Enteignung von Bankaktionären Dürfen die das?
In der Finanzkrise scheint sogar die Zwangsverstaatlichung von Banken möglich. Das Gesetz, dem inzwischen auch Bundestag und -rat zugestimmt haben, sieht als letztes Mittel eine Enteignung von Bankaktionären vor. Dabei hat die Regierung den Fall des angeschlagenen Immobilienfinanzierers Hypo Real Estate (HRE) im Blick. Ist eine solche Enteignung überhaupt rechtens? tagesschau.de beantwortet die wichtigsten Fragen dazu.
Ist eine Enteignung nach dem Grundgesetz überhaupt möglich?
Ja. Das Grundgesetz gibt dafür Regeln vor. Nach Artikel 14 ist eine Enteignung zulässig, wenn sie dem Wohl der Allgemeinheit dient.
Es gibt noch einen weiteren Artikel, der Verstaatlichungen zulässt. Nach Artikel 15 können Grund, Boden, Naturschätze und Produktionsmittel in Gemeineigentum überführt werden. Der Artikel kam noch nie zur Anwendung. Er wurde vor allem in den frühen Jahren der Bundesrepublik diskutiert, als es darum ging, in welche Richtung sich die Gesellschaftsordnung entwickeln sollte.
Ist in der Bundesrepulik schon enteignet worden?
Nach Artikel 14 wurde schon häufig enteignet - meist für den Bau von Straßen, Schutzdeichen und ähnlichen Projekten, wenn Grundstückseigentümer sich weigerten zu verkaufen. Voraussetzung ist ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Der Gesetzgeber muss dabei klar machen, in wie fern das Projekt dem Allgemeinwohl dient. Die Begründung wird manchmal weit gefasst. Im Fall des Messeneubaus in Stuttgart etwa sah die Landesregierung auch mögliche Enteignungen von Grundstücksbesitzern vor. Dabei verwies sie auf die Bedeutung der Messe für die Wirtschaft in der Region. Ähnlich argumentierte Hamburg, als Airbus in seinem Werk an der Elbe die Landebahn erweitern wollte.
Hat das Enteignungsgesetz für Banken vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand?
Dazu müssen die Details des Gesetzes geprüft werden. Die Bundesregierung muss klar darlegen, dass die Zwangsverstaatlichung für das Allgemeinwohl dringend nötig ist - etwa, weil die Bank sonst zusammenzubrechen droht und weitere Institute kollabieren würden. Dieser Zusammenhang muss schlüssig sein. Im Fall der HRE wird das von vielen Experten so gesehen.
Außerdem werden die Richter auf die Höhe der Entschädigung achten. Bei der HRE bietet der Bund einen Preis von 1,39 Euro pro Aktie an. Das sind etwa zehn Prozent mehr als der aktuelle Marktpreis zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des Angebots - aber weit unter dem Wert, zu dem viele Aktionäre einstiegen. Die Verfassungsrichter müssen den Schaden der Aktionäre und das Interesse der Allgemeinheit gegeneinander abwägen.
Die Bundesregierung will laut Gesetz verstaatlichte Unternehmen wieder privatisieren, wenn sie krisenfest geworden sind. Das könnte nach Einschätzung von Staatsrechtlern möglichen Einwänden der Verfassungsrichter vorgreifen: Das Unternehmen wird wieder privatisiert, wenn es nicht mehr die gesamte Wirtschaft durch einen Zusammenbruch gefährdet. Die früheren Besitzer könnten dann ein Vorkaufsrecht bekommen.
Wurde im Zuge der Finanzkrise bereits in anderen Ländern enteignet?
Ja - und zwar auch in Ländern, die dem Bankensektor sonst große Freiheiten einräumen. Großbritannien verstaatlichte die Bank Northern Rock, die USA übernahmen die Kontrolle der Hypothekenfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac. Auch Island, das besonders schwer von der Krise betroffen ist, hat Banken verstaatlicht. Diese hatten sich besonders stark an riskanten Geschäften beteiligt.
Wird die Bundesregierung die HRE-Aktionäre enteignen?
Nicht unbedingt. Die mögliche Enteignung kann auch nur Drohkulisse sein, um Aktionäre zum Verkauf zu drängen. Politiker aller Koalitionsparteien haben deutlich gemacht, dass für sie die Zwangsverstaatlichung das letzte Mittel ist.
Zuvor sollen alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft werden. Die Verkaufsgespräche gehen weiter, vor allem mit dem amerikanischen Großaktionär J.C. Flowers, dem eine Schlüsselrolle eingeräumt wird, der aber zum Preis von 1,39 Euro nicht verkaufen will.
Die Bundesregierung will auch in die Aktionärsrechte eingreifen. Eine Kapitalerhöhung des Unternehmens soll erleichtert werden. Bislang müssen 75 Prozent der Aktionärsversammlung zustimmen - künftig könnten 50 Prozent genügen. Dann würde das Unternehmen neue Anteile ausgeben, die der Bankenrettungsfonds aufkauft - so könnte der Bund ohne Enteignung an die Mehrheit kommen.
Von Jörg Endriss für tagesschau.de