Unternehmer Stephan Fincke

Unternehmen in Deutschland Papierkram bremst Produktivität

Stand: 02.10.2024 10:02 Uhr

Auf dem Unternehmertag in Berlin muss sich die Politik einiges anhören: Groß ist der Unmut der Firmenlenker. In den Betrieben fühlt man sich übergangen, ungehört und unverstanden - etwa beim Thema Regulierung.

Stephan Fincke läuft durch eine riesige Firmenhalle. Von der kleinen Bürste bis zu großen Reinigungsmaschinen lagert dort alles, was ein Fachgroßhandel für Hygieneprodukte braucht. Neben dem Verkauf dieser Waren erarbeiten die knapp 50 Mitarbeiter auch Hygienekonzepte für medizinische Einrichtungen und Lebensmittelbetriebe.

Fincke ist der Chef der Firma in Bassenheim bei Koblenz. "Die Wirtschaft steckt in der Krise. Auch unsere Branche hat es seit Corona schwerer, da viele Angestellte oft im Homeoffice sind und die Betriebe deshalb weniger Bedarf haben", erklärt Fincke. "Trotzdem werden wir in diesem Jahr ein Plus machen. Das freut mich in diesen schwierigen Zeiten schon."

"Nur Spezialisten haben Durchblick"

Trotzdem ist Fincke zunehmend frustriert - beim Thema Bürokratie: "Die Masse an Gesetzen ist inzwischen erdrückend", erklärt er. Vom Ziel her seien Vorschriften zum Schutz von Umwelt und Personal sinnvoll, aber die detaillierten Auflagen und die praktische Umsetzung würden immer komplizierter.

"Ein kleiner Betrieb wie wir kann das mit seinem Personal und seinen Finanzmitteln immer schwerer umsetzen", urteilt Fincke. Der Geschäftsführer nennt etwa die Datenschutzgrundverordnung oder das Verpackungsgesetz. "Wir konnten das nur mit zusätzlicher juristischer Unterstützung von außen umsetzen. Das ist hochkomplex, und nur Spezialisten haben da noch einen Durchblick."  

Unternehmer Stephan Fincke (links)

"Die Masse an Gesetzen ist inzwischen erdrückend", sagt Unternehmer Stephan Fincke. Er wünscht sich dringend wirksamen Bürokratieabbau.

Von der Gesetzeslage schlicht überfordert

Aktuell macht besonders das Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz der Firma zu schaffen. Mit seinen knapp 50 Mitarbeitern ist der Betrieb formal von dem Gesetz gar nicht betroffen, da es erst aber einer Größe von 1.000 Beschäftigten greift. Aber die Kunden erwarteten die Nachweise.

"Wir besorgen uns von unseren Vorlieferanten alle Bestätigungen. Was aber wirklich vor Ort irgendwo in der Welt passiert, können wir hier in Bassenheim gar nicht herausfinden", räumt Fincke ein und gibt ein Beispiel: "Wir haben Batterien in unseren Reinigungsmaschinen. Aber wie sollen wir wissen, unter welchen Umständen die Rohstoffe dafür abgebaut worden sind?"

Die immer neuen Auflagen kosten die Firma nicht nur Nerven, sondern auch viel Geld. Die jährlichen Ausgaben für das Abarbeiten und Verwalten der Vorschriften gibt Fincke mit deutlich mehr als 100.000 Euro an. Und dieses Geld fehle dem Unternehmen dann bei seiner eigentlichen Aufgabe - dem Wirtschaften.  

Gut gemeinter Waldschutz schafft neue Probleme

Und der nächste Bürokratie-Booster kommt schon bald: Die geplante EU-Entwaldungsverordnung soll die Zerstörung von Wäldern erschweren. Konkret sollen Unternehmen eine Sorgfaltserklärung abgeben, wonach für ihr Produkt nach dem 31. Dezember 2020 kein Wald gerodet oder geschädigt wurde. Wer sich nicht an die Vorschriften hält, muss mit Strafen von mindestens vier Prozent des Jahresumsatzes in der EU rechnen.

