Osmothek in Versailles In der Bibliothek der Düfte
So etwas gibt es nur einmal auf der Welt und wohl nicht zufällig im französischen Versailles: In der Osmothek werden Tausende Parfums aufbewahrt. Sie zeugt von der Kreativität einer Branche.
Nicht "Small Talks", sondern "Smell Talks" heißt der jüngste Podcast, den die Osmothek mitgestaltet. Ihren Sitz hat sie auf dem Campus der Hochschule für Parfum, Kosmetik und Lebensmittelaromen in Versailles, die jedes Jahr 100 Parfumeure - im Fachjargon "Nasen" genannt - ausbildet.
Aufbewahrung bei höchster Sicherheitsstufe
In den Hochsicherheitstrakt der Osmothek dürfen nur wenige. Direktorin Anne-Cécil Pouant schließt auf und erklärt: "Hier sind wir im Herzen der Osmothek - im Keller, in dem 5000 Parfums bei zwölf Grad in Kühlschränken in getönten Glasflacons konserviert werden, darunter 850 nicht mehr erhältliche, und Tausende Ausgangsstoffe, die es uns erlauben, Parfums nach Originalformeln neu herzustellen."
Die Formeln bewahrt die Osmothek allerdings nicht im Keller, sondern in einem Banksafe auf. Geöffnet wird der nur nach strengstem Sicherheitsprotokoll - fast wie bei einem Atomkoffer. Das Parfum hat drei Feinde: Licht, Hitze und Sauerstoff. Deshalb wird jeder Duft in den Flacons mit Argongas versiegelt, denn das ist schwerer als Luft.
Gründung vor 30 Jahren
"Experten rund um Jean Kerléo haben in der Gesellschaft französischer Parfumeure vor über 30 Jahren daran gearbeitet, Parfums zu klassifizieren und eine Art Stammbaum für sie aufzustellen", sagt Direktorin Pouant. "Sie wollten sie vor ihren Nasen haben, die Geschichte der Parfumerie riechen. So entstand die Idee zur Osmothek."
Ihr Begründer hat eine feine Nase und unterscheidet 2000 Düfte. Auch im Rentenalter hat Kerléo bei Workshops noch seinen Koffer aufgeklappt - mit Flacons voller Essenzen und Aromen. Was ein Parfum ist? "Für mich ist es ein Gefühl, das sich über einen Duft äußert", sagt der Gründer der Osmothek. "Er soll lange anhaften, das Leben verschönern und die Persönlichkeit vervollständigen wie eine neue Frisur. Ein Parfum soll wie ein Sonnenstrahl an einem trüben Tag und verführerisch sein."
Der unterschätzte Sinn
Kerléo hat Parfums wie das des Königs des Partherreichs im Iran aus dem 1. Jahrhundert nach Christus rekonstruiert. In den Annalen fanden sich die 27 Zutaten - Honig, Ebenholzöl, Wein, Gewürze, Myrrhe und Harz, aber keine Mengen. Sein Geruchssinn hat das Puzzle zusammengesetzt.
Dieser Sinn wurde unterschätzt, so Kerléo - bis sein Verlust durch Covid ihm bewusst machte, wie wichtig er ist. "Die Nase: Man dachte immer, die braucht man nicht. Der Geschmack ist wichtig. Aber wir schmecken zu 90 Prozent über den Geruchssinn. Ohne ihn hat man auf nichts mehr Lust."
Milliardenschwerer Wirtschaftsfaktor
Das Goldene Zeitalter der Parfumerie aber, als Mitte des 20. Jahrhunderts gute Naturprodukte auf neue synthetische Moleküle stießen, ist für den Altmeister vorbei. "Die Industrie geht bei den teuersten und seltensten Stoffen kein Risiko ein, wenn sie ein neues Parfum erfolgreich auf den Markt bringen will", beklagt Kerléo. "Inhaltsstoffe, die schwer zu finden sind oder von ökologischer Seite kritisiert werden könnten, werden ersetzt. Wir sind also in einem anderen Stadium."
Frankreichs Parfumindustrie ist ungeachtet dessen ein milliardenschwerer Wirtschaftsmotor. Sie hat ihre Exporte 2022 um 30 Prozent gesteigert, besonders auch nach Deutschland. Die Osmothek ist ein wichtiges Scharnier: Sie ist wie ein Bienenstock - jeden Tag fliegen neue Düfte herein, und die sind Zeugnis der Kreativität der Branche.
Napoleons Geruch auf der Spur
Die Bibliothek der Düfte gibt ihr Wissen weiter. Schon Mini-Nasen von Zweijährigen lernen schnuppern. Isabelle Chazot leitet den Wissenschaftsrat der Osmothek: "Wir veranstalten mehr als 100 Workshops im Jahr über die Geschichte der Beziehung zwischen Mensch und Parfum", erklärt sie. "Sie haben mit Düften zuerst ihre Götter geehrt, sich von Gestank befreit, Krankheiten geheilt - und dann wurde Parfum eine Waffe der Verführung. Heute ist es Teil des Wohlbefindens und Ausdruck der Eigenart jedes Einzelnen."
Im "Show Room" sehen die Gäste 500 Parfumflacons und eine Duftorgel. Sie erfahren, nach welchem Wässerchen Napoleon im Exil auf Sankt Helena roch oder wie das Parfum der "Königin von Ungarn" aus dem 14. Jahrhundert duftete, in dem zum ersten Mal mit Blumen und Rosmarin destillierter Alkohol verwendet wurde.
"Das ist die Osmothek. Sie konserviert auch Emotionen", sagt Chazot. "Die Düfte lösen in uns Gefühle aus, je nachdem, was wir erlebt haben. Parfums berühren die individuelle Erinnerung, aber auch das kollektive Gedächtnis einer ganzen Epoche." Die Parfumeure der Osmothek besuchen auch Altersheime und Gefängnisse. Der Duft der Jugendliebe? Der Duft der Freiheit? Alles im Flacon.