Kyrillischer Schriftzug "Gazprombank" über einer Filiale
Interview

Ökonom zur Rubel-Zahlung Gazprombank als "verlängerter Arm"

Stand: 01.04.2022 15:11 Uhr

Westliche Gaskunden müssen ihre Rechnungen künftig über die Gazprombank begleichen, die das Geld in Rubel umtauscht. Was Putin damit bezweckt und ob ein Gasstopp wahrscheinlicher geworden ist, erklärt der Ökonom Südekum.

tagesschau.de: Das Rubel-Dekret und die Aussagen Russlands in den vergangenen Tagen haben für einige Verwirrung gesorgt. Nun ist jedoch klar: Westliche Abnehmer von russischem Gas können zwar weiter in Euro und Dollar bezahlen, müssen dafür aber spezielle Konten bei der Gazprombank eröffnen. Wie genau soll das funktionieren?

Jens Südekum: Grundsätzlich stochern alle noch ein wenig im Nebel, denn die offiziellen Dokumente werden gerade erst erarbeitet. Bislang hat ein deutscher Kunde wie zum Beispiel Uniper das Geld für das Gas direkt an ein in den Verträgen genanntes Konto von Gazprom in Euro gezahlt. Jetzt könnte es so laufen, dass Uniper zwar weiterhin in unserer Währung auf ein Konto bei der Gazprombank überweist, gleichzeitig aber ein zweites Formular unterschreiben muss.

Dadurch könnte die Bank im Auftrag des Kunden beauftragt werden, diese Devisen in Rubel umzutauschen und den entsprechenden Betrag in der russischen Währung auf einem neu geschaffenen Rubel-Konto von Uniper gutzuschreiben. Dieser Rubel-Betrag wird dann an Gazprom weitergeleitet. So könnte es funktionieren und beide Seiten haben, was sie wollen: Wir zahlen in Euro, aber Putin erhält Rubel.

Professor Jens Südekum
Zur Person
Jens Südekum lehrt als Professor für internationale Volkswirtschaftslehre am Düsseldorf Institute for Competition Economics (DICE) der Heinrich-Heine-Universität. Er gehört zum Wissenschaftlichen Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium und berät die Bundesregierung in Wirtschaftsfragen.

tagesschau.de: Und was ist noch unklar?

Südekum: Die entscheidende Frage ist nun, ab wann genau der Gaskunde seine vertraglichen Verpflichtungen erfüllt hat. Zu dem Zeitpunkt, an dem die Euros überwiesen wurden - und damit wie bisher? Oder erst dann, wenn die Konvertierung stattgefunden hat und der Rubel-Betrag bei Gazprom landet?

Dazu könnte es ein juristisches Tauziehen geben. Die russische Seite wird argumentieren, dass der Vertrag erst nach dem Umtausch erfüllt ist. Die Juristen der europäischen Seite werden das aber vermutlich etwas anders sehen, weil die zwei zusätzlichen Schritte eine Verschlechterung gegenüber der aktuellen Vertragssituation und damit ein zusätzliches Risiko wären. Das ist der wichtigste Punkt, der aus meiner Sicht noch offen ist. Die Grundsatzentscheidung scheint mir fürs erste gefallen zu sein: Es fließt weiter Gas.

"Verlängerter Arm der russischen Zentralbank"

tagesschau.de: Was sind die konkreten Folgen für westliche Unternehmen? Wie sieht es etwa mit dem Wechselkurs aus? Ändert sich etwas beim Zahlungsbetrag?

Südekum: Im Kern wird sich für die europäischen Firmen nicht viel ändern - außer der Eröffnung des neuen Kontos. Einige behaupten sogar, dass sie das gar nicht müssten, weil es die Gazprombank automatisch für den Käufer regeln kann.

Kunden wie Uniper haben auch weiterhin kein Wechselkursrisiko, weil der fällige Betrag in Euro gezahlt wird. Die Konvertierung verläuft erst anschließend nach dem aktuellen Rubel-Kurs. Die Bezahlung läuft deshalb weiter über Euro und Dollar. Das Wechselkursrisiko bleibt bei Gazprom.

tagesschau.de: Was soll die Maßnahme denn dann bezwecken?

Südekum: Putin macht die Gazprombank dadurch zu einem verlängerten Arm der russischen Zentralbank. Der bisherige Status Quo war: Wir zahlen für unser Gas in Euro oder Dollar an irgendeine russische Bank, die per Dekret 80 Prozent der Devisen bei der russischen Zentralbank in Rubel umtauschen muss. Damit liegen die Devisen dort. Durch die westlichen Sanktionen ist die Zentralbank jedoch nur bedingt handlungsfähig, um sie für die Währungsstabilisierung einzusetzen.

