Ein animierter Roboter steuert über ein Display eine Industrieanlage.
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Die Angst vor dem Börsen-Crash Platzt jetzt die KI-Blase?

Stand: 06.09.2024 08:06 Uhr

Steht nach dem Nvidia-Kursrutsch der große KI-Crash an den Börsen bevor? Experten sehen Parallelen zur Dotcom-Blase, Künstliche Intelligenz sei massiv überbewertet.

Eine Analyse von Angela Göpfert, ARD-Finanzredaktion

Wie viel ist die Zukunft wert? Etwa eine Billion Dollar - so viel will die gesamte Tech-Industrie in den kommenden Jahren in Künstliche Intelligenz (KI) investieren. Das ist selbst für das Silicon Valley, in dem einige Unternehmen über einen Börsenwert jenseits der Billion-Dollar-Grenze verfügen, eine Menge Geld.

KI so wichtig für die Menschheit wie das Feuer?

Wer so viel Geld in eine Sache investieren möchte, muss davon schon wirklich überzeugt sein - und das sind die Tech-CEOs offenbar. Bereits im Jahr 2018 war sich Google-Chef Sundar Pichai sicher: "KI ist eines der wichtigsten Dinge, an denen die Menschheit arbeitet. Es ist tiefgreifender als, ich weiß nicht, Elektrizität oder Feuer."

Und obwohl es bestimmt nirgendwo mehr glühende KI-Anhänger gibt als in der Führungsspitze von Unternehmen wie Google, Meta, Amazon und Microsoft, die mit finanziellen Mitteln bestens ausgestattet sind, muss das ganze Geld auch irgendwann einmal wieder hereingeholt werden. Die Alternative wäre ein wirtschaftlicher Kollaps, wie ihn die Welt seit Jahren nicht mehr erlebt hat - oder hat er am Ende bereits begonnen?

Hustet Nvidia, bekommt die Börse eine Grippe

Der knapp zehnprozentige Kurseinbruch des KI-Profiteurs Nvidia zu Wochenbeginn lässt jedenfalls aufmerken. Schließlich reduzierte sich die Marktkapitalisierung des Chipkonzerns dadurch um 279 Milliarden Dollar - so viel Börsenwert hat bislang noch kein US-Unternehmen an nur einem Tag verloren.

Das schürte an den Börsen die Furcht vor einer neuen Verkaufswelle oder gar einem Platzen der KI-Blase, waren doch die KI-Hoffnungen einer der ganz großen Kurstreiber der vergangenen Monate gewesen. Die fehlende Marktbreite, also die Konzentration des Aktienmarkts auf wenige Akteure, macht sich nun negativ bemerkbar. Nicht umsonst heißt es unter Händlern: Hustet Nvidia, bekommt die Börse eine Grippe. Die Nvidia-Aktie hat seit ihrem Rekordhoch im Juni bereits rund 25 Prozent eingebüßt, laut einer gängigen Börsenregel befindet sie sich damit in einem Bärenmarkt.

Wie FOMO die KI-Investitionen antreibt

Doch noch gibt es keinerlei Anzeichen, dass die Großen der Tech-Branche Zweifel an ihren KI-Investitionen bekommen hätten. Im Gegenteil: Sie alle scheinen weiter getrieben von der Angst, das nächste große Ding zu verpassen. Diese englisch "Fear of Missing Out", kurz FOMO genannte Angst klang zuletzt noch bei Präsentationen der Quartalszahlen von Google an. Dabei unterstrich Pichai: "Das Risiko, zu wenig in die KI-Infrastruktur zu investieren, ist dramatisch größer als zu viel zu investieren."

Dahinter steckt auch die Hoffnung, dass sich die gigantischen Investitionen eines Tages auszahlen werden. Die Unternehmensberatung Next Move Strategy Consulting schätzt das weltweite KI-Marktvolumen bis Ende 2030 auf 1,847 Billionen Dollar. Einer Prognose der Unternehmensberatung PwC zufolge dürfte KI das globale BIP bis 2030 sogar um nahezu 16 Billionen Dollar erhöhen - vor allem dank einer verbesserten Arbeitsproduktivität.

So teuer kommt ChatGPT den OpenAI-Konzern

Tatsächlich ist aber die ökonomische Wertschöpfung von KI-Firmen bislang noch extrem gering. Und sie könnte es für eine ganze Weile bleiben. Denn generative KI zu bauen und zu betreiben ist extrem kostenintensiv. Immerhin kosten KI-Chips zehntausende Dollar je Halbleiter. Milliardensummen müssen her, um die schnellsten Supercomputer für das Training mit neuen KI-Systemen zur Verfügung zu haben.

Allein die Google-Mutter Alphabet investierte im vergangenen Quartal zwölf Milliarden Dollar in KI. Laut OpenAI-Chef Sam Altman ist sein Unternehmen das kapitalintensivste Start-up der Geschichte. 2023 schätzte eine Studie, dass der Betrieb von ChatGPT das Unternehmen pro Tag 700.000 Dollar kostet. Und je mehr Menschen den Chatbot benutzen, desto höher steigen diese Kosten.

OpenAI hatte erst vergangene Woche mitgeteilt, dass sich die wöchentliche ChatGPT-Nutzerzahl seit November auf nunmehr über 200 Millionen User verdoppelt hat. Den hohen Investitionen in KI stehen bislang aber nur magere Umsätze gegenüber. In diesem Jahr könnte OpenAI fünf Milliarden Dollar Miese machen - zehnmal so viel wie 2022.

Big Tech im "Bubble Land"?

Es sind solche Zahlen, die die KI-Skeptiker auf den Plan rufen. In den vergangenen Wochen haben zahlreiche Analysten großer Banken wie Goldman Sachs und Barclays, aber auch Tech-Wagniskapitalfirmen wie Sequoia Capital Zweifel geäußert, dass sich die gigantischen KI-Investitionen in absehbarer Zukunft auszahlen werden.

Sequoia Capital rechnet minutiös vor, dass sich die große KI-Rechnung, also all das Geld, das die Tech-Firmen in KI bislang investiert haben, mittlerweile auf 600 Milliarden Dollar beläuft. Diese 600 Milliarden Dollar müssen erst einmal verdient werden, damit sie das Wagnis KI wenigstens kostenneutral überstehen.

Der Hedgefonds Elliott von Paul Singer teilte seinen Kunden laut "Financial Times" jüngst in einem Brief mit, dass Künstliche Intelligenz massiv überbewertet sei ("overhyped"). Nvidia und der gesamte Big-Tech-Sektor lebten in einem "Blasen-Land" ("bubble land").

Dotcom-Blase als Vorbild?

Allerdings ist schwer bis gar nicht vorhersehbar, wann eine Blase platzt. Die Preise - in diesem Fall für Aktien von KI-Unternehmen - steigen nämlich so lange weiter, wie es am Markt einen "noch größeren Narren" gibt, der noch mehr dafür bezahlt. Das besagt die "Greater-Fool-Hypothese".

Die Geschichte lehrt uns aber, wie diese Börsenblase enden wird - nämlich genauso wie all ihre Vorgänger, sei es die Eisenbahn- oder die Dotcom-Blase: mit einem rasanten Absturz der Kurse, der das Zeug dazu hat, nicht nur einzelne Spekulanten, sondern ganze Volkswirtschaften mit in den Abgrund zu reißen. Einige der jetzt gehypten Unternehmen mögen sicherlich überleben und gestärkt daraus hervorgehen. Doch womöglich müssen sie erst durch ein Tal der Tränen schreiten.

Wenn die Musik aufhört zu spielen

So brach etwa der Amazon-Kurs mit dem Platzen der Dotcom-Blase um 95 Prozent von seinem damaligen Rekordhoch ein. Es dauerte Jahre, bis er sich erholte. Das sollte all denjenigen eine Warnung sein, die jetzt noch blind auf den KI-Trend setzen und die Risiken ignorieren.

"Solange die Musik spielt, musst du aufstehen und tanzen. Wir tanzen immer noch", wies einst der damalige Citigroup-Chef Chuck Prince die Ängste der Anleger vor dem Platzen der Immobilienkrise zurück. Weniger als einen Monat später brach mit der deutschen IKB die erste Bank zusammen - und die Finanzkrise nahm ihren Lauf.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 am 06. August 2024 um 07:38 Uhr.