Gedämpftes Konsumklima "Die Lust am Einkaufen ist weg"
Was kann ich mir noch leisten? Diese Frage stellen sich aktuell viele Deutsche. Das Konsumklima ist schlechter als während der beiden Corona-Lockdowns, als der Einzelhandel schließen musste. Von Susanna Zdrzalek.
Was kann ich mir noch leisten? Diese Frage stellen sich aktuell viele Deutsche. Das Konsumklima ist schlechter als während der beiden Corona-Lockdowns, als der Einzelhandel schließen musste.
Auf den ersten Blick wirkt alles wie immer in der Münsteraner Fußgängerzone. Es ist voll, die Menschen schlendern durch die Stadt, stöbern in den Geschäften. Doch richtige Kauflaune kommt bei vielen nicht auf. "Die Lust am Einkaufen ist weg", berichtet eine Passantin. "Man denkt doch deutlich länger darüber nach, ob man das Kleid oder die Hose wirklich kauft."
Inflation dämpft und lockt gleichermaßen
Zurückhaltung bei Spontankäufen und teuren Anschaffungen, eine insgesamt gedämpfte Kauflust, beobachtet auch Karin Eksen vom Münsteraner Handelsverband. Das liege an den für viele noch unkalkulierbaren Energiekosten. Wer hohe Rücklagen hat, halte sich nicht so stark zurück. "Aber Menschen, bei denen das Geld nicht so locker sitzt, müssen sich nun noch genauer überlegen, was sie sich eigentlich leisten können."
Einige würden auch darüber nachdenken, was sie besser jetzt kaufen, statt erst in ein paar Monaten, wenn das Produkt aufgrund der Inflation möglicherweise teurer geworden ist. "In Zeiten hoher Heizkosten investieren manche schnell noch in warme Kleidung", so Eksen.
Keine Trendwende trotz verbesserten Klimas
Die Daten der GfK zum Konsumklima geben Eksen Recht. Im September rauschte der Wert auf minus 36,8 Punkte. Für Oktober verzeichnet GfK einen Wert von minus 42,8 Punkten. Damit ist das Konsumklima schlechter als zu Zeiten der zwei Corona-Lockdowns, als der Einzelhandel schließen musste, sagt GfK-Experte Rolf Bürkl. "Die Einkommensaussichten der Menschen sind schlechter als damals. Die hohe Energie- und Lebensmittelpreise führen zu einer hohen Inflation, das knabbert an der Kaufkraft."
Zwar prognostiziert GfK für November eine leicht verbesserte Verbraucherstimmung, eine Trendwende sei das aber noch nicht, sagt Bürkl. Denn noch sei nicht klar, in welchem Umfang die von der Regierung beschlossenen Maßnahmen zur Deckelung der Energiepreise die Inflation dämpfen werden. "Solange die Inflation hoch bleibt und Zweifel an einer uneingeschränkten Energieversorgung bestehen, wird sich das Konsumklima nicht spürbar und nachhaltig erholen können."
Deutsche reagieren besonders sensibel
In Deutschland seien Preissteigerungen erfahrungsgemäß immer ein sensibles Gebiet, erklärt Bürkl. Das könnte auch mit den historischen Erfahrungen von Hyperinflation und Währungsreformen zusammenhängen, die viele noch aus Erzählungen von Großeltern oder aus dem Geschichtsunterricht kennen. "Diese rund zehn Prozent Inflation, die hatten wir zuletzt in den 50er-Jahren. Die meisten, die heute leben, haben das nicht bewusst miterlebt.
In den vergangenen Jahrzehnten hätten die Zentralbanken immer stark auf Preisstabilität abgezielt, als Verbraucher habe man den Eindruck gehabt, sich darauf verlassen zu können, sagt Bürkl. Diese Verlässlichkeit sei nun einer Unsicherheit gewichen. "Aktuell muss man davon ausgehen, dass die Inflationsrate hoch bleibt." Das mache vielen große Sorgen.
Anpassungen bei Lebensmitteleinkäufen
Wie umgehen mit der aktuellen Situation? In einer Mehrfamilienhaussiedlung in Leverkusen-Rheindorf leben viele Menschen, die keine großen Ersparnisse haben. Viele hier haben ihr Kaufverhalten längst angepasst, berichtet Anwohnerin Gabriele Mitsanis. "Wir haben früher mehrmals pro Woche Fleisch gegessen, jetzt machen wir das nur noch einmal pro Woche. Und der Käse, der vorher 2,79 Euro gekostet hat und plötzlich 3,79 Euro, der bleibt liegen." Man müsse wirklich jeden Cent umdrehen.
Andere wie Renate Thut berichten, dass sie anders kochen - etwa mehr Eintöpfe und Kartoffelgerichte - und dass sie weniger wegwerfen. "Die nächsten Monate werden nicht einfach, vermute ich. Da hat man doch Zukunftsängste", sagt Mitsanis.
Boom bei Sozialkaufhäusern
Im Bonner Sozialkaufhaus am Brüser Berg erleben sie einen umgekehrten Trend: Die Zahl der Kunden steigt. Hier gibt es Kinderjacken, Damenblusen und Männerhosen, Schuhe in allen Farben und Größen - und dazwischen viele Menschen, die schauen und anprobieren. Etwa 200 Menschen kommen jeden Tag hierher, so die Betreiber; darunter eine wachsende Zahl von Menschen aus der Mittelschicht.
Eine von ihnen ist Naima Bulkhrif. Sie kauft Hosen für ihre Tochter. "Meine Tochter möchte immer wieder irgendetwas Neues. Nur leisten kann ich mir das zurzeit nicht wirklich, da gibt es aktuell andere Prioritäten." Sie wolle ihr Geld lieber sparen, für die Strom- und Heizkostenrechnung, für teurere Lebensmittel. Immerhin sei es nachhaltiger, so einzukaufen: "Es wäre ja auch zu schade, Dinge, die noch gut sind, einfach wegzuwerfen."
Hilferufe aus dem Einzelhandel
Der Einzelhandel dagegen geht von sinkenden Einnahmen aus aufgrund der schwindenden Kauflust der Menschen. Das mache den Geschäftsinhabern und ihren Mitarbeitenden große Sorgen, sagt Handelsverbandssprecherin Eksen aus Münster. "Die Gewinnmargen im Einzelhandel sind sehr gering, liegen oftmals bei nur zwei Prozent vom Gesamtumsatz."
Viele Einzelhändler hätten schlicht kaum Spielraum, die auch für sie gestiegenen Kosten für Strom und Heizen aufzufangen. Für sie fordert Eksen staatliche Unterstützungsmaßnahmen - um zu verhindern, dass womöglich viele Unternehmen vom Markt verschwinden.