Nach Kohleausstieg "Herausforderung für Kohlekumpel-Kinder"
Unternehmen auf dem Land ansiedeln, bessere Zugverbindungen? Wie der Strukturwandel gelingen kann und wovon man lieber die Finger lässt, erklärt Energieexperte Wehnert im tagesschau.de-Interview.
tagesschau.de: Insgesamt 40 Milliarden Euro aus Steuergeldern sollen in die Regionen der Kohle-Reviere fließen, um den Kohleausstieg zu kompensieren. Ist das viel oder wenig angesichts der Herausforderungen?
Timon Wehnert: Wenn das die Kompensation dafür sein soll, dass man den Kohleausstieg ein paar Jahre vorzieht, dann ist diese Summe eigentlich zu hoch. Denn wenn man gegenrechnet, was den Regionen konkret verloren geht, ist das eine Überkompensation.
Andererseits braucht eine Region wie die Lausitz dieses Geld dringend. Denn die Region war ja schon vorher strukturschwach, weil die Industriestruktur der DDR nach der Wende nicht mehr haltbar war und dort viel weggebrochen ist. Außerdem: Wenn man bedenkt, dass die Förderungen auf 20 Jahre hin angelegt sind, relativiert sich die Summe. Ins Ruhrgebiet ist im Rahmen des Ausstiegs aus der Steinkohleförderung seit den 1960er-Jahren viel mehr Förderung geflossen. Wobei das auch ein längerer Prozess war, an dem viel mehr Arbeitsplätze hingen.
"Zwei Drittel der Beschäftigten sind über 45"
tagesschau.de: Trotz dieser - zumindest - beachtlichen Summe haben die Menschen dort Angst, am Ende doch abgehängt zu werden. Ist die berechtigt?
Wehnert: Ich kann jeden einzelnen Betroffenen sehr gut verstehen. Wenn man nicht weiß, wie es mit dem Job weitergeht, man vielleicht Familie hat und ein Haus gebaut, ist das sehr schwer. Aber die Herausforderung des Kohleausstiegs ist nicht die Kompensation für einzelne Beschäftige, sondern die Regionen insgesamt zu unterstützen. Zwei Drittel der Beschäftigten in der Kohle sind über 45 Jahre alt. Das heißt, wenn man in 15 bis 20 Jahren aus der Kohle aussteigt, dann würden die allermeisten der Beschäftigten ohnehin in Rente gehen. Es sind also nur wenige Leute für die Sozialpläne, Frühverrentung oder Jobwechsel nötig sind.
Streng genommen geht es gar nicht um die Kohlekumpel, sondern um die Kinder der Kohlekumpel. Darum, ob die in Zukunft noch in der Region einen Job bekommen und bleiben. Und diese Herausforderung ist sehr groß, weil die Arbeitsplätze derzeit sehr konzentriert sind auf einige wenige Landkreise. Dabei sind die Regionen, um die es hier geht, sehr unterschiedlich.
Was folgt auf die Braunkohle - und was gibt den betroffenen Regionen eine neue Zukunft?
tagesschau.de: Inwiefern?
Wehnert: Für die Lausitz beispielsweise ist die Abwanderung eine der größten Herausforderungen, während im Rheinischen Revier zwischen Aachen und Köln die Kinder sogar im Haus der Eltern wohnen bleiben könnten und nach Köln pendeln, um dort beispielsweise was mit Medien zu machen. Man muss da sehr unterschiedlich ansetzen.
Der Versuch, einfach große Firmen in der Region anzusiedeln, wie es im Ruhrgebiet gemacht wurde, dürfte in der Lausitz sehr schwierig werden. Das hat schon nach der Wende nicht funktioniert. Man muss zunächst mal die Infrastruktur verbessern. Das sieht das Gesetz ja auch vor: zum Beispiel eine zweigleisige Anbindung zwischen Cottbus und Berlin. Aber auch die digitale Infrastruktur muss ausgebaut werden.
"Die Lausitz ist ein spannender Ort"
tagesschau.de: Wohin sollte das Geld außerdem investiert werden?
Wehnert: Zum Beispiel in Energieeffizienz, Nahwärme-Versorgungssysteme, Gebäudedämmung und so weiter. Man muss überlegen, wie man die bestehenden Kraftwerke weiter nutzen kann, beispielsweise in Kombination mit Erneuerbaren Energien und Speichersystemen. Es gibt ja eine Infrastruktur in diesen Regionen, auf der man aufbauen kann. Man muss aber auch ganz klar sagen: Das alleine wird nicht reichen. Man muss sich von der Hoffnung verabschieden, dass die 8000 Kohlekumpel in der Lausitz und deren Kinder alle wieder im Energiesektor arbeiten. Man muss da auch andere Sektoren erschließen.
Gerade die Lausitz ist da ein spannender Ort. Die Mieten sind dort günstig. Das könnte für einige Firmen in Berlin interessant sein, denen Berlin zu teuer wird und wo die Leute aufs Land ziehen wollen. Dann braucht man aber auch einen guten Bahnanschluss, gutes digitales Netz, Schulen, kulturelle Bildungsangebote und zivilgesellschaftliche Strukturen, damit es schönes Wohnen mit guter Lebensqualität ist.
"Förderung an Nachhaltigkeitsziele koppeln"
tagesschau.de: Was sind die Herausforderungen im Rheinischen Revier?
Wehnert: Dort geht es weniger um die wegfallenden Arbeitsplätze im Kohlebergbau selbst, die kann die Region absorbieren. Stattdessen ist die Frage, wie die vorhandenen Industrien weiter bestehen können. Dort gibt es sehr viel energieintensive Industrie, wie Aluminium- oder Chemieindustrie. Hier liegt die Bedrohung im durch die Energiewende steigenden Strompreis. 0,2 Cent pro Kilowattstunde Steigerung bis 2030, wie Hochrechnungen sagen, sind vielleicht für den einzelnen Verbraucher wenig, für manche Industrien ist das aber ein großer Kraftakt - trotz gewisser Ausnahmeregelungen.
Der Aluminium-Hersteller Trimet ist beispielsweise dabei, seine Produktion an das fluktuierende Stromangebot anzupassen. Wenn es viel Sonne und Wind gibt, kann der Strom ja sehr billig, ansonsten sehr teuer sein. Diese Firma hat nun mit Fördergeldern ihre Anlagen so verändert, dass sie ihren Verbrauch um 25 Prozent hoch- oder runterfahren können, um langfristig von den Strompreisen zu profitieren. Solche Beispiele muss man finden und unterstützen.
tagesschau.de: Welche Bilanz ziehen Sie zum Gesetz?
Wehnert: Das Gesetz ist ein guter Rahmen, die Frage ist am Ende, wie der konkret gefüllt wird. Es gibt sehr gute Ansätze, wie die gezielte Ansiedlung von Forschungseinrichtungen und Bundesbehörden. Das hat man auch im Ruhrgebiet mit den Universitäten so gemacht und das ist sehr sinnvoll. Das stärkt die Innovationskraft in der Region.
Allerdings müsste das Gesetz die Förderung stärker an Nachhaltigkeitsziele koppeln. Es ist beispielsweise sehr viel Straßenbau vorgesehen. Nun ist das Ziel des Kohleausstiegs ja die CO2-Reduktion. Gleichzeitig steckt man nun aber viel Geld in genau den Sektor, der die Emissionen hoch treibt. Das ist kontraproduktiv.
Das Gespräch führte Sandra Stalinski, tagesschau.de