Debatte über die Finanzierung des Straßenbaus Eine Maut für alle
Die Fernstraßen und Brücken hierzulande sind marode, doch der Bundesregierung fehlt das Geld für die Sanierung. Auch deshalb denkt sie wieder über private Finanzierungen nach. Der Verkehrsexperte Karl-Heinz Hartwig plädiert im Interview dagegen für eine Gebühr jedermann.
tagesschau.de: Die Bundesregierung erwägt offenbar, private Unternehmen stärker an der Sanierung maroder Straßen und Brücken zu beteiligen. Warum will sich die Regierung aus diesem Bereich stärker zurückziehen - die Steuereinnahmen entwickeln sich doch erfreulich?
Karl-Heinz Hartwig: Auf die öffentlichen Haushalte kommen zukünftig möglicherweise enorme Herausforderungen zu - denken Sie nur an die enormen Folgen des demographischen Wandels für die Sozialkassen. Außerdem dürfen die Bundesländer wegen der Schuldenbremse ab Ende des Jahrzehnts gar keine Schulden mehr aufnehmen und der Bund nur noch in geringem Umfang. Das bedeutet, dass eventuell Mittel fehlen werden, um die Infrastruktur zu finanzieren.
tagesschau.de: Bundesverkehrsminister Dobrindt werkelt ja unverdrossen an einer Pkw-Maut. Reichen die prognostizierten Einnahmen nicht aus - vorausgesetzt, sie kommt überhaupt?
Hartwig: Der Pkw-Maut soll laut Koalitionsvertrag nur ausländische Fahrer belasten. Nach allen Schätzungen werden die dadurch eingenommenen Mittel nicht sehr hoch sein, weil die deutschen Autofahrer von der Maut befreit sein sollen. Man rechnet bei diesem Modell mit 200 bis 700 Millionen Euro pro Jahr. Das reicht hinten und vorne nicht, um die Erhaltungsmängel unserer Fernstraßen, Ausbau- und Neubaumaßnahmen zu finanzieren.
Schneller, aber teurer
tagesschau.de: Welche Erfahrungen hat Deutschland bislang mit der Beteiligung privater Investoren gemacht?
Hartwig: Die Erfahrungen sind unterschiedlich. Die privat finanzierten Projekte sind wesentlich schneller fertig gestellt worden, als das traditionell der Fall war. Der Bundesrechnungshof hat aber Mitte des Jahres ein Gutachten veröffentlicht, wonach die Kosten von solchen Projekten höher waren als bei einer traditionellen Finanzierung.
tagesschau.de: Welche Gründe hat der Bundesrechnungshof dafür angeführt?
Hartwig: Der Bundesrechnungshof weist auf den bekannten Umstand hin, dass private Investoren für die Finanzierung solcher Projekte Kredite aufnehmen müssen. Sie müssen dann wesentlich höhere Zinsen zahlen, als der Staat es bei einer Kreditaufnahme muss. Der Zinsvorteil des Staates ist laut Rechnungshof wesentlich höher als die Kostenersparnis, die man durch Projekte mit privater Beteiligung erreichen kann. Ich weise aber darauf hin, dass die Zeitersparnis privater Projekte auch zu enormen Vorteilen führen kann.
Schwarzes Loch Bundeshaushalt
tagesschau.de: Wie könnte ein Modell aussehen, das sich für den Staat rechnet?
Hartwig: Es gibt in einigen europäischen Staaten ja völlig privat finanzierte Infrastrukturen. Das Problem in Deutschland besteht darin, dass der Staat über die Mineralöl- und Kfz-Steuer zwar Gelder einnimmt, diese aber nicht zweckgebunden sind. Sie müssen also nicht für den Straßenbau verwendet werden. Und so fließt das Geld in den Haushalt - und verschwindet dann.
tagesschau.de: Das ist auch die Erfahrung aus der Lkw-Maut.
Hartwig: Als die Lkw-Maut kam, hat man mit zusätzlichen Einnahmen für den Straßenbau gerechnet. Aber der Bund hat dann seine Mittel um genau diesen Anteil gekürzt.
Alle zahlen in einen geschützten Fonds
tagesschau.de: Man müsste also ein Modell finden, das die Einnahmen vor den Begehrlichkeiten des Finanzministers schützt.
Hartwig: Deshalb wird ein Modell diskutiert, in dem die Fernstraßen durch eine Maut für alle Nutzer, also auch für deutsche Autofahrer, finanziert werden. Diese Mittel würden dann nicht in den Haushalt fließen, sondern gleich an eine unabhängige Infrastrukturgesellschaft gehen. Und die entscheidet dann, wie die Mittel verwendet werden - rein zweckgebunden für den Straßenbau.
tagesschau.de: Dieses Modell kennen wir aus Österreich.
Hartwig: Wenn sie dort ein "Pickerl" kaufen, geht das an die weitgehend autonome Gesellschaft ASFINAG, und die finanziert den Straßenbau.
tagesschau.de: Das würde aber bedeuten, dass es für die deutschen Autofahrer doch teurer würde, und das hat die Bundesregierung für diese Legislaturperiode ausgeschlossen.
Hartwig: In der Tat kann man argumentieren, dass die Steuerzahler die Fernstraßen über ihre Steuern ja schon bezahlt haben und man sie durch eine Maut erneut belasten würde. Deshalb ist der Gedanke Kompensation über die Kfz-Steuer nicht neu. Wenn wir die Bundesfernstraßen auch durch deutsche Pkw-Nutzer finanzieren müssten, würde das vermutlich einen Betrag von 70 bis 80 Euro im Jahr bedeuten. Die Frage ist, ob ein solcher Betrag nicht zumutbar ist.
Schattenhaushalt durch Fondslösung?
tagesschau.de: Offenbar wird in Berlin auch ein Fondsmodell diskutiert, in den der Staat und die KfW das Grundkapital einbringen und das übrige Geld von Investoren kommt. Welchen Charme hätte eine solche Lösung?
Hartwig: Ein solcher Fonds könnte möglicherweise auch Kredite für die Finanzierung von Straßenbauprojekten aufnehmen. Genau damit hätte ich meine Probleme. Mit einem solchen Schuldenhaushalt könnte man die Vorgaben der EU unterlaufen, denn diese Schulden würden ja nicht zum Staatshaushalt gehören. Dieser Fond dürfte sich also nicht auf Teufel komm‘ raus verschulden und auch nicht Projekte finanzieren, für die möglicherweise gar kein Bedarf besteht. Es müsste sichergestellt sein, dass nur Projekte finanziert werden, bei denen das Nutzen-Kosten-Verhältnis stimmt.
tagesschau.de: Das wäre also eine Frage der Kontrolle.
Hartwig: Deswegen schlage ich vor, dass die Mauteinnahmen direkt in eine solche Gesellschaft fließen und sie sich nur auf diesem Weg finanziert. Wenn dann die Einnahmen nicht reichen, wäre der Staat gefordert. Es gibt ja Autobahnen, die nur schwach ausgelastet sind. Eine Maut würde zur Finanzierung nicht ausreichen. Möglicherweise wünscht sich der Staat diese Projekte aus Gründen des Gemeinwohls oder der regionalen Entwicklung. Dann müsste er selbst Gelder zur Verfügung stellen.
Das Gespräch führte Eckart Aretz, tagesschau.de