Versorgungssicherheit Energiebranche pocht auf neue Gaskraftwerke
Von Samstag an wird in Deutschland kein Atomstrom mehr produziert - die Energiewirtschaft drängt deshalb darauf, wasserstofffähige Gaskraftwerke zu errichten. Es gibt aber auch Vorschläge, Kohleanlagen in Reserve zu halten.
Am Samstag gehen die letzten drei deutschen Atomkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland vom Netz. Der Atomausstieg ist damit endgültig besiegelt. Vor diesem Hintergrund fordert die Energiebranche nun mehr Tempo beim Bau neuer Gaskraftwerke.
"Um die Versorgungssicherheit auch langfristig jederzeit gewährleisten zu können, brauchen wir wasserstofffähige Gaskraftwerke, die gesicherte, regelbare Leistung als Partner der Erneuerbaren Energien bereitstellen", sagte die Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft, Kerstin Andreae, der Nachrichtenagentur dpa.
Könnten diese nicht rechtzeitig in Betrieb gehen, hätte das hohe Klimagasemissionen zur Folge, denn Kohlekraftwerke müssten dann länger laufen. Andreae beklagte zugleich, der rechtzeitige Bau von genügend gesicherter Leistung werde mit aktuell geltenden Rahmenbedingungen nicht gewährleistet.
15 Gigawatt Leistung könnten fehlen
Der Branchenverband Zukunft Gas sieht das ähnlich. Für den Neubau wasserstofffähiger Gaskraftwerke fehle es aktuell an Investitionsanreizen, kritisierte Vorstand Timm Kehler. "Der Atomausstieg ist nun vollzogen, auch der Kohleausstieg soll beschleunigt werden und bis 2030 abgeschlossen sein. Damit steigen wir aus wichtigen Säulen für die gesicherte Stromerzeugung aus, also Kraftwerken, die liefern, wenn Wind und Sonne nicht bereitstehen", so Kehler.
"Wir gehen selbst unter optimistischen Annahmen davon aus, dass 2031 mindestens 15 Gigawatt an gesicherter Leistung im deutschen Strommarkt fehlen werden", sagte Kehler weiter. Um diese Lücke zu vermeiden, müssten flexibel steuerbare Kapazitäten für den Strommarkt bereitgestellt werden. "Dazu zählt auch der Neubau wasserstofffähiger Gaskraftwerke, die in den nächsten acht Jahren errichtet und in Betrieb genommen werden müssten, damit wir sicher aus der Kohle aussteigen können und unsere Klimaziele erreichen."
Ministerium verspricht "wirksame Kraftwerksstrategie"
Eine Sprecherin von Wirtschaftsminister Robert Habeck sagte, mit Blick auf den Kohleausstieg erarbeite das Ministerium eine "kurzfristig wirksame Kraftwerksstrategie" für steuerbare Kraftwerke, die Strom erzeugen, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht.
Unter anderem durch die Modernisierung älterer Gaskraftwerke und Ersatz von Kohleanlagen sollten bis zu 25 Gigawatt an steuerbaren Kraftwerken gebaut werden, die teilweise von Anfang an, teils auch zu einem späteren Zeitpunkt mit Wasserstoff betrieben werden könnten.
"Geringe Mengen an Emissionen"
Der Energieexperte Manuel Frondel plädierte hingegen dafür, mehr Kohlekraftwerke in die Reserve zu nehmen. "Deutschland steuert durch die sukzessive Abschaltung von konventionellen Kraftwerkskapazitäten auf ein fundamentales Problem zu: eine zunehmende Kapazitätslücke", sagte der Wissenschaftler vom RWI Leibniz-Institut der "Rheinischen Post".
Zugleich steige der Stromverbrauch durch Elektromobilität und Wärmepumpen. "Statt diese Lücke durch den Bau neuer Erdgaskraftwerke schließen zu wollen, sollte darüber nachgedacht werden, die abgeschalteten Kohlekraftwerke in Zeiten von Dunkelflauten zum Einsatz zu bringen", sagte Frondel der Zeitung.
Kohlekraftwerke seien besser als neue Gaskraftwerke, die auch nicht vor 2030 zur Verfügung stehen würden. "Abgeschriebene Kohlekraftwerke zu verwenden ist wesentlich kostengünstiger als neue Erdgaskraftwerke dafür zu bauen, die im Betrieb auch noch wesentlich teurer sind, weil Erdgas teurer als Kohle ist. Die geringen Mengen an Emissionen, die dadurch zusätzlich entstehen, sollten kein gewichtiges Argument gegen eine solche pragmatische Lösung sein."
Regierung sieht neues "Zeitalter der Energieerzeugung"
Die Energieversorgung in Deutschland bleibe auch nach dem Abschalten der letzten drei Atomkraftwerke gewährleistet, erklärte Wirtschaftsminister Habeck. "Gemeinsam haben wir es geschafft, die Füllstände in den Gasspeichern hoch zu halten und neue Flüssiggasterminals an den norddeutschen Küsten zu errichten", sagte er. Vor allem der massive Ausbau der erneuerbaren Energien sorge für Sicherheit. Ab 2030 solle 80 Prozent des Stroms in Deutschland aus erneuerbaren Energien erzeugt werden.
Umweltministerin Steffi Lemke sagte, der Atomausstieg mache Deutschland sicherer, denn die Risiken der Atomkraft seien letztlich unbeherrschbar. "Mit dem Abschalten der letzten drei Atomkraftwerke brechen wir auf in ein neues Zeitalter der Energieerzeugung."