Geplantes Rentenpaket "Ältere mit in die Pflicht nehmen"
Die Rente ist sicher - und das bei gleichbleibendem Niveau bis 2025: Das verspricht Arbeitsminister Heil. Doch dessen Rentenpaket gehe an der Wirklichkeit vorbei, sagt Boysen-Hogrefe im tagesschau.de-Interview.
tagesschau.de: Wie erklärt man einem 30-Jährigen, der sich mit befristeten Arbeitsverträgen herumschlägt und nicht weiß, ob er selbst einmal in den Genuss einer Rente kommt, dass er älteren Menschen den Ruhestand ab 63 finanzieren soll?
Jens Boysen-Hogrefe: Die von der vorherigen Regierung eingeführte Rente mit 63 belastet in der Tat die jüngere Generation. Zwar funktioniert das System nun einmal so, dass man die derzeit aktive Generation zur Kasse bitten muss, aber ich reibe mir ein bisschen die Augen, wie einseitig da momentan vorgegangen wird.
tagesschau.de: Das heißt zu Lasten der Jüngeren?
Boysen-Hogrefe: Ja, wir hätten eigentlich den Rentenbeitragssatz senken können, das vermeidet nun die Große Koalition. Stattdessen bleibt der Beitragssatz wohl zunächst auf gleichem Niveau und steigt dann zügig auf 20 Prozent, wo er konstant gehalten werden soll.
Was darüber hinausgeht, muss dann aus dem Steuertopf bezahlt werden. Das ist bis 2025 vermutlich gar nicht so kostspielig. Doch das Problem ist das Versprechen, das Finanzminister Scholz den Rentnern über dieses Jahr hinaus bis 2040 geben will. Nach 2025 wird es sehr problematisch, weil sich ab dann die demografische Situation deutlich verändert.
tagesschau.de: Dann gehen die Babyboomer in den Ruhestand.
Boysen-Hogrefe: Und dann wird die Situation für das umlagefinanzierte System sehr, sehr schwierig.
Ab 2025 werden Arbeitnehmer stärker belastet
tagesschau.de: Welche Stellschrauben kann die Politik dann bedienen?
Boysen-Hogrefe: Man könnte dann die Steuerzahler stärker zur Kasse bitten. Aber am Ende ist es gehupft wie gesprungen: Ob Sie die aktive Generation nun über höhere Steuern oder höhere Beiträge belasten, sie wird ab etwa 2025 vermehrt zahlen müssen.
tagesschau.de: Was schlagen Sie stattdessen vor?
Boysen-Hogrefe: Jeder muss zu Zugeständnissen bereit sein - auch diejenigen, die den Ruhestand schon vor Augen haben. Wenn man jetzt keinen großen Einschnitt in das Rentenniveau hinnehmen möchte, dann muss man bereit sein, im Erwerbsleben zu bleiben. Das ist natürlich sehr herausfordernd für bestimmte Berufsgruppen.
tagesschau.de: Das heißt, wer länger arbeiten kann, sollte auch länger arbeiten?
Boysen-Hogrefe: Ja, ich denke da beispielsweise an meinen eigenen Beruf als Volkswirt hier im Institut für Weltwirtschaft. Hier kann ich sicherlich eine längere Lebensarbeitszeit akzeptieren und angesichts der Herausforderungen im Rentensystem halte ich es auch für richtig, länger zu arbeiten.
Heil will dafür sorgen, dass das Rentenniveau bis 2025 nicht unter 48 Prozent sinkt und zugleich die Beiträge für die Rentenversicherung nicht über 20 Prozent steigen.
Um das zu erreichen, wird der Bund die Rentenversicherung mit mehr als 90 Milliarden Euro bezuschussen. Das bedeutet, ein Drittel der Rente kommt aus Steuermitteln.
Finanzminister Olaf Scholz schlug zudem vor, das Rentenniveau bis 2040 festzuschreiben.
Das Rentenpaket soll in der kommenden Woche vom Bundeskabinett verabschiedet werden.
Lösung flexible Rente
tagesschau.de: Wäre ein flexibles Renteneintrittsalter also der Ausweg?
Boysen-Hogrefe: Im Prinzip ja. Unterschiede zwischen den Berufsgruppen könnten in Vereinbarungen zwischen den Tarifpartner und in Betriebsrenten berücksichtigt werden, um einen früheren Übergang in den Ruhestand zu ermöglichen. Da dies bis 2025 aber kaum flächendeckend und umfassend realisiert werden kann, sollte hier die Politik einspringen und eine Zusatzversorgung bestimmter Berufsgruppen zumindest zeitweise fördern.
tagesschau.de: Einer der jüngeren Menschen, die sich sehr wohl für den Vorschlag von Finanzminister Olaf Scholz erwärmen können, das Rentenniveau bis 2040 festzuschreiben, ist Juso-Chef Kevin Kühnert. Er forderte in einem Interview, die Vermögens- und Erbschaftssteuer heraufzusetzen, um das zu finanzieren. Was halten Sie davon?
Boysen-Hogrefe: Das führt dazu, dass das Kapital, das beweglich ist, das Land verlassen wird. Will man zu erklecklichen Einnahmen kommen, muss man wohl auch an Betriebsvermögen denken. Dann könnte sich die Vermögensteuer zu einer Investitionsbremse entwickeln. Die Gefahr besteht, dass weniger Investitionen getätigt werden und dass weniger Beschäftigung entsteht, und das wiederum belastet die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Und das heißt am Ende, dass das auf die Gruppe zurückschießt, die man doch eigentlich schützen möchte. Man kann nicht einfach sagen, dass der Faktor Kapital eine Kuh ist, die man unbegrenzt melken kann. Insbesondere solange wir keine internationalen Regelungen zur Besteuerung von Kapital und Unternehmen haben.
tagesschau.de: Kommen wir noch einmal zurück zu dem Vorstoß von Finanzminister Olaf Scholz, das Rentenniveau bis 2040 festzuschreiben. Ist eine solche Sicherheit nicht auch sozial?
Boysen-Hogrefe: Nein, denn dieses Versprechen wird den aktiven Teil der Bevölkerung erheblich mehr belasten. Man muss bei den Herausforderungen, die jetzt anstehen, auch die Rentner und die baldigen Rentner mit in die Pflicht nehmen, sonst wird die Rente nicht zu finanzieren sein. Man muss entweder das Renteneintrittsalter weiter anheben oder das Rentenniveau senken.
Das Interview führte Maiken Nielsen, tagesschau.de