Tarifeinigung bei der Bahn Wie lange hält der Frieden?
"Der gordische Knoten ist gelöst", "die Rente ist sicher": Sowohl Bahn-Vorstand Seiler als auch GDL-Chef Weselsky zeigen sich zufrieden mit der Einigung im monatelangen Tarifstreit. Die Einzelheiten im Überblick.
Wie kam es zur Einigung?
Seit Monaten befanden sich die Gewerkschaft GDL und die Deutsche Bahn im Tarifstreit. Nach der Auftaktverhandlung im April waren die Gespräche mehrfach verschoben und auf Eis gelegt worden. Drei Streiks seitens der Lokführer waren die Folge - mit massiven Problemen für Pendler und Reisende.
Die GDL hatte ihre dritte und bisher längste Arbeitsniederlegung in der vergangenen Woche beendet, allerdings damit gedroht, mit der Vorbereitung des nächsten Streiks zu beginnen, sollte die Bahn kein verbessertes Angebot vorlegen. Am Wochenende war das Konzernmanagement den Lokführern schließlich entgegengekommen und hatte unter anderem eine zusätzliche Entgeltkomponente in Aussicht gestellt.
Damit kam frischer Wind in die festgefahrene Debatte. Unter Mithilfe der Bundesländer Niedersachsen und Schleswig-Holstein konnte eine Einigung erzielt werden. Die Ministerpräsidenten Stephan Weil (SPD) und Daniel Günther (CDU) waren vom Deutschen Beamtenbund und dem Deutschen Gewerkschaftsbund angesprochen worden und hatten in den Verhandlungen vermittelt. "Wir haben völlig unbelastet auf die Situation geguckt", erklärte Weil. Gerade weil beide Politiker weder Tarif- noch Bahnexperten seien, hätten schnell die beiden Themen Altersvorsorge und Geltungsbereich des Tarifeinheitsgesetzes als "Kernpunkte" festgestanden. "Es bedurfte naiver Fragen von außen, um den Knoten zu lösen."
Wie sieht die Einigung aus?
Die Details gaben Bahn-Vorstand Martin Seiler und GDL-Chef Claus Weselsky gemeinsam mit den beiden Politikern heute auf einer Pressekonferenz bekannt. Danach einigten sich beide Seiten auf eine Lohnerhöhung von 3,3 Prozent in zwei Stufen bei einer Laufzeit von 32 Monaten. In diesem Jahr steigen die Bezüge um 1,5, im kommenden Jahr um 1,8 Prozent.
Darüber hinaus erhalten die Beschäftigten insgesamt zwei Corona-Prämien - zum 1. Dezember 2021 300 bis 600 Euro und zum 1. März 2022 weitere 400 Euro. Erstmals gilt der Tarifvertrag zudem auch für Mitarbeitende in Werkstätten und in der Verwaltung, jedoch nicht für die Infrastruktur.
Vor allem das kontroverse Thema Betriebsrente bezeichnete Weselsky als Erfolg: Wer bis 31. Dezember 2021 bei der Deutschen Bahn eingestellt wird, werde "garantiert ein Arbeitsleben lang" eine Betriebsrente erhalten. Für Beschäftigte, die ab 2022 bei der Bahn anfangen, zahlt der Arbeitgeber 3,3 Prozent des Gehalts in einen Pensionsfonds.
Wer kam wem entgegen?
In der ersten Tarifrunde im April hatte die GDL einen 58 Punkte umfassenden Forderungskatalog vorgelegt. Dazu gehörten 4,8 Prozent mehr Geld sowie eine Corona-Prämie in Höhe von 1300 Euro. Bahn-Personalchef Seiler bezeichnete die Ansprüche damals als "selbst in den besten Zeiten" nicht realisierbar. Der Konzern hatte daraufhin eine Tariferhöhung von 1,5 Prozent für eine Laufzeit ab Anfang 2022 bis Ende Februar 2023 vorgeschlagen.
Nach Monaten der Verhandlung forderte die GDL zuletzt 3,2 Prozent mehr Lohn bei einer Laufzeit des Tarifvertrages von 28 Monaten sowie eine Corona-Prämie von 600 Euro. Die Bahn wollte die Tariferhöhung aber über einen längeren Zeitraum strecken und bot zunächst eine Laufzeit von 40, später dann von 36 Monaten an. Außerdem besserte der Konzern in Sachen Corona-Prämie nach - je nach Lohngruppe eine Zahlung von 600 oder 400 Euro.
Wer letztendlich mehr von dem Tarifabschluss profitiert, ist nicht eindeutig zu sagen. Zumindest zeigen sich beide Seiten erleichtert. "Der gordische Knoten ist gelöst", erklärte Seiler. Der Brückenschlag zwischen Kunden, Mitarbeitern und Unternehmen sei gelungen. Weselsky sprach von einem guten Kompromiss: "Ich fühle mich wohl."
Ist damit Frieden angesagt?
Fahrgäste der Deutschen Bahn können somit vorerst aufatmen. Nach drei Streiks drohen vorerst keine weiteren Arbeitskämpfe der Lokführer mehr - zumindest bis Oktober 2023. Bis dahin gilt der neue Tarifvertrag.
Von einem Schlussstrich kann allerdings noch nicht gesprochen werden. Der Tarifkonflikt ist erst endgültig beendet, wenn die Bahn auch mit der größeren Konkurrenzgewerkschaft Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) eine Einigung erzielt. Denn diese kündigte heute an, dem Unternehmen nun ihrerseits einen Forderungskatalog vorzulegen. "Wir bereiten uns auf Verhandlungen vor, aber auch auf Maßnahmen bis hin zum Arbeitskampf", sagte der EVG-Vorsitzende Klaus-Dieter Hommel der dpa.
Das geschehe aber in Ruhe und ohne Hektik. "Wenn es einen Abschluss mit der GDL gibt, nehmen wir ihn zur Kenntnis und werden ihn bewerten." Die EVG hatte bereits 2020 eine Übereinkunft mit der Bahn erzielt. Der Haken: Sie beinhaltet ein Sonderkündigungsrecht, falls eine andere Gewerkschaft mehr herausholt. Das ist nun der Fall. Hommel erklärte das mit dem Bund und der Bahn geschlossene "Bündnis für unsere Bahn" für gescheitert.
Was bedeutet die Einigung für die Mitglieder der EVG?
Die Beziehung der Gewerkschaften GDL und EVG war ein Knackpunkt in den aktuellen Diskussionen. Seit April wendet die Bahn nämlich das sogenannte Tarifeinheitsgesetz an.
Die GDL und die Bahn einigten sich jetzt auf ein Verfahren, mit dem festgestellt wird, in welchen Betrieben welche Organisation die Mehrheit hat. In 71 Firmen, in denen die Verteilung unklar ist, soll unter notarieller Aufsicht nachgezählt werden. In 16 der rund 300 Betrieben hat die GDL mehr Mitglieder, in 55 die EVG.
Nach dem heutigen Tarifabschluss mit der GDL will die Bahn auch eine schnelle Verständigung mit der EVG erreichen. "Wir werden dafür Sorge tragen, dass, wenn es eine Abweichung gibt, dass das übertragen wird", sagte Personalvorstand Seiler. "Ich glaube, es ist möglich, dass wir mit der EVG zeitnah zu entsprechenden Regeln kommen."
Die GDL reagierte prompt. "Wir haben anders abgeschlossen, und zwar höher, sichtbar höher", so GDL-Chef Weselsky. "Wir geben Millionen aus, gehen in den Streik, lassen uns beschimpfen, und am Ende des Tages dürfen wir zuschauen, wie der Tarifabschluss den anderen hinterhergetragen wird." Der Streit um die Verhandlungen geht also weiter - vorerst aber wohl ohne Folgen für Reisende.