neue Abläufe, zum Beispiel was die Lebenserhaltungssysteme angeht. Da wird viel getestet, auch mit Blick auf zukünftige Missionen, etwa zum Mond oder noch weiter weg. Wir müssen genau wissen, wie die Prozesse funktionieren, damit Menschen im Weltraum leben können. So brauchen wir etwa einen gewissen Luftdruck und Sauerstoff zum Atmen. Wir atmen CO2 aus, was wieder aus der Luft in der Raumstation gefiltert werden muss. Wir müssen essen und trinken und auf die Toilette gehen. Die Lebenserhaltungssysteme gehören zu den kritischen Aspekten in der bemannten Raumfahrt.
Ein Viertel waren Bewerberinnen
tagesschau.de: Bei der gerade abgeschlossenen ESA-Bewerbungsrunde für Astronauten war der Zuspruch viel größer als 2008. Woran liegt das?
Cristoforetti: Zum Einen haben wir als ESA dieses Mal viel Werbung gemacht. Außerdem glaube ich, dass der Weltraum insgesamt für die Menschen in den vergangenen Jahren viel präsenter wurde, etwa durch Filme oder Social Media. Als ich mich 2008 bei der ESA beworben habe, gab es noch nicht so sehr das Gefühl, dass der Weltraum wirklich zu unserem Leben gehört. Das Thema Weltraum war ganz weit weg. Jetzt haben die Menschen - wie ich finde, richtigerweise - verstanden, dass der Weltraum zu unserer Gesellschaft, zu unserer Wirtschaft und zu unserer Kultur gehört. Also, warum sollte man sich dann nicht als Astronaut bewerben.
tagesschau.de: Etwa ein Viertel der Bewerbungen kam von Frauen. Freut Sie das?
Cristoforetti: Ja, klar. Es freut mich als Frau und als Astronautin, aber auch einfach als Mitglied der ESA. Den Frauenanteil zu erhöhen, war ein Ziel von uns, gerade weil der Weltraum mehr und mehr zu dem Leben auf der Erde gehören wird. Nicht, dass wir in 30 oder 40 Jahren dastehen und sagen: Raumfahrt ist von Männern für Männer gemacht worden. Frauen müssen teilhaben, um mitzuwirken.
tagesschau.de: Bei Ihrem nächsten ISS-Aufenthalt werden Sie sogar die Kommandantin sein. Aufgeregt?
Cristoforetti: Aufgeregt nicht, aber natürlich freut mich das sehr. Ich bin allerdings nicht direkt Kommandantin, sondern zunächst ein ganz normales Crewmitglied. Wenn ich auf der ISS ankomme, wird zunächst noch ein russischer Kollege Kommandant sein. Wenn er dann zurückfliegt, werde ich diese Rolle übernehmen. Ich habe dann ein bisschen mehr Verantwortung und muss schauen, dass die Teamarbeit gut funktioniert. Ich muss mehr als die anderen aufpassen, dass es allen gut geht, und Probleme proaktiv ansprechen. Außerdem ist man die Anlaufstelle für die Teams auf dem Boden. Aber alle Astronauten auf der ISS sind sehr gut trainiert und vorbereitet. Das darf man sich nicht so vorstellen, dass ich als Kommandantin dann den ganzen Tag Befehle gebe.
Ein sehr besonderer Blick
tagesschau.de: Welche Qualitäten oder Eigenschaften braucht man für Missionen im Weltraum?
Cristoforetti: Man muss auf seine Gesundheit aufpassen und körperlich fit sein. Man sollte jeden Tag trainieren und dabei vor allen mit Gewichten arbeiten. Das ist gerade für Frauen wichtig, damit sie im Oberkörper Muskeln aufbauen, um stark zu sein. Und was die geistige Seite angeht: Ich glaube, das Allerwichtigste ist, gelassen zu sein. Astronauten müssen zwar strebsam und erfolgsorientiert sein, aber nicht angespannt, reizbar oder schnell beleidigt.
tagesschau.de: Bei Ihrer ersten ISS-Mission machten Sie mit einer hübschen Geschichte Schlagzeilen: Sie schenkten aus einer eigens für die ISS gebauten Maschine Espresso aus. Dabei ging es sicherlich nicht nur um dolce vita, oder?
Cristoforetti: Genau. Es ging darum zu schauen, wie sich Flüssigkeit unter hoher Temperatur und hohem Druck - das ist ja typisch für Espresso-Maschinen - verhält und wie man das in der Schwerelosigkeit technologisch unter Kontrolle halten kann.
tagesschau.de: Als Sie das erste Mal vom Weltraum auf die Erde geschaut haben, was dachten Sie?
Cristoforetti: Ich habe vor allem ein Gefühl der Schönheit empfunden. Im Englischen gibt es das schöne Wort "awe", das meint so viel wie "Ehrfurcht". Dieser Blick aus dem Weltraum auf diesen riesigen Planeten mit seinen Milliarden Menschen ist sehr besonders.
Das Interview führte Ute Spangenberger, SWR