Beschluss der EU und der USA Was bringt die Freigabe von Ölreserven?
Angesichts des Ukraine-Kriegs geben EU und USA nationale Ölreserven frei. Wer bekommt dieses Öl? Und: Kann damit der Anstieg der Öl- und Spritpreise gebremst werden?
Trotz der bisherigen Anstrengungen um die Wende hin zu erneuerbaren Energien hängen die Welt, und damit auch die Industrienation Deutschland, am Öl. Der Preis für Rohöl legte wegen der Lage in der Ukraine in den vergangenen Tagen kräftig zu und notiert auf dem höchsten Stand seit 2014. Selbst Preise von deutlich über 100 Dollar pro Barrel (159 Liter) gelten bei Experten mittlerweile als wahrscheinlich. Angetrieben durch den hohen Ölpreis erreichten die Spritpreise in Deutschland neue Rekordmarken.
Deshalb haben die EU und die USA den Einsatz nationaler Ölreserven freigegeben. Zuvor hatte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck einen solchen Schritt angekündigt. Der Grünen-Politiker sagte nach einem Treffen der EU-Energieminister in Brüssel: "Wir überlegen, die nationalen Ölreserven in einer konzertierten Aktion zusammen mit den Amerikanern so einzusetzen, dass die Preise gedämpft werden, wenn sie weiter hoch gehen." Habeck ist heute und morgen zu Gesprächen in Washington. Zudem tagte heute die Internationale Energieagentur (IEA), wo bei einem außerordentlichen Ministertreffen über das Thema verhandelt und die Freigabe beschlossen wurde.
Volumen: 60 Millionen Barrel
EU-Energiekommissarin Kadri Simson unterstrich derweil, dass die EU ein robustes System für strategische Ölreserven habe. Dieser Vorrat könne bei eindeutigen Versorgungsstörungen ganz oder in Teilen freigegeben werden: "Es ist unsere jetzige Einschätzung, dass die EU sicher durch diesen Winter kommen kann", so Simson.
Insgesamt sollen nun also 60 Millionen Barrel freigegeben werden, wie der japanische Industrieminister Koichi Hagiuda nach dem außerordentliches Ministertreffen der IEA mitteilte. Die USA allein wollen davon 30 Million Barrel stemmen.
"Konzertierte Aktion wäre sinnvoll"
Hat das Auswirkungen auf den Ölpreis? "Grundsätzlich kann eine Freigabe der Reserven den Preisanstieg am Ölmarkt durchaus dämpfen", sagt Ralf Umlauf, Ökonom und Rohstoffexperte bei der Helaba, gegenüber tagesschau.de. Das hänge aber immer von der freigegebenen Ölmenge ab. "Deutschlands Reserven allein reichen gewiss nicht aus, aber eine konzertierte Aktion (...) könnte sich auf die Preise günstig auswirken." Letztlich seien die nationalen Ölreserven genau dafür gedacht: "Dass sie Preisentwicklungen in einer Krisensituation, wie wir sie derzeit sehen, abfangen oder Produktions- und Lieferausfälle abfedern können", meint Umlauf.
Laut Carsten Fritsch, Rohstoffexperte bei der Commerzbank, werden 60 Millionen Barrel lediglich einen Ausfall der russischen Öllieferungen für ungefähr 13 Tage abdecken. Wichtiger wäre nach Ansicht des Experten ein Signal der OPEC+ bei deren morgiger Sitzung, dem Ölmarkt auch bei einem Ausfall Russlands hinreichend Öl zur Verfügung zu stellen.
Reserven reichen für 90 Tage
In Deutschland ist der Erdölbevorratungsverband (EBV) mit Sitz in Hamburg für die strategischen Reserven zuständig. Der EBV hat jederzeit Erdöl und Erdölerzeugnisse in Höhe der nach Deutschland in einem Zeitraum von 90 Tagen netto eingeführten Mengen zu halten. Die Vorräte umfassen Benzin, Dieselkraftstoff, Heizöl und Kerosin. Diese strategischen Ölvorräte sollen für drei Monate einen vollständigen Ausfall aller Importe ausgleichen können.
Im Geschäftsjahr 2020/21 hielt der EBV rund 13,7 Millionen Tonnen Rohöl und knapp 12,2 Millionen Tonnen fertige Mineralölerzeugnisse. Der deutsche Gesamtverbrauch eines Jahres liegt bei knapp 100 Millionen Tonnen, dabei ist Deutschland praktisch vollständig von Mineralölimporten abhängig.
Freigabe per Rechtsverordnung möglich
Für die Freigabe muss Wirtschaftsminister Habeck auf Grundlage des Erdölbevorratungsgesetzes eine Rechtsverordnung erlassen, mit der die Bevorratungspflicht des EBV zeitweise heruntergesetzt wird. Die auf diese Weise "freigegebenen" Vorräte bietet der EBV laut Wirtschaftsministerium dann seinen Mitgliedsunternehmen zum Kauf zu Marktpreisen an.
Bislang wurden die strategischen Ölreserven dreimal freigegeben. Jedes Mal lag diesbezüglich ein gemeinsamer Beschluss der Mitgliedsländer der IEA vor. Anlässe waren der Golfkrieg zu Beginn der 1990er Jahre, die von den Hurrikanen "Katrina" und "Rita" 2005 angerichteten Schäden in den USA sowie der Ausfall libyscher Ölexporte während des Libyen-Krieges im Jahr 2011.
Pläne für Aufbau einer Gas- und Kohlereserve
Im Gegensatz zur nationalen Ölreserve hat Deutschland bisher keine Gas- und Kohlereserve. Das will Habeck ändern. Das Wirtschaftsministerium legte Pläne für den Aufbau einer Gasreserve vor. Ziel ist es sicherzustellen, dass die Gasspeicher immer ausreichend befüllt sind, wie aus Eckpunkten für ein Gesetz hervorgeht. Darin heißt es, die Gasspeicher in Deutschland seien für eine Versorgung mit Gas in den Wintermonaten essenziell. Deutschland verfüge über ein Speichervolumen von rund 24 Milliarden Kubikmeter. Das entspreche ungefähr der Hälfte des Gases, das pro Jahr durch die Gasleitung Nord Stream 1 von Russland nach Deutschland transportiert werden könne. Dieses Speichervolumen alleine könne Deutschland zwei bis drei durchschnittlich kalte Wintermonate mit Gas versorgen.