Die Märkte zeigen zwar, dass sie es trotz Sanktionen schafft, den Rubel-Kurs zu stützen. Es gibt Mutmaßungen, dass die Zentralbank zum Beispiel Euro-Dollar-Konten bei einer chinesischen Bank hat und das Geld dorthin verschiebt. Diese gibt sie es an ihre Tochterinstitute in den USA weiter, wo schließlich mit den Devisen Rubel gekauft werden. Über die Zwischenstationen fällt es nicht mehr auf, dass die russische Zentralbank dahintersteckt. Dieser Weg ist natürlich etwas heikel. Alle beteiligten Finanzinstitute gehen ein hohes Risiko ein.

Durch die Veränderung bewegt sich die russische Zentralbank ein wenig aus der Schusslinie. Sie muss sich nicht mehr direkt um die Stützung des Rubels kümmern. Diesen Job übernimmt jetzt die Gazprombank, was juristisch sicherer ist, da diese nicht den Sanktionen unterliegt. Das ist allerdings kein Thema, das Putin direkt umtreibt. Das ist das Werk der Zentralbank-Präsidentin Elvira Nabiullina.

Umgeht die Zentralbank indirekt die Sanktionen?

tagesschau.de: Daraus kann die Schlussfolgerung gezogen werden, dass die russische Zentralbank die westlichen Sanktionen umgeht. Ist das so?

Südekum: Ich glaube, letztendlich ist es ein kluger Schachzug der Zentralbank. Das russische Finanzsystem unterläuft damit indirekt dem Geist der Sanktionen. Denn eigentlich will der Westen ja gerade verhindern, dass die Zentralbank auf den Märkten aktiv wird, um den Rubel zu stützen.

Jetzt sucht sie eben nach einem Weg, wie sie doch wieder ins Spiel kommen oder andere für sich einsetzen kann. Aus ihrer Perspektive ist das nicht verwerflich, aber der eigentliche Zweck der Sanktionen wird dadurch natürlich verwässert. Fairerweise muss man aber dazu sagen: Dieses Durcheinander haben wir im Prinzip selbst erzeugt, weil wir wegen der Energielieferungen die Gazprombank nicht mit Strafmaßnahmen belegt haben.

tagesschau.de: Sie sagten, die Stützung der Währung treibe Putin nicht um. Welche Ziele verfolgt der Kreml-Chef denn persönlich? SWP-Experte Janis Kluge hob kürzlich im tagesschau.de-Interview hervor, dass er vor allem die Macht des russischen Gases demonstrieren will. Sehen Sie das ähnlich?

Südekum: Aus Putins Sicht ist das Ganze ein Muskelspiel. Es fing an, als Olaf Scholz erklärt hat, es werde kein Embargo geben, weil wir weiterhin russisches Gas brauchen. Wenige Stunden später sagte Putin, es gebe das Gas nur noch zu seinen Bedingungen. Man hätte auch erwarten können, dass er es hart spielt, nur direkte Rubel-Zahlungen akzeptiert und ansonsten den Hahn abstellt. Das ist nicht so gekommen, sondern stattdessen eigentlich klar geworden, dass Gas weiter fließen wird.

Für Putin ist es jetzt wichtig, die Nummer dennoch als Sieg verkaufen zu können. Zudem will er die klare Botschaft aussenden, dass er die Macht hat, die Gaslieferungen zu jedem Zeitpunkt zu stoppen. Was wir jetzt gerade im Kern erleben, ist die Suche nach einer technokratischen Lösung, mit der beide Seiten gesichtswahrend aus der Sache herauskommen und der Konflikt fürs erste beendet ist. Wir zahlen unser Gas weiter in Euro oder Dollar und Putin kann sagen, dass er Rubel erhält.

Allerdings kann das Ganze jederzeit wieder eskalieren - beispielsweise durch europäische Importzölle auf russisches Gas. Dann hätte Putin einen erneuten Anlass für die nächste Drohung mit einem Lieferstopp.

"Das russische Gas ist ein Politikum"

tagesschau.de: Ist ein möglicher Gasstopp durch die neuen Zahlungsmodalitäten letztlich wahrscheinlicher oder unwahrscheinlicher geworden?

Südekum: Die Wahrscheinlichkeit eines Szenarios, in dem es dazu kommen kann, ist meiner Meinung nach gestiegen. Vor der Regierungserklärung, auf ein Embargo zu verzichten, hatte man noch den Eindruck, es würde ein stillschweigendes Agreement geben, dass mit dem Gas nