Interview

Interview zur Finanzmarktkrise "Die Gier ist schuld"

Stand: 16.09.2008 18:15 Uhr

Was hat die Finanzmärkte so tief in die Krise getrieben? Es ist die Gier, die in den Unternehmen herrsche, meint der Wirtschaftsethiker Thielemann. Im tagesschau.de-Interview macht Thielemann Vorschläge, wie dieser Gier Einhalt geboten werden könnte.

Was hat die Finanzmärkte so tief in die Krise getrieben? Es ist die Gier, die in den Unternehmen herrsche, meint der Wirtschaftsethiker Ulrich Thielemann von der Universität St. Gallen. Mit schweren Folgen für die Gesamtwirtschaft. Im tagesschau.de-Interview macht Thielemann Vorschläge, wie dieser Gier Einhalt geboten werden könnte.

tagesschau.de: Hochriskante Geschäfte, Turbulenzen, Pleiten, jetzt steht die Investmentbank Lehman Brothers vor dem Aus. Haben sich die Anleger in ihrem Renditewahn schlicht verzockt?

Ulrich Thielemann: Nicht nur die Anleger haben sich verzockt. Vor allem auch die Finanzmarktakteure, also die Bank und ihre Mitarbeiter, haben sich verkalkuliert. Die haben hochriskante, für andere gefährliche Geschäfte gemacht. Risiko allein - das ist Privatangelegenheit; da hat man eben Pech gehabt. Hier aber wird die Gesamtwirtschaft in Mitleidenschaft gezogen. Wir alle sind davon betroffen, weil die Wirtschaft ja vernetzt ist. Wir, die Bürger, die sonst gar nichts damit zu tun haben, müssen jetzt einspringen. Das ist keine Privatangelegenheit. Und damit wird das wirtschaftsethisch hochrelevant.

Zur Person
Ulrich Thielemann (geboren 1961 in Remscheid) ist Vizedirektor des Instituts für Wirtschaftsethik an der Universität St. Gallen in der Schweiz. Thielemann formulierte mit seiner Promotion 1996 "Das Prinzip Markt" eine Kritik des Ökonomismus und habilitiert jetzt zum Thema "Wettbewerb als Gerechtigkeitskonzept".

"Beim Crash haben die Herrschaften längst abgesahnt"

tagesschau.de: Wie konnte es so weit kommen?

Thielemann: Eine der Hauptursachen für diese Krise sind wie bei der letzten Krise, dem Zusammenbruch der New Economy, die Anreizsysteme. Den Mitarbeitern werden größte Freiräume gelassen, wenn sie denn Cash generieren. Gerade im Finanzbereich ist das exorbitant, dort werden ja Milliarden an Boni jedes Jahr gezahlt. Die Mitarbeiter tun dann eben alles, was möglich ist, um Cash zu generieren: Sie gehen für andere gefährliche Geschäfte ein. Kommt es zum Crash, wird die Realwirtschaft in Mitleidenschaft gezogen. Zwischenzeitlich haben die Herrschaften die Boni aber längst abgesahnt.

Meine These ist, dass zu viel Kapital im Spiel ist und die Akteure dieses viele Kapital an sich binden möchten. Indem sie noch ein bisschen radikaler sind als die anderen, ein weitergehendes Anreizsystem bieten. So wird dann 25-Prozent-Eigenkapital-Rentabilität angestrebt. Das führt regelmäßig zu Krisen, weil die Realwirtschaft diese Wachstumsraten nicht hergibt.

Der Glaube an die unsichtbare Hand des Marktes

tagesschau.de: Wenn die Krise also vorprogrammiert war, warum reagieren viele Analysten dann so überrascht?

Thielemann: Die Frage stelle ich mir auch. Das ist ziemlich rätselhaft. Dieses Kartenhaus musste irgendwann zusammenstürzen, und die mussten das doch wissen. Die einzige Erklärung, die ich dafür habe, ist, dass sie zu sehr an das Wunder des Marktes glauben, dass da lautet: Wenn nur das  ökonomische Eigeninteresse konsequent verfolgt wird, dann ist das letztlich gut für alle und somit legitim. Die unsichtbare Hand des Marktes wird alles zum Guten für alle richten.

"Das ist ein echter Skandal"

tagesschau.de: Statt der Selbstheilungskräfte des Marktes sollen jetzt Staatsgelder in Schwierigkeiten geratene Banken retten.

Thielemann: Das ist ein echter Skandal. Immer größere Anteile der Wertschöpfung gehen an das Kapital und an die Kapitaldienstleister, vor allem an Banker. Die Statistik zeigt zum Beispiel, dass ein Prozent der amerikanischen Bevölkerung 23 Prozent der Wertschöpfung bekommt. Und davon sind ein großer Anteil Managervergütungen. Die haben den Karren in den Dreck gesetzt. Aber im wesentlichen müssen jetzt die anderen, die unter dem Druck, den die erzeugt haben, leiden, auch noch den Karren rausziehen. Und zwar auch mit Steuergeldern, die die Manager nur unterproportional geleistet haben.

"Alle Dämme sind gebrochen"

tagesschau.de: Bei Lehman Brothers haben sich die Mitarbeiter aber selbst um den Job gebracht.

Thielemann: Die Zeche zahlen natürlich teilweise auch die Akteure– die entlassenen Investmentbänker zum Beispiel und die Aktionäre. Aber die wurden vorher fürstlich vergütet. Da kann man eine Rechnung anstellen, ob unter dem Strich eher ein Plus oder ein Minus steht. Ich würde sagen, eher ein Plus. Es hat die Gier Einzug gehalten, alle Dämme sind gebrochen. Deshalb bedarf es dringend der Regulierung. Denn die Privatwirtschaft ist eben nicht Privatsache. Und allein kommt die Branche da nicht raus.

Manager wie Bürokraten bezahlen

tagesschau.de: Was würden Sie vorschlagen: Wie könnte, wie sollte man regulieren?

Thielemann: Der Anteil an variabler Vergütung auf allen Ebenen des Unternehmens sollte begrenzt werden. Etwa: Die Mitarbeiter dürfen nicht mehr als 20 Prozent variabel vergütet bekommen. Das klingt ziemlich harmlos. Wenn das Kapital meint, dem Top-Management weiter die Millionen hinterher zu werfen, kann es das gerne machen – aber als Festgehalt. So ist über längere Frist das Einkommen der Beschäftigten konstant, so dass sie sich auf die sachlich gute Aufgabenerfüllung konzentrieren können. Und nicht darauf, wie sie ihren Bonus steigern können. Der Grundsatz, den einige Wissenschaftler deshalb vertreten, lautet: Manager sollten wie Bürokraten bezahlt werden. Das kann möglicherweise nur auf der Ebene der Weltwirtschaft vollzogen werden, damit die Mitarbeiter nicht einfach dorthin abwandern, wo noch hohe Boni gezahlt werden. Das ist mein Vorschlag, um davon wegzukommen, dass die Unternehmen von Gier regiert werden.

"Nur weil einige ihre Spiele spielen"

tagesschau.de: Wenn die Märkte nicht reguliert werden, welcher Zukunft gehen wir entgegen?

Thielemann: Dann ist die nächste Krise vorprogrammiert. Dann beginnt das gleiche Spiel noch mal. Man darf sich nun fragen, welches nach New-Economy- und Immobilien-Blase die nächste ist. Gut möglich, dass die nächste Krise im Ressourcenbereich entsteht: Öl, Nahrungsmittel, Edelmetalle. Das Platzen einer Blase in diesem Bereich würde die Realwirtschaft in Mitleidenschaft ziehen. Und das ist aus ethischer Sicht eine Frage der Fairness. Viele wären hart getroffen, nur weil da einige Kapitalmarktakteure diese Spiele spielen. Das ist ganz klar unfair.

Das Interview führte Claudia Witte, tagesschau.de.