Verkauf von Zigarettenschachteln in einem Geschäft in den Niederlanden.
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Werbeverbot für Tabakwaren Wenn die Zigaretten nur schwer zu finden sind

Stand: 18.08.2024 15:31 Uhr

Mal schnell Zigaretten holen - in den Niederlanden nicht leicht: Selbst in Läden dürfen Tabakwaren nicht sichtbar sein, jegliche Werbung ist untersagt. Ein Vorbild für Deutschland?

Die Sandschäufelchen in knallgrün, die Postkarten meerblau, die Zeitschriften in allen Regenbogenfarben: Es ist bunt in dem Reisebedarfsladen im niederländischen Renesse. Nur an einer Stelle nicht: Hinter der Ladentheke steht wuchtig eine graufahle Schrankwand, die so gar nicht die Blicke auf sich zu ziehen vermag - ohne Beschriftung, ohne Werbung. Was nach Aktenschrank in einer trostlosen Behörde ausschaut, birgt Dutzende Zigarettenschachteln.

Der Ladenbesitzer öffnet eine Tür. Statt weiß-rot verpackte Zigaretten aus den USA oder blauen und roten Stangen aus Frankreich kommen einheitliche Päckchen zum Vorschein: teerschwarz wie manche Raucherlunge, darauf in der immer selben Schriftart die einzelnen Markennamen. Immerhin die sogenannten Schockbilder - freigelegte Raucherlungen oder blutleere Gesichter von Krebspatienten - liefern etwas Farbe.

So sieht es aus, das Werbeverbot für Tabakwaren in den Niederlanden. Nichts darf Interesse wecken. "Sie wollen mit allen Mitteln die Leute dazu bringen, mit dem Rauchen aufzuhören", erklärt der Ladenbesitzer und runzelt einen Moment lang die Stirn. Er fragt sich, ob das Sinn hat, was die Politik in Den Haag da macht.

Niederlande wollen "rauchfreie Generation"

Ja, lautet die Antwort, wenn es nach dem Europa-Direktor der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Hans Henri Kluge geht. Die Niederlande seien "Vorreiter bei der Bekämpfung des Tabakkonsums". Die Regierung möchte bis 2040 eine "rauchfreie Generation", nur noch fünf Prozent Raucherinnen und Raucher. Deshalb darf nichts auch nur den Hauch eines Kaufreizes auslösen. Seit 1. Juli dürfen in den Niederlanden Tabakwaren nur noch in wenigen Geschäften und Tankstellen verkauft werden, mehr als 6.000 Supermärkte und Kioske haben nikotinhaltige Produkte aus ihrem Sortiment gestrichen.

Die Folge: Vor allem in ländlichen Regionen gibt es Tabak erst in der nächsten oder übernächsten Ortschaft. Und wer sich nicht auskennt, muss dort dann erst mal suchen - denn auch Hinweisschilder über dem Geschäftseingang könnten als Werbung verstanden werden. Schon seit zwei Jahren dürfen Läden ihre Tabakwaren auch nicht mehr sichtbar im Schaufenster oder in der Auslage an der Kasse bewerben. Nikotin nur auf Nachfrage, aus blickdichten Schränken und Schubladen. 

Mancher deutsche Tourist könnte so schnell zum "HB-Männchen" werden, jener Werbefigur aus der Wirtschaftswunderzeit, die in gezeichneten Werbespots nach unterschiedlichem Alltagsungemach "in die Luft ging" und danach die Ruhe allein im Glimmstängel wiederfand.

Der lange Weg zum Werbeverbot

Genau solchen Aussagen, die das Rauchen verharmlosen oder gar als gesundheitsförderlich darstellten, schob das "Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz" in Deutschland einen Riegel vor: Keine Tabakwerbung mehr in Radio und Fernsehen. Vor 50 Jahren unterzeichnete die damalige Gesundheitsministerin Katharina Focke, SPD, das Verkündungsdokument des Gesetzes. Vorausgegangen waren heftige Debatten zwischen Regierung und Opposition.

Trotzdem verhielt sich die deutsche Politik in den folgenden Jahrzehnten eher zaghaft, wenn es um striktere Tabak-Werbeverbote ging - etwa im Kino, auf Plakatwänden oder in Zeitungen und Zeitschriften.

2014 noch scheitert die Bundesdrogenbeauftragte Marlene Mortler, CSU, mit einer Verschärfung; zwei Jahre später eine vom Kabinett bereits beschlossene Initiative. 2021 tritt dann ein Verbot von Tabakwerbung in Kinos in Kraft - zumindest, wenn der jeweilige Film nicht "ab 18" freigegeben ist. Erst Anfang dieses Jahres wurden dann auch Plakatwände und Bushaltestellen komplett nikotinfrei.

Krebshilfe forderte weitere Schritte

"Die Werbung für Tabakwaren, E-Zigaretten und Tabakerhitzer ist nahezu vollständig verboten", erklärt Bernd Nauen, Geschäftsführer des Zentralverbands der deutschen Werbewirtschaft. Nur noch am Verkaufstresen sei Werbung machbar. Für seine Branche ein Problem, denn: "Für die Hersteller existieren lediglich am 'Point of Sale' noch minimale Möglichkeiten, um das zu machen, was Werbung leistet: gegenüber dem Konsumenten dieser Erzeugnisse um Marktanteile zu konkurrieren."

Ganz so sei es nicht, setzt die Deutsche Krebshilfe dem entgegen: "Aus unserer Sicht besteht weiterhin dringender Handlungsbedarf", so Vorstandsvorsitzender Gerd Nettekoven. Rauchen sei für 90 Prozent aller Lungenkrebsfälle in Deutschland verantwortlich. Trotzdem finden sich in Biergärten noch immer Sonnenschirme mit Zigaretten-Logos, Influencer beschäftigen sich mit Tabakkonsum. "Wir fordern daher von der Bundesregierung, Werbung, Promotion und Sponsoring für Tabak- und Nikotinprodukte vollständig zu verbieten sowie die Verfügbarkeit von Tabakprodukte und E-Zigaretten sowie verwandte Produkte konsequent weiter einzuschränken."

Lob gibt es von der Krebshilfe deshalb für die Niederländer. "Deutschland gehört zu den europäischen Schlusslichtern bei der Tabakkontrolle. Wir nehmen in Kauf, dass jedes Jahr 85.000 Menschen als Folge des Rauchens an Krebs erkranken, 127.000 Menschen am Tabakkonsum sterben und der Gesellschaft durch tabakbedingte Krankheiten Milliarden Euro an Folgekosten entstehen", sagt Nettekoven. "Aktuell liegt noch ein weiter Weg vor uns, aber wir werden uns auch weiterhin beharrlich für Maßnahmen einsetzen, die dabei helfen, dass Krebs möglichst gar nicht erst entsteht."

Deutsche Händler profitieren

Jan Mücke vom Bundesverband der Tabakwirtschaft und neuartiger Erzeugnisse (BVTE) kann den strengen Auflagen in den Niederlanden zumindest indirekt etwas abgewinnen: "Immer mehr Raucher aus unserem Nachbarland sind die zunehmende Bevormundung leid und fahren zum Einkauf von Zigaretten lieber über die Grenze."

Von dem "niederländischen Politikmix aus hohen Steuern, Verkaufsverboten und Einheitsverpackungen" profitiere in erster Linie der grenznahe Tabakwarenhandel in Deutschland. Tatsächlich meldeten deutsche Tankstellen entlang der Grenze zu den Niederlanden mehr Tabakkundschaft.

Tabak-Verband für schwedisches Modell

Dieser Marktvorteil ist übrigens nicht ewig gesichert: Mit dem "europäischen Plan zur Krebsbekämpfung" möchte die EU-Kommission die Prävention stärken und vor allem Tabakkonsum ins Visier nehmen.

"Bei Konsumenten in Deutschland dürften weitere Gängelungen und Einschränkungen ebenfalls nicht zu einem Rauchstopp führen, sondern eher Ausweichbewegungen auch in Richtung Schwarzmarkt fördern", sagt Jan Mücke vom Bundesverband der Tabakwirtschaft. Bereits heute sei jede fünfte Zigarette, die hierzulande geraucht wird, nicht in Deutschland versteuert.

Vielmehr als Vorbild eignet sich aus seiner Sicht Schweden: "Statt hoher Tabaksteuern, Einheitsverpackungen und umfassender Werbeverbote unterstützt Schweden den Umstieg auf deutlich weniger schädliche rauchfreie Nikotinprodukte wie Snus, tabakfreie Nikotinbeutel oder E-Zigaretten." So könne sich Schweden bald "rauchfrei" nennen, weil nur noch fünf Prozent der Bevölkerung rauchen.

Rauchfrei ist nicht gleich nikotinfrei

Allein: Rauchfrei ist nicht gleich nikotinfrei. Denn bei "Snus" handelt es sich um kleine Nikotinbeutel für den Mund. Helen Stjerna, Leiterin der schwedischen Nichtregierungsorganisation "A Non-Smoking Generation" spricht bereits von einer "Snus-Epidemie": "Dass Schweden dabei ist, rauchfrei zu werden, ist ein Narrativ, das von der Tabakindustrie geschaffen wurde." Schon ein Kind könne in den Sozialen Medien bis zu sechs Beutel "Snuss" kostenlos bestellen, was ausreiche, um es süchtig zu machen.

Die Verkaufs- und Werbenot macht die Tabak-Branche offensichtlich erfinderisch. Und es wird noch mehr Kreativität gefragt sein: In acht Jahren dürfen in den Niederlanden nur noch Fachgeschäfte Tabakwaren verkaufen. Dann wird auch in Renesse der fahle Aktenschrank mit seinem teerschwarzen Inhalt verschwinden.