Die Vorschrift tritt zum Jahreswechsel in Kraft. Aber selbst die Bundesregierung fordert einen Aufschub, denn vieles sei noch unklar. "Das Ziel ist richtig", sagt Fincke. "Aber wie sollen wir uns darauf verpflichten, wenn selbst der grüne Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir sagt, die Verordnung sei so nicht umsetzbar?" 

Kaum noch Vertrauen in die Politik

Fincke verfolgt von Bassenheim aus den heutigen Unternehmertag des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel und Dienstleistungen (BGA) in Berlin. Dort sind auch Kanzler Olaf Scholz und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck zu Gast. Sie müssen sich auf viel Kritik einstellen. Die Stimmung in der Branche habe einen historischen Tiefstand erreicht, heißt es vom BGA. Er stützt sich dabei auf eine aktuelle Umfrage unter seinen Mitgliedern.

Unter anderem die bürokratischen Auflagen seien inzwischen ein massiver Standortnachteil, antwortet BGA-Präsident Dirk Jandura auf Anfrage von tagesschau.de. "Viele der neuen Berichtspflichten lassen sich gar nicht vernünftig umsetzen." Es sei ein Dorado für klagefreudige NGOs und Anwaltskanzleien. "Statt bürokratischem Wildwuchs durch unterschiedliche Formate und Systeme brauchen wir ein einheitliches, standardisiertes Datenformat für alle Berichtspflichten, gespeist aus einer Quelle." fordert Jandura.  

Vor allem kleine und mittlere Unternehmen betroffen

Nach BGA-Angaben wirtschaften im Groß- und Außenhandel 98 Prozent kleine und mittlere Unternehmen. Sie verfügten nicht über die finanziellen und personellen Ressourcen, die wachsenden Anforderungen umzusetzen. "Laut der aktuellen BGA-Konjunkturumfrage fordern fast 90 Prozent, beim Abbau von Bürokratie und Kostenbelastungen anzusetzen. Nach unseren Hinweisen fragen sich gerade kleine und mittlere Unternehmer, aber auch die potenzielle Nachfolgegeneration, ob sich Aufwand und Risiken noch lohnen", erklärt Jandura.

Der BGA-Präsident kritisiert daher die Ampel-Regierung: Politische Impulse blieben aus oder seien zu gering. Um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bekommen, verlangt der BGA auch mehr Handelsabkommen. Zudem sei Erhalt und Ausbau der Infrastruktur in Deutschland als internationale Logistikdrehscheibe zu sichern. "Die schlechte Infrastruktur belastet Exporteure vor allem in zwei Bereichen: der Lieferzeit sowie den Kosten. Oftmals können Liefertermine nicht eingehalten werden", erklärt Jandura.

Wenig Hoffnung auf das Bürokratieentlastungsgesetz

Bürokratie macht Stephan Fincke und seinem Team aber auch an anderen Stellen zu schaffen: Das Unternehmen hat seinen Sitz in einem Gewerbegebiet. Obwohl dringend benötigt und von Unternehmerseite seit einigen Jahren immer wieder bei Politik und Verwaltung gefordert, gab es dort bislang keinen Glasfaseranschluss. Jetzt sind die Kabel zwar verlegt, aber der Anschluss zum Betrieb fehle weiter, erzählt Fincke. Auch auf die Photovoltaikanlage musste die Firma nach Antragstellung rund anderthalb Jahre warten, bis es endlich losging. 

Der Bundestag hat in der vergangenen Woche das Bürokratieentlastungsgesetz beschlossen. Damit soll die Wirtschaft jährlich um rund 944 Millionen Euro entlastet werden. Das Gesetz umfasst mehr als 60 Einzelmaßnahmen. Auf die Frage, ob Maßnahmen seiner Firma helfen werden, zieht Fincke die Augenbrauen hoch: "Die Aufbewahrungfrist für Dokumente wird von zehn auf acht Jahre verkürzt. Die Unterlagen sind auf dem Server digital abgespeichert. Was soll das jetzt bringen?", fragt der Unternehmer.

"Ich habe vor kurzem einen Fernsehbericht zu dem Thema gesehen. Schon Rudolph Scharping von der SPD hat in den 90er Jahren weniger Bürokratie versprochen und viele nach ihm aus allen politischen Lagern auch. Und jetzt schauen sie mal, wie wir heute dastehen."