Nationalpalast Pena, Sintra, Portugal
hintergrund

EZB-Konferenz in Sintra Zwischen "klebriger" Inflation und Frankreich-Sorge

Stand: 02.07.2024 16:10 Uhr

Die Notenbanker der EZB beraten im portugiesischen Sintra über die Geldpolitik. Hoffnungen auf weitere schnelle Zinssenkungen erhalten einen Dämpfer. Beherrschendes Thema ist Frankreich.

Von Klaus-Rainer Jackisch (HR), z.Zt. Sintra

Geschichte wiederholt sich nicht - oder vielleicht doch? Als die Europäische Zentralbank (EZB) vor genau zehn Jahren ihre jährliche Zentralbank-Konferenz im beschaulichen portugiesischen Sintra, knapp 60 Kilometer südwestlich von Lissabon aus der Taufe hob, sahen viele für Teile der Europäische Währungsunion ziemlich schwarz.

Zwar hatte der damalige EZB-Präsident Mario Draghi zwei Jahre zuvor den Euro mit seiner bekannten "Whatever-it-takes-Rede" gerettet. Doch als sich die rund 100 Vertreter aus Wissenschaft, Notenbank-Welt und internationalen Organisationen im Mai 2014 zum ersten EZB-Forum trafen, spitzte sich in Griechenland die Euro-Krise zu: die "Koalition der Radikalen Linken" (Syriza) unter dem späteren Ministerpräsidenten Alexis Tsipras stand kurz vor einem spektakulären Wahlsieg, in dessen Folge das Land fast aus der Eurozone katapultiert wurde.

Damals hielt Christine Lagarde, noch Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), die Auftaktrede des EZB-Forums und zitierte ihren Landsmann, den französischen Schriftsteller Victor Hugo: "Notfälle waren schon immer notwendig, um voranzukommen."

Renditen französischer Staatsanleihen steigen

Jetzt, zehn Jahre später, hielt Christine Lagarde wieder die Auftaktrede zur diesjährigen EZB-Konferenz. Dieses Mal als EZB-Präsidentin. Notfälle gibt es immer noch - oder schon wieder. Ausgerechnet in ihrem Heimatland Frankreich braut sich politisches Ungemach zusammen: Nach dem heftigen Wahlerfolg des Rassemblement National von Marine Le Pen in der ersten Runde der französischen Parlamentswahlen ist ein massiver Rechtsruck in Paris wahrscheinlich.

Seit Wochen steigen die Renditen für französische Staatsanleihen. Das heißt, Paris muss immer höhere Zinsen für seine Staatsanleihen zahlen, um frisches Geld zu erhalten. Das liegt an der extrem hohen Verschuldung des Landes, die das rechte Lager weiter antreiben dürfte - hat es doch der Bevölkerung große und teure Wahlversprechen gemacht, die richtig Geld kosten.

Erinnerungen an Griechenland vor zehn Jahren

All dies erinnert fatal an die Situation in Griechenland vor zehn Jahren. Auch dort waren hohe Schulden das Problem, doch ans Sparen dachte die spätere Tsipras-Regierung nicht. Damals musste die EZB die Feuerwehr spielen, die Währungshüter legten ein massives Anleihe-Kauf-Programm auf. Es war hoch umstritten und legte in gewisser Weise auch die Basis für den später folgenden Inflationsschub. Und dieses Mal? Muss die EZB jetzt Frankreich retten?

Es ist das große Thema in Sintra auf den Fluren, in den Lounges und beim Essen in dem noblen Luxus-Ressort, dessen Grundmauern ein altes Kloster aus dem 14. Jahrhundert darstellt. Doch offiziell dringt kein einziges Wort der EZB zu diesem Thema aus dem gut gesicherten Areal unweit des Atlantiks an die Öffentlichkeit. Denn die Währungshüter haben große Sorgen, die Krise mit entsprechenden Äußerungen erst richtig anzufachen.

Hinzu kommt, dass die Französin Lagarde ungern die Situation in ihrem eigenen Land kommentieren möchte. Es verbietet sich, Stellung zu beziehen - auch weil nach der EZB-Präsidentschaft vielleicht noch ein politisches Amt im Elysée winken könnte.

Viel wichtiger aber: Die EZB kann Frankreich nicht retten. Immerhin ist die "Grande Nation" zweitgrößte Volkswirtschaft der Eurozone. Das Bruttoinlandsprodukt beträgt rund 2,8 Billionen Euro, mehr als zwölfmal so viel wie das von Griechenland. Schon dort ging die EZB mit ihrer Rettungsaktion bis an ihre Grenzen. Eine ernste Eurokrise rund um Frankreich würde die Währungsunion auseinanderfliegen lassen. Die EZB hat also größtes Interesse, das Problem sofort im Keim zu ersticken.

