Folgen des Forderungsverzichts Schuldenschnitt kostet die Steuerzahler Milliarden
Der Schuldenschnitt für Griechenland bittet zwar nur die privaten Gläubiger zur Kasse. Dennoch belastet er auch die deutschen Steuerzahler. Der Volkswirt Jens Boysen-Hogrefe rechnet mit Kosten von rund zehn Milliarden Euro. Im Interview mit tagesschau.de erklärt er, wie diese Summe zustande kommt.
tagesschau.de: Freiwilliger Schuldenschnitt, gesetzlicher Schuldenschnitt, gar kein Schuldenschnitt - welches Szenario halten Sie für das wahrscheinlichste?
Jens Boysen-Hogrefe: Das ist schwer zu sagen. Ich gehe aber davon aus, dass es einen Schuldenschnitt geben wird. Ob der allerdings ganz freiwillig erfolgen wird, wage ich zu bezweifeln. Nach wie vor ist offen, ob genügend Gläubiger sich beteiligen werden. Allerdings wissen auch die Verantwortlichen bei Banken und Fonds, dass im Falle einer griechischen Pleite größeres Ungemach droht als im Falle eines Schuldenschnitts. Immerhin sind im zweiten Fall die Verluste berechen- und überschaubar.
tagesschau.de: Nominal liegt der Schuldenschnitt bei 53,5 Prozent. Heißt das tatsächlich, dass die privaten Gläubiger Griechenlands auf mehr als die Hälfte des Geldes verzichten?
Boysen-Hogrefe: Sie würden vermutlich sogar auf noch mehr Geld verzichten. Denn die Verzinsung der dann neuen Anleihen dürfte niedriger sein als die aktuelle Verzinsung. Dadurch ist der effektive Schuldenschnitt noch höher und dürfte je nach Schätzung zwischen 70 und 75 Prozent liegen.
tagesschau.de: Die Idee des Schuldenschnitts besteht ja darin, dass sich eben die privaten Gläubiger an den Kosten für die Griechenland-Rettung beteiligen. Inwieweit aber sind darüber hinaus die deutschen Steuerzahler betroffen?
Boysen-Hogrefe: Sie sind dadurch betroffen, dass sich mehrere Banken ganz oder teilweise im Besitz der deutschen Steuerzahler befinden. In erster Linie ist die Nachfolgeanstalt der Hypo Real Estate, die FMS Wertmanagement, zu nennen. Die FMS Wertmanagement hält griechische Staatsanleihen im Wert von etwa neun Milliarden Euro, die auch wohl in Gänze unter den Schuldenschnitt fallen. Die Commerzbank hält einen deutlich geringeren Anteil, der sich im 100-Millionen-Bereich bewegen soll. Darüber hinaus sind die Steuerzahler an der Commerzbank längst nicht so stark beteiligt wie an der FMS Wertmanagement. Die Landesbanken haben noch größere Verbindlichkeiten als die Commerzbank. Auch hier gehe ich von einer Summe im einstelligen Milliardenbereich aus.
Bislang kein "Griechenland-Soli" notwendig
tagesschau.de: Aus welchem Topf wird die Summe am Ende bezahlt werden müssen? Könnte das heißen, dass es eine Art "Griechenland-Soli" geben wird?
Boysen-Hogrefe: In Relation zu den öffentlichen Haushalten insgesamt halten sich die Auswirkungen eines Schuldenschnitts in Grenzen. Ein Forderungsverzicht würde Ausfälle von rund zehn Milliarden Euro bedeuten. Diese Summe wäre mit Bordmitteln aus dem Haushalt finanzierbar. Dafür bräuchte es keine Extraeinnahme wie einen "Griechenland-Soli". Anders stellt sich die Situation nach dem Ablauf eines zweiten oder gar dritten Rettungspakets dar. Sollten dann nicht die gewünschten Effekte eintreten, dürften Summen zusammen kommen, die die Haushalte und die Steuerzahler spürbar belasten.
tagesschau.de: Das heißt konkret?
Boysen-Hogrefe: Deutschland kann gegenüber Griechenland schon aus dem ersten Rettungspaket Forderungen in Höhe von 22 Milliarden Euro geltend machen. Durch das zweite Rettungspaket kommen noch einmal gut 30 Milliarden hinzu. Mit dem Forderungsverzicht aus dem Schuldenschnitt wären wir dann bei mindestens 60 Milliarden. Nach einem dritten Rettungspaket, veranschlagt auf 50 Milliarden, ergäbe sich eine Summe der Gesamtforderung von 70 bis 80 Milliarden Euro. Dazu kämen die Forderungen der Europäischen Zentralbank an die griechische Zentralbank. Mit anderen Worten: Wir reden über einen knapp dreistelligen Milliardenbetrag. Beim derzeitigen Zinssatz ist aber auch das noch zu stemmen. Sollte aber der Zinssatz in Zukunft deutlich steigen, käme es zu erheblichen Verwerfungen.
Sonderfall Europäische Zentralbank
tagesschau.de: Welche Risiken drohen von Seiten der Europäischen Zentralbank?
Boysen-Hogrefe: Die EZB stellt sehr viel Liquidität für griechische Banken zu Verfügung. Diese Geschäfte werden auch über die griechische Zentralbank mit abgewickelt. Würde die griechische Zentralbank und das griechische Bankensystem komplett ausfallen, und das wäre bei einer Pleite Griechenlands nicht unwahrscheinlich, würde die EZB diese Forderung nicht mehr einholen können. Die aufgelaufenen Verluste würde Deutschland über seinen Kapitalschlüssel in der EZB mittragen. Auch hier reden wir am Ende über den dreistelligen Milliardenbereich.
tagesschau.de: Was passiert nach einem Schuldenschnitt?
Boysen-Hogrefe: Wenn es halbwegs gut läuft, verschafft sich Griechenland Luft bis Ende 2014. In der Zwischenzeit muss es aber Griechenland gelingen, sein Reformprogramm umzusetzen. Und: Dieses Reformpaket muss dazu führen, dass Griechenland wieder auf Wachstumskurs kommt. Dann wäre die Rettung geschafft, und die Kosten für den Steuerzahler würden sich eben auf jene zehn Milliarden belaufen. Allerdings ist diese Option nicht sehr wahrscheinlich, so dass man Ende 2014 wohl neu verhandeln muss.
Das Interview führte Ute Welty, tagesschau.de