
Deutsche Bahn Mehr Geld, aber die Köpfe fehlen
Bis Ende 2030 will die Deutsche Bahn insgesamt 41 hochbelastete Strecken sanieren. Dafür sperrt sie die Abschnitte teilweise komplett - und das zu einem hohen Preis.
Die Deutsche Bahn war pünktlich. Vermutlich auch, weil alle hingeschaut haben auf das Riedbahn-Projekt. Der Verkehrsminister, die Reisenden, das Management. Die Sanierung der am höchsten belasteten Bahnverbindung im deutschen Schienennetz musste klappen - im Zeitplan.
In fünf Monaten wurden 70 Kilometer Schiene saniert zwischen Mannheim und Frankfurt am Main. Durch die zeitweise Vollsperrung habe man mindestens 16 künftige Sperrungen der Strecke in den kommenden Jahren vermeiden können, so der Konzern.
200 Millionen Euro teurer als geplant
Doch das hatte offenbar einen höheren Preis als geplant: Statt 1,3 Milliarden Euro kostete die Sanierung im Schnelldurchlauf am Ende 1,5 Milliarden Euro. Das sind 15 Prozent mehr als vorgesehen. Laut einer Bahnsprecherin sind bis zu 20 Prozent Nachtragskosten bei Bauprojekten dieser Art erwartbar. Die Riedbahn sei in einem deutlich schlechteren Zustand gewesen, als die Bahn erwartet hatte - deshalb die Mehrkosten.
Dass die Kosten gestiegen sind, überrascht den Bahn-Experten Christian Böttger von der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW) wenig: "Mit der Riedbahn-Sanierung hat die Bahn ganz plötzlich ganz viele Leistungen nachgefragt, während das Angebot aufgrund des Fachkräftemangels gleichgeblieben ist. Das führt zu massiven Kostensteigerungen."
Für die Bauingenieurin und Vorsitzende des Verbands Deutscher Eisenbahningenieure, Birgit Milius von der TU Berlin, könnte vor allem die Arbeit rund um die Uhr der maßgeblich treibende Kostenfaktor gewesen. Da könne man schnell in die "Geldfalle tappen", so die Bauingenieurin.
Riedbahn war nur der Auftakt
Das nächste Großprojekt folgt ab August: Die Sanierung der 278 Kilometer langen Strecke zwischen Hamburg und Berlin. Ein Mammutprojekt über neun Monate bis Ende April 2026. Nirgendwo in Deutschland pendeln mehr Menschen zwischen zwei Städten.
Die Strecke soll lahmgelegt, neue Gleise verlegt, Weichen, Oberleitungen, Stellwerkstechnik und mehrere Bahnhöfe modernisiert werden. Außerdem soll es neue Überholmöglichkeiten geben, damit schnellere ICE-Züge nicht von langsameren Güter- oder Regionalzügen ausgebremst werden.
"Deutschlands größter Ersatzverkehr"
Täglich blieben bis zu 65 ICE-Fahrten, kündigt die Bauherrin an - 36 davon als Direktverbindung mit längerer Fahrtzeit von mindestens 45 Minuten, weil Züge auch über Hannover umgeleitet werden. Zum Vergleich: Aktuell nutzen etwa 230 Züge im Güter- und Personenverkehr die Verbindung jeden Tag.
Aufs Zugfahren verzichten müssen vor allem jene Menschen, die entlang der Strecke wohnen. Einige Bahnhöfe werden zeitweise nicht mehr angefahren. Für die Leidtragenden heißt es dann: Bus fahren in "Deutschlands größtem Ersatzverkehr", wie es die Deutsche Bahn formuliert. Immerhin: Der Schienenersatzverkehr mit eigens angeschafften Bussen funktionierte zuletzt bei der Riedbahn-Vollsperrung sehr gut.
41 Projekte bis Ende 2030
Nach dem Prinzip "aus einem Guss" sollen bis Ende 2030 die 41 wichtigsten und am höchsten belasteten Strecken in Deutschland erneuert werden. Mit dabei zum Beispiel die Verbindung Hagen-Wuppertal-Köln (Baubeginn 2026), oder die Strecke zwischen Lehrte bei Hannover und Berlin, ab 2027.
Insgesamt geht es um 4.000 Kilometer des insgesamt 34.000 Kilometer langen Schienennetzes. Es sind neuralgische Punkte, sogenannte Hochleistungskorridore, die häufig ausfallen und für massive Verspätungen im gesamten Bahnnetz sorgen. Zudem sollen weitere 4.000 Kilometer durch "kleinere und mittlere Maßnahmen" verbessert werden. Bis Ende 2027 will die DB eine Pünktlichkeit der ICE- und IC-Züge von 75 bis 80 Prozent schaffen. Im vergangenen Februar waren es 66,3 Prozent.

Die Karte zeigt Bahnstrecken in Deutschland mit geplanter Generalsanierung.
"Es ist mehr Geld da, aber es sind nicht mehr Köpfe da"
Branchenkenner sind indes skeptisch, ob die Deutsche Bahn das ehrgeizige Bau- und Umleitungskonzept hinbekommt wie vorgesehen. Schon jetzt gebe es zu wenig Planer, zu wenig Disponenten, zu wenig Baufirmen und Ingenieure für solch große Bahnbaustellen in Deutschland.
Birgit Milius von der TU Berlin findet die großangelegten Sanierungen generell gut, hält den Plan aber für sehr ambitioniert: "Vielleicht würde es der ganzen Sache auch gut tun, lieber zu sagen, wir setzen das nicht bis 2030 um, sondern bis 2033 oder 2034. Und haben dafür bessere Umleitungsstrecken, mehr Bürgerbeteiligung und schaffen mit weniger Mitteln einen höheren Mehrwert."
Künftig sollen nach den Plänen der Deutschen Bahn manche Hochleistungsstrecken sogar parallel saniert werden. Das könne nur zulasten kleinerer Streckensanierungen gelingen, schätzt Bahn-Experte Christian Böttger, weil Personal abgezogen werden müsste: "Es ist mehr Geld da, aber es sind nicht mehr Köpfe da".
Großprojekte zulasten kleinerer Arbeiten?
Die Experten Böttger und Milius würde es nicht wundern, wenn für die Riedbahn-Sanierung bereits Fachkräfte von anderen, kleineren Bauprojekten abgezogen werden mussten und dann dort fehlten. Vor allem aus dem Bereich der Abnahmeprüfung, also dem letzten Arbeitsschritt, wo Fachkräfte massiv fehlen.
"Es darf aber nicht passieren, dass die kleinen Projekte dann in übermäßiger Anzahl hinten runterfallen", sagt Milius. Eine Bahnsprecherin sagt dazu, dass in der Regel keine Mitarbeitenden aus anderen Regionen geholt werden könnten, da Personal grundsätzlich knapp sei.
"Ein Management-Fehler der Deutschen Bahn"
Experten wie Böttger werfen der Bahn vor, über Jahre versäumt zu haben, neue Abnahmeprüferinnen und Abnahmeprüfer ausgebildet zu haben: "Das ist also ein Management-Fehler der Bahn."
Laut Bahn ist die Ausbildung neuer Prüfer ein langwieriger Prozess. So dauere eine bahnspezifische Weiterbildung nach dem Ingenieursstudium bis zu sieben Jahre. Mit einem internen Qualifizierungsprogramm will die Bahn bis 2030 rund 40 Prozent mehr Prüfkapazitäten aufbauen. Doch bis dahin sollen eigentlich auch die 41 Sanierungen fast abgeschlossen sein. Es wird absehbar ein Flaschenhals bleiben.
Digitalisierung könnte Entlastung schaffen
Die Bahn stecke in einer Zwickmühle, erklärt Birgit Milius: Zum einen will und muss sie das Schienennetz sanieren, zum anderen versucht sie, ihren Betrieb zu digitalisieren. Und das bei voller Fahrt. Denn mit der Digitalisierung könnte dringend gebrauchtes Fachpersonal frei werden.
Zum Beispiel die unzähligen Fahrdienstleister, die teils noch händisch überalterte Stellwerke und Weichen bedienen. "Wenn die Stellwerke durchdigitalisiert würden, dann würde da auch Personal frei werden, was man dann woanders einsetzen könnte", so Milius. Laut einer Bahnsprecherin aber ist eine Verschiebung des Personals, beispielsweise in die Sanierung, nicht so einfach möglich.