Eigenlob und Rechtfertigung von Lagarde

Aus diesem Grund zieht man in Sintra lieber ein Fazit und lobt sich selbst: Die eher farblose Auftakt-Rede von Lagarde bestand zu drei Vierteln aus einer Rechtfertigung für die vergangene Geldpolitik. Und reichlich Eigenlob, wie man die Inflation von über 10,6 Prozent in der Eurozone auf jetzt 2,5 Prozent heruntergebracht habe. Selbstkritik gab es nicht. Dabei ist unbestritten, dass die EZB durch ihr viel zu spätes Einschreiten und die viel zu lockere Geldpolitik selbst mitverantwortlich ist, dass der Inflationsschub überhaupt dieses Ausmaß erreichen konnte.

Wie es weitergeht, darüber war von Lagarde auch nicht viel Neues zu hören. "Unsere Arbeit ist noch nicht getan", so die EZB-Präsidentin. "Wir werden nicht darauf verzichten, die Inflation zum Wohl aller Europäer auf unser Ziel zurückzubringen" - also auf eine Teuerungsrate von zwei Prozent. Ob und wann es eine weitere Zinssenkung gibt, ließ Lagarde offen - auch wenn die Wirtschaft zunehmend unter dem hohen Zinsniveau ächzt und die EZB-Chefin in Sintra deshalb eine Verschärfung der Konjunkturflaute nicht ausschließen wollte.

Wie umstritten die Leitzins-Senkung ist

Große Eile scheint sie aber nicht zu haben - wohlwissend, dass die erste Leitzins-Senkung im Juni wohl eher ein Flop war und im EZB-Rat wesentlich stärker umstritten als zugegeben. Auch dies zeichnet sich am Rande der Foren und Podien von Sintra deutlich ab, wo EZB-Ratsmitglieder offen sagen, was sie wirklich denken. So wünscht sich Litauens Notenbankchef Gediminas Šimkus noch zwei Zinssenkungen in diesem Jahr - verständlich, denn in Litauen betrug die Inflation nach den zweistelligen Raten während des Höhepunkts des Inflationsschubs im Mai nur 0 Prozent. Derzeit liegt die Teuerung dort bei beneidenswerten 1,4 Prozent.

Ganz anders die Situation in Österreich. Notenbankchef Robert Holzmann hat sich gegen weitere Zinssenkungen ausgesprochen, weil die Inflation zu hartnäckig und "klebrig" sei, wie er in österreichischen Medien zitiert wird. Holzmann war auch der einzige im EZB-Rat, der sich im Juni gegen die umstrittene Zinssenkung ausgesprochen hat. Doch allein stand er mit seiner Position nicht - mindestens vier weitere Notenbankchefs wären im Grunde gegen die Zinswende, so Holzmann.

Doch weil sich die EZB-Chefetage im Vorfeld sehr weit aus dem Fenster gelehnt und trotz ständiger gegenteiliger Behauptungen bereits auf eine Zinssenkung festgelegt hatte, wollten die anderen mit einem Veto nicht mitziehen - zu groß war die Sorge vor Turbulenzen an den Finanzmärkten. Es dürfte ein offenes Geheimnis sein, dass auch Bundesbank-Präsident Joachim Nagel zu dieser Gruppe gehörte.

Rätselraten über nächste Zinssitzung

Die Kluft im EZB-Rat zwischen den "Falken", die eine harte Geldpolitik wollen, und den "Tauben", die eher für Zinslockerungen sind, scheint also wieder größer zu werden. Umso größer ist das Rätselraten, was das Gremium in rund zwei Wochen entscheidet, wenn es sich in Frankfurt zur nächsten Zinssitzung trifft.

Passend zu dieser Unsicherheit griff Lagarde in Sintra auch dieses Mal wieder in die Zitate-Kiste - wenngleich etwas profaner als vor zehn Jahren. Diesmal scheint Sir Alex Ferguson, Ex-Fußballspieler und -trainer bei Manchester United, die Stimmung bei der EZB passend widerzuspiegeln, was aber nicht unbedingt Vertrauen erweckt: "Manchmal bist Du nicht sicher. Manchmal zweifelst Du. Manchmal musst Du rätseln. Aber manchmal weißt Du es."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 02. Juli 2024 um 14:00 Uhr.