Jobchancen von Jugendlichen Zukunftsangst trotz Ausbildungsplätzen
Mehr als ein Drittel der Jugendlichen glaubt, dass es in Deutschland zu wenig Ausbildungsplätze gibt. Dabei bleiben laut offizieller Statistik jedes Jahr Zehntausende Ausbildungsplätze unbesetzt. Wie passt das zusammen?
Lässig kommen sie angeschlendert im Hof der Bildungswerkstatt in Frankfurt. Sharon (19) mit einem breiten Grinsen, Tyrone (19), Abdullah (20) und Wahid (19) ruhiger, fast schon schüchtern. Die Lässigkeit der Jungs verfliegt schnell, wenn sie über ihre Zukunft reden.
Deutsche Bahn beliebte Arbeitgeberin
Mehr als 200 Bewerbungen habe er geschrieben, erzählt Sharon, nur ganz wenige Einladungen zu Interviews kamen zurück. Und am Ende: Eine Absage nach der anderen. Woran das liegt? "Mit 'nem mittelmäßigen Hauptschulabschluss will dich keiner", da ist Sharon sich sicher. Bei der Bahn würde er gerne arbeiten. Aber obwohl die händeringend nach Azubis sucht: Sharon haben sie nicht genommen.
Auch Wahid hat sich dort beworben. Fahrkartenprüfer wollte er werden. Aber dafür muss man Englisch können. Mit 15 kam Wahid nach Deutschland, über den Iran aus Afghanistan. Deutsch spricht er mittlerweile fließend. Aber Englisch stand nie auf seinem Stundenplan. Und jetzt? "Vielleicht irgendwo bei einem Wachdienst unterkommen", sagt er.
"Es matcht nicht so richtig"
In der Bildungswerkstatt Frankfurt betreut der Internationale Bund jedes Jahr 20 Jugendliche. Sozialarbeiter Timo Gaßmann leitet die Berufsvorbereitung. Er weiß, warum die Jugendlichen keine Ausbildung gefunden haben. "Es matcht nicht so richtig", sagt er. Das, was die Jugendlichen können und anzubieten haben, suchen die Firmen nicht.
"Passungsprobleme" nennen das Wissenschaftler wie Clemens Wieland. Er ist einer der Autoren der aktuellen Jugendbefragung der Bertelsmann Stiftung. Insgesamt 1666 Jugendliche bis 20 Jahre wurden befragt. Das Ergebnis erschreckt: 37 Prozent der jungen Menschen finden, dass es zu wenig Ausbildungsplätze gibt. Bei Jugendlichen mit niedriger Schulbildung glaubt das sogar fast die Hälfte (49 Prozent).
"Passungsprobleme" und regionale Unterschiede
Die Passungsprobleme machen sich dabei nicht nur bei Fragen der Vorbildung der Bewerberinnen und Bewerber bemerkbar. Es gibt auch regionale Unterschiede. "Jugendliche, die etwa im Ruhrgebiet leben, haben nichts davon, dass es im Großraum München zahlreiche freie Ausbildungsstellen gibt", sagt Wieland. Aber oft sind es auch die Jobs selbst, die unter den Jugendlichen nicht mehr so begehrt sind. Fleischer ist so ein Beispiel.
Die Bertelsmann-Studie zeigt ein weiteres Manko auf dem Ausbildungsmarkt: Mehr als die Hälfte aller Befragten (54 Prozent) hat den Eindruck, dass die Chancen auf einen Ausbildungsplatz heute eher schlechter sind als vor Corona. Dies ist objektiv nicht mit Zahlen zu belegen. Und doch ist leicht zu erklären, wie der Eindruck entstehen kann: Die Jugendlichen, die in diesem Jahr die Schule verlassen, wissen einfach nicht so viel über die Möglichkeiten, die sie haben.
Viele Kontaktmöglichkeiten fielen weg
"Wichtige Aktivitäten im Prozess der Berufsfindung wie Praktika, Berufsmessen oder Girls Day und Boys Day konnten nicht wie gewohnt stattfinden", sagt Frank Martin von der Regionaldirektion Hessen der Bundesagentur für Arbeit. Die Berufsberaterinnen und Berater tun sich derzeit schwer, Jugendliche mit Informationen zu erreichen. Versuche in den Sozialen Medien sind bislang eher mäßig erfolgreich. Umso wichtiger ist, dass der direkte Kontakt wieder hergestellt wird.
"Glücklicherweise starten jetzt viele Angebote wieder", sagt Martin. Er zeigt sich optimistisch, dass in den kommenden Wochen viele Jugendliche einen Ausbildungsplatz finden werden: "Die Angebote sind da." Viel mehr Sorgen bereitet vielen Fachleuten die deutlich gesunkene Bereitschaft von besser qualifizierten Jugendlichen, eine betriebliche Ausbildung zu beginnen. Und auch diesen Trend kann die Bertelsmann-Studie mit Zahlen belegen: Mehr als ein Drittel (36 Prozent) der befragten Jugendlichen, die das Abitur anstreben, wollen studieren. Dieser Anteil lag im vergangenen Jahr nur bei einem Fünftel.
Bodenständige Träume und Optimismus
Also doch rosige Zeiten - für alle, die eine betriebliche Ausbildung beginnen wollen? In der Tat stehen auch für die Jugendlichen in der Bildungswerkstatt Frankfurt die Chancen nicht schlecht. "Vor Corona haben wir fast 90 Prozent der Jugendlichen so weit gebracht, dass sie etwas gefunden haben", sagt Sozialarbeiter Gaßmann. Keiner der vier Jungs hat übertriebene Ansprüche. Vielleicht etwas Handwerkliches finden, das wäre gut, diskutieren sie kurz. Familie gründen oder es lieber erstmal alleine schaffen? Bodenständige Träume.
Der 20-jährige Abdullah will optimistisch bleiben: "Ich finde schon etwas. Früher oder später." Bis es so weit ist, will er noch an sich arbeiten. Bessere Bewerbungen schreiben. Tyrone dagegen war gerade erfolgreich. Im September kann er eine Ausbildung anfangen - als Immobilienkaufmann. "Das fühlte sich richtig gut an, als der Chef mir beim Vorstellungsgespräch auf die Schultern geschlagen hat und sagte: Wir sehen uns."
Und auch Sharon glaubt an sich: "Vielleicht klappt es ja mit einer Karriere als Hip-Hopper, und falls nicht, dann hilft hoffentlich der Realschulabschluss", sagt er und lacht. Einen Schulplatz dafür hat er ergattert. Nach den Sommerferien geht’s los. Und dann hoffentlich in eine erfolgreiche berufliche Zukunft.