Spread und Zinsen hoch Wanken Italiens Staatsfinanzen?
Die Regierung Draghi geht, die Schulden bleiben, die Zinsen steigen und der Risikoaufschlag für italienische Staatsanleihen schießt in die Höhe. Wie stabil ist der italienische Staatshaushalt? Eine Analyse.
Vincenzo Visco hat schon viele Stürme in der italienischen Finanzpolitik erlebt. Der heute 80 Jahre alte Wirtschaftswissenschaftler war Universitätsprofessor, unter Romano Prodi Finanzminister - und schaut jetzt mit Sorge auf die Entwicklung an den Märkten nach dem Sturz Mario Draghis: "Die aktuelle Situation hat eine stark politische Komponente. Die Neuwahlen und ein möglicher Sieg einer radikalen Rechten verunsichern die Märkte. Das spiegelt sich in der derzeitigen Entwicklung des Spreads wider."
Der Spread, das ist die Differenz zwischen den Zinsen für deutsche und italienische Staatsanleihen. An den Finanzmärkten ist er ein wichtiger Maßstab, ob die italienischen Staatsfinanzen gesund sind oder nicht. Zu Wochenbeginn lag der Spread bei 2,25 Prozentpunkten, rund zweieinhalbmal höher als Mitte Februar. Für viele ist das ein Alarmsignal.
Denn Anfang des Jahres hieß es von der niederländischen Großbank ING noch, ein Spread von mehr als zwei Prozentpunkten würde Italien angesichts seiner hohen Staatsschulden finanziell ins Trudeln bringen - mit allen damit verbundenen Gefahren für den Euro.
"Im Moment gibt es keine größeren Probleme"
Der italienische Analyst und Finanz-Buchautor Maurizio Mazziero dagegen sieht die Warnstufe Rot nicht erreicht: "Im Moment gibt es keine größeren Probleme. Die könnten dann entstehen, wenn der Spread über drei Prozentpunkte steigt." Die Gefahr jenseits der Drei-Prozent-Schwelle liege darin, dass man in den oberen Bereich dessen komme, was man in der Geschichte des italienischen Spreads bereits erlebt habe.
Nämlich in der Finanzkrise 2011: Damals, sagt Mazziero, habe der italienische Spread die Grenze von fünf Prozentpunkten erreicht. Derzeit liegt das Niveau um mehr als die Hälfte niedriger. Grundsätzlich aber schaut auch der Analyst mit Sorge auf die Entwicklung der italienischen Staatsanleihen.
Politische Unsicherheiten treiben Renditen
Seit die Regierung Draghi in der Krise ist, liegt die Rendite für zehnjährige Anleihen bei über drei Prozent. Höher war das Zinsniveau letztmals vor knapp vier Jahren, im Oktober 2018. Treiber der aktuellen Entwicklung sind die politische Unsicherheit in Italien und die veränderte Zinspolitik der Europäischen Zentralbank.
Diese neue Zinspolitik ist für die italienischen Staatsfinanzen tendenziell gefährlich, erläutert Mazziero: "Eine höhere Ausgabe für die Zinsen trägt dazu bei, die Schulden zu erhöhen. Die Schulden müssen dann ihrerseits finanziert werden." Dazu müsse eine immer größere Menge an Staatstiteln ausgegeben werden. Was wiederum durch höhere Ausgaben für Zinsen die Schulden erhöhe, so der Analyst: "Da kann man in einen Teufelskreis geraten, aus dem es sehr schwer ist, herauszukommen."
30 Prozent italienischer Staatsschulden hält die EZB
Allerdings betont er auch: Die aktuelle Gefahr für Italiens Staatsfinanzen sei deutlich geringer als in der Finanzkrise 2011. Zum einen, weil mittlerweile rund ein Drittel der italienischen Schulden von der Europäischen Zentralbank aufgekauft sei und somit nicht Spekulationen des Marktes ausgesetzt ist.
Außerdem sieht Mazziero im neuen Interventionsinstrument Transmission Protection Instrument (TPI ), gegen das in Deutschland schon Klagen angedroht werden, ein Mittel zur Disziplinierung ausgabenfreudiger Regierungen: "Wir wissen noch nicht viel über die Regeln, nach denen dieses Instrument angewandt wird. Aber es ist klar, dass das Instrument nur aktiviert wird, wenn die Haushaltspolitik ausgewogen ist, es keine makroökonomische Schieflage gibt und vor allem die Steuerpolitik stabilitätsorientiert ist."
Inflation nutzt dem Schuldner Italien
Aktuell spielt der Regierung in Rom zudem die Inflation in die Hände. Sie nutzt, wie jeder Preisanstieg, den Schuldnern. Italiens Schuldenberg von derzeit rund 2,75 Billionen schmilzt in diesen Tagen zumindest etwas.
Und, noch wichtiger für die Staatsfinanzen: Die Wirtschaft Italiens wächst. Während Deutschland im zweite Quartal bei Null stagniert, verzeichnet Italien ein Wachstum von 1,0 Prozent. Der ehemalige Finanzminister Visco aber befürchtet, mit einer Regierungsübernahme der Rechtsparteien würde diese Entwicklung ins Rutschen geraten: "Wenn sie an die Regierung kommen und, wie angekündigt, die Renten erhöhen und die Steuer senken - dann wird das schmerzhaft. Sehr schmerzhaft."