Interview zu EU-Sanktionen "Unsere Wirtschaft wird stärker leiden"
Die EU-Sanktionen gegen Russland könnten zum Bumerang werden, warnt Andreas Steininger, Vorstand des wirtschaftsnahen Ostinstituts Wismar. Der Grund: Russlands Großkonzerne seien widerstandsfähiger als die mittelständisch geprägte deutsche Industrie.
tagesschau24: Welche Auswirkungen haben die bevorstehenden Sanktionen auf die russische Wirtschaft ?
Andreas Steininger: Schmerzen würde Russland nur ein schneller Stopp der Energielieferungen - aber das steht zurzeit ja nicht zur Debatte. Welche Sanktionen genau verhängt werden, wissen wir noch nicht. Aber es schält sich heraus, dass der Zugang Russlands zum westlichen Kapitalmarkt beschnitten werden soll. Die Wirkung dieses Schritts dürfte aber begrenzt sein: Russland sitzt auf fetten Devisenpolstern, rund 472 Milliarden Euro. Zudem haben Russland und vier andere Schwellenländer - Brasilien, China, Indien und Südafrika - kürzlich eine neue internationale Bank gegründet, über die sich Moskau im Notfall frisches Geld besorgen kann. Und drittens werden die Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft vorerst weiter sprudeln. Hinzu kommt: Die russische Wirtschaft besteht vor allem aus Großunternehmen, die genug Kraft besitzen, Sanktionen auch mal ein paar Monate durchzuhalten. Zumal sie die Unterstützung des russischen Staats genießen.
"Russland wird auf politischer Ebene reagieren"
tagesschau24: Trotzdem hat Präsident Wladimir Putin angekündigt, dass Russland die Sanktionen nicht einfach ignorieren kann. Wie wird er reagieren?
Steininger: Russland wird wahrscheinlich erst einmal auf politischer Ebene reagieren. Eine Möglichkeit ist, zum Beispiel die gemeinsame Syrien- oder Iran-Politik einzuschränken. Dass gleich Maßnahmen gegen ausländische Investoren ergriffen werden, glaube ich hingegen nicht. Dafür müsste unter anderem das Investitionsschutzgesetz außer Kraft gesetzt werden. Es ist aber denkbar, dass ausländische Investoren auf anderem Wege Repressalien ausgesetzt werden.
tagesschau24: Welche Auswirkungen hätte die nächste Sanktionsstufe denn für die deutschen Firmen?
Steininger: Es gibt mehr als 6000 deutsche Unternehmen in Russland, vom deutsch-russischen Handel hängen ungefähr 300.000 Arbeitsplätze hierzulande ab. Anders als die russische Wirtschaft mit ihren Großkonzernen ist die deutsche Wirtschaft mittelständisch geprägt. Viele dieser Unternehmen sind zu klein, um eine Handelskrise allzu lange durchzuhalten. Ich denke, dass ein Sanktionswettlauf die deutsche Wirtschaft zumindest anfangs stärker treffen wird.
Andreas Steiniger ist - ebenso wie Clement - einer der fünf Vorstände des Instituts. Er lehrt Wirtschaftsrecht an der Hochschule Wismar.
tagesschau24: Wie beurteilen Sie die Maßnahmen der EU insgesamt?
Steininger: Bislang hatten die Sanktionen eher symbolischen Charakter. Bei den weiteren Sanktionen kommt es nun darauf an, die EU-Länder ausgewogen zu belasten. Strafmaßnahmen gegen die russische Finanzwirtschaft zum Beispiel würden vor allem Großbritannien mit seinem großen Finanzplatz treffen. Sanktionen im industriellen Bereich dagegen schlagen vor allem auf Deutschland zurück.
"Man kann Russland zu nichts zwingen"
tagesschau24: Gibt aus Ihrer Sicht andere Alternativen, um Russland zum Einlenken im Ukraine-Konflikt zu bewegen?
Steininger: Glauben Sie, man könnte die USA zu irgendetwas bewegen, was diese nicht wollen? Genauso ist es mit Russland. Außenminister Frank-Walter Steinmeier ist in den vergangenen Tagen von der deutschen Presse teilweise sehr hart als zu nachgiebig gegenüber Russland charakterisiert worden. Dieses Urteil ist ungerecht und zeugt auch nicht von wirtschaftlicher und politischer Rationalität.
tagesschau24: Wie weit kann der Konflikt noch eskalieren?
Steininger: Es ist nicht unwahrscheinlich, dass es zu einer Eskalation der Situation, zu einem Wirtschaftskrieg kommen kann. Und es ist nicht auszuschließen, dass unsere Industrie darunter stärker leiden wird als die russische.
Die Fragen stellte Kirsten Gerhard, tagesschau24.