Interview zum EU-Milchmarkt "Es gibt einfach zu viel Milch"
Die Milchpreise sinken dramatisch, europaweit protestieren die Bauern. tagesschau.de sprach mit Milchmarkt-Experte Hannes Weindlmeier über niedrige Preise, hohe Kosten und die überholte Anspruchs-Mentalität mancher Milchbauern.
tagesschau.de: Herr Professor Weindlmaier, wie bewerten Sie die Proteste der Milchbauern?
Hannes Weindlmaier: Es wird noch lange dauern, bis im Milchsektor wieder Ruhe einkehren wird. Das Hauptproblem: Wir haben eine Überschussproduktion, es gibt einfach zu viel Milch. Man muss aber auch die Bauern verstehen: Die Milchpreise liegen in Deutschland gegenwärtig zwischen 17 und 27 Cent pro Liter. Das sind Dumpingpreise, die die Deckung der Kosten der Milchproduktion nicht ermöglichen. Und das Preisniveau stellt nicht nur für die Kleinbauern ein Problem dar, sondern auch für die großen Betriebe. Da wurde in den vergangenen Jahren viel investiert, und jetzt besteht die Gefahr, dass sie durch die niedrigen Preise in Liquiditätsengpässe kommen.
tagesschau.de: Haben die deutschen Milchbauern im europäischen Vergleich besondere Probleme?
Hannes Weindlmaier ist Professor für BWL der Milch- und Ernährungsindustrie an der Technischen Universität München. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Analyse der Wettbewerbsfähigkeit der Milch- und Ernährungsindustrie.
Weindlmaier: Das ist schon ein europaweites Phänomen, was sich auch in den gegenwärtigen Protesten zeigt. In Deutschland haben wir aber einige spezielle Probleme: So lähmen und bekämpfen sich in Deutschland gleich zwei politische Lobbygruppen in der Milchwirtschaft. Für die Milcherzeuger bringt das auf Dauer nichts. In Norddeutschland und den neuen Bundesländern sind meist große Betriebe, die europaweit vergleichsweise wettbewerbsfähig sind. Besonders schwer haben es viele Kleinbetriebe in Süddeutschland, gerade in den Mittelgebirgslagen.
tagesschau.de: Warum?
Weindlmaier: Die Produktionskosten sind dort besonders hoch. Die Kleinbauern dort halten einem freien Wettbewerb nicht stand. Wenn man in diesen Regionen weiter Milchproduktion haben will – aus landschaftskulturellen Gründen und generellen gesellschaftlichen Überlegungen, dann wird das nur dann möglich sein, wenn der Staat in Ergänzung zum am Markt erlösten Preis die Milchbauern direkt weiter fördert.
"Ein Problem ist die Mentalität vieler Milchbauern"
tagesschau.de: Die EU-Kommission will in der Milchpolitik aber zunehmend auf den Markt setzen. Trotz Massenprotesten von Bauern und Druck aus Berlin und Paris will sie die Milchquote wie geplant ausweiten.
Weindlmaier: In weiten Teilen der Milchwirtschaft hat man sich immer noch nicht auf die Politik der EU-Kommission der vergangenen Jahre eingestellt. Ein Problem liegt sicherlich in der Mentalität vieler Milchbauern. Ein Großteil vor allem der nordeuropäischen Milcherzeuger hat längst akzeptiert, dass sie im internationalen Wettbewerb stehen und dass ihre wirtschaftliche Situation in erster Linie von ihrer eigenen Leistung abhängt. Demgegenüber gehen in Deutschland viele Milchbauern nach wie vor davon aus, dass bei ökonomischen Problemen der Staat mit Subventionen eingreifen wird. In dieser Mentalität liegt das Kernproblem. Denn eine Subventionspolitik wie in den letzten Jahrzehnten ist in der erweiterten EU nicht finanzierbar.
tagesschau.de: Was für eine Entwicklung erwarten Sie?
Weindlmaier: Zusätzlich zur Ausweitung der Nachfrage muss wohl auch die Produktion gedrosselt werden. Wie und wo, das ist die eigentliche Kernfrage. Die EU-Kommission setzt darauf, dass diese Anpassungen durch den Marktmechanismus erfolgen. Für die Milchbauern, die aufgrund wesentlich höherer Kosten mit der Preisentwicklung nicht mehr zurechtkommen, ist dies sicherlich ein sehr harter und dorniger Weg. Die Milchpolitik kann diesen bestenfalls durch flankierende Maßnahmen abmildern. Grundsätzlich sehe jedoch auch ich zu dieser Politik keine realistische Alternative.
"In Deutschland fehlt die klare Linie"
tagesschau.de: Wie bewerten sie die Milchpolitik hierzulande?
Weindlmaier: Ich sehe in Deutschland keine klare Linie in der Ausrichtung der zukünftigen Milchpolitik. Noch immer fördern große Teile der Politik gerade hierzulande nach wie vor die Einstellung vieler Milchbauern - ganz nach dem Motto: Der Staat wird das schon richten.
tagesschau.de: Und wird er das auch in Zukunft? Welche Rolle werden die Nationalstaaten spielen, welche die EU?
Weindlmaier: Der Trend sieht so aus: Immer werden die anderen für die Lösung von Problemen belangt. So wollen die Nationalregierungen gerne die EU-Kommission einspannen. Brüssel hingegen drängt darauf, die Problemlösung wieder an die einzelnen Nationen zu verschieben. Ich denke aber, dass eine Renationalisierung der Agrarpolitik ein relativ problematischer Weg ist. Immerhin war gerade die Agrarpolitik ein ganz wesentliches Element der Integration innerhalb der Europäischen Gemeinschaft. Das würde dann zu einem wesentlichen Teil verloren gehen.
"Verbraucher müssen selbst auf jeden Cent schauen"
tagesschau.de: Sehen Sie einen Trend, dass gerade auch die Verbraucher mit bewusstem Konsum diesem Preiskampf entgegensteuern?
Weindlmaier: Es gibt tatsächlich einige Versuche, über den Kauf bestimmter Produkte die wirtschaftliche Situation der Milchbauern zu verbessern, aber der Erfolg dieser Programme ist doch sehr beschränkt. Schließlich müssen doch viele in diesen Krisenzeiten genau auf die Preise schauen, der Discount-Markt wächst nach wie vor. Auf die Hilfe der Verbraucher sollten die Milchbauern also auch künftig besser nicht setzen. Das werden allenfalls kleine Nischen bleiben.
tagesschau.de: Hat den dieser Preiskampf letztlich auch Auswirkungen auf die Qualität der Milchprodukte, etwa ausgelöst durch billigeres Tierfutter oder günstigere Produktionsprozesse?
Weindlmaier: Da habe ich keine großen Bedenken. Die Qualität der Milch hat bislang nicht gelitten. Unsere Milch ist gut, und daran wird sich auch durch Preiskämpfe nichts ändern.
Das Interview führte Ulrich Bentele, tagesschau.de
In Deutschland gibt es rund 4,2 Millionen Milchkühe, die im Jahr etwa 28,4 Milliarden Kilogramm Milch produzieren. 2007 wurden mehr als ein Drittel davon (rund 7,8 Milliarden Kilogramm) auch in Deutschland verzehrt. Im vergangenen Jahr stand fast jede dritte Kuh in einem bayerischen Stall (29,7 Prozent). Aber auch in Niedersachsen ist die Milchwirtschaft stark (18,3 Prozent). Mit größerem Abstand folgten Nordrhein-Westfalen (9,4 Prozent), Schleswig-Holstein (8,8 Prozent) und Baden-Württemberg (8,5 Prozent). 2007 sorgten allein die Kühe auf bayerischen Höfen für 7,6 Milliarden Kilogramm Milch. Die größten Betriebe mit im Schnitt über 200 Milchkühen gibt es aber in Brandenburg. Die kleinsten Betriebe mit durchschnittlich 22 Kühen stehen in Berlin. In Bayern zählen die Milchbetriebe im Schnitt 27 Kühe.