Konzerne nach der Atomwende, Teil 2 RWE - Strategiepause zur Unzeit
Zweiter Teil der tagesschau.de-Serie über die Energiekonzerne nach der Atomwende: Der zweitgrößte Konzern RWE kann den Ausstieg nicht mit neuen Konzepten kontern. Der Wechsel im Vorstand und die Gespräche mit Gazprom bedeuten eine Strategiepause.
Von Christoph Stehr, WDR.de
Jeden Tag türmt sich im RWE-Werk Waycross im US-Bundesstaat Georgia ein neuer Berg auf: 2000 Tonnen Holzpellets - gewonnen aus Biomasse - die fossile Brennstoffe bei der Stromerzeugung ersetzt und so zum Klimaschutz beitragen soll. Nach knapp zwei Wochen füllt die Produktion den Laderaum eines Hochseefrachters.
Die Fahrt über den Atlantik endet im niederländischen Dordrecht, dann geht es per Schubkahn weiter zum in der Provinz Nordbrabant gelegenen Kraftwerk Amercentrale des RWE-Ablegers Essent. Dort brennt normalerweise Kohle im Kesselhaus, nun also Pellets.
Grüner reicht noch nicht
"RWE wird grüner", sagt Vorstandsmitglied Leonhard Birnbaum und verweist auf Projekte wie die weltweit größte Biomasse-Fabrik in Waycross, den ersten Offshore-Windpark vor der deutschen Küste oder ein solarthermisches Mega-Kraftwerk in Spanien. Nach eigenen Angaben investiert der Essener Konzern, der sich zu den fünf führenden Strom- und Gasversorgern in Europa zählt, jährlich eine Milliarde Euro in erneuerbare Energien.
Doch unter dem Strich lieferten Sonne, Wind und Biomasse bislang nur 3,5 Prozent des produzierten Stroms. 61 Prozent entfielen auf Braunkohle und Steinkohle, 16 Prozent auf Gas - und 18 Prozent auf Kernkraft. So groß ist nun das Loch, das durch den Atomausstieg in der Stromproduktion von RWE klafft.
Schlechtes Timing
Was besonders schmerzt: Kernkraftwerke sind "Cash Cows" - und ausgerechnet die dürfen nicht mehr gemolken werden. "Die Beschlüsse zur Kernenergie führen zu erheblichen Ergebnisbelastungen", sagt der RWE-Vorstandsvorsitzende Jürgen Großmann am 9. August 2011.
Nach dem Rekordjahr 2010 war schon das erste Halbjahr 2011 verhagelt. Bei einem im Vergleich zum Vorjahreszeitraum nahezu unveränderten Umsatz von 27 Milliarden Euro brach der Nettogewinn um 39 Prozent auf knapp 1,7 Milliarden Euro ein. Vor allem der Betriebsstopp im Kernkraftwerk Biblis machte sich bemerkbar. Inklusive der Brennelementesteuer kamen Sonderbelastungen von 900 Millionen Euro zusammen. Für das Gesamtjahr rechnet RWE mit einem Gewinnrückgang um 35 Prozent.
"Die Einschnitte beim Ergebnis entstehen ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, an dem das größte Investitionsprogramm der Unternehmensgeschichte auf der Zielgeraden ist", klagt Großmann. Neben den Windkraftprojekten meint er damit die Braun- und Steinkohlenblöcke in Neurath, Hamm und Eemshaven sowie Gaskraftwerke in Großbritannien, den Niederlanden und der Türkei. "Wir müssen jetzt handeln, um unsere Kapitalbasis zu stärken und gleichzeitig unsere Investitionsspielräume für künftiges Wachstum zu sichern", meint der RWE-Chef.
Raus mit dem Tafelsilber
Die "Kapitalbasis stärken" bedeutet konkret, dass RWE neue Aktien herausgibt. Investoren sehen eine solche Kapitalerhöhung nicht gern, weil sie dann auch neue Aktien kaufen müssen, damit ihr Anteil am Unternehmen nicht schrumpft. Das heißt, sie legen zusätzliches Geld auf den Tisch, ohne dass ihre RWE-Beteiligung wertvoller wird.
Was die "Investitionsspielräume für künftiges Wachstum" betrifft, denkt Großmann vor allem daran, Unternehmensteile zu verkaufen. Das im Februar 2011 angekündigte Desinvestitionsprogramm wird von acht auf bis zu elf Milliarden Euro ausgeweitet. Auf der Verkaufsliste, die bis Ende 2013 abzuarbeiten ist, stehen beispielsweise die Öl- und Gastochter RWE Dea sowie einige Kraftwerke.
Die Ausgaben werden gebremst
Gleichzeitig tritt der Konzern bei den Ausgaben auf die Bremse. In Sachanlagen wie Kraftwerke und Leitungen werden 2012 und 2013 jeweils höchstens fünf Milliarden investiert und in den Folgejahren nur vier Milliarden Euro. Das bis 2012 laufende "Effizienzsteigerungsprogramm" soll zusätzliche Einsparungen von 100 Millionen Euro bringen. Danach kommt ein neues, wahrscheinlich noch härteres Programm - möglicherweise auch ein drastischer Stellenabbau.
"Im Zentrum unserer Strategie - nachhaltiger, internationaler, robuster - steht die Verbesserung der Effizienz und der CO2-Bilanz unseres Erzeugungsportfolios", fasst Großmann zusammen. Neu sind diese Töne nicht. Denn "nachhaltiger, internationaler, robuster" lautete die Unternehmensstrategie schon vor Fukushima und dem Atomausstieg. Dass bis 2025 mehr als zwei Drittel der Stromproduktion CO2-frei oder CO2-arm sein sollen, verspricht RWE seit längerem. Auch der Plan, in Europa weitere Beteiligungen zu erwerben, ist alt - und nicht gerade bewährt, denn ein Großteil der Schulden, die mitverantwortlich für die Herabstufung der Kreditwürdigkeit durch mehrere Rating-Agenturen sind, rührt von Zukäufen im Ausland her.
Retter in Sicht?
Von einer Strategiewende ist folglich wenig zu sehen. RWE wartet ab - aus zwei Gründen: Zum einen soll Großmann keine Suppe anrühren, die sein designierter Nachfolger Peter Terium auslöffeln müsste. Der Niederländer, der zum 1. September 2011 stellvertretender Vorstandsvorsitzender wird, löst im Juli 2012 Großmann an der Spitze des Unternehmens ab.
Zum anderen würde der Einstieg eines Großinvestors alle Ad-hoc-Pläne zur Krisenbewältigung über den Haufen werfen. Aus der Kooperation, die RWE vor kurzem mit der russischen Gazprom vereinbart hat, kann mehr werden. Branchenkenner halten eine Beteiligung im Umfang von 20 bis 30 Prozent für möglich. Eine Folge wäre, dass Gas im Energie-Mix von RWE ein größeres Gewicht erhielte.
"Auch für erfolgreiche Engagements im Ausland sind ausländische Partner hilfreich", sagt Uwe Leprich, Wirtschaftsprofessor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Saarbrücken. "Zudem sind Schuldenberge abzubauen."
Den 70.000 RWE-Beschäftigten, die durch den geplanten Stellenabbau beim Branchennachbarn E.ON aufgeschreckt sind, käme eine Vernunftehe mit Gazprom durchaus gelegen. Eine Liebesheirat wird daraus sicher nicht. Gemeinsam mit den kommunalen Aktionären, die rund 30 Prozent der RWE-Anteile besitzen, zeigen sich die Arbeitnehmervertreter zurückhaltend. "Natürlich lösen solche Gespräche in der Belegschaft Unruhe aus", sagt der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Heinz Büchel, "weil die Absichten von Gazprom bisher nicht ganz durchsichtig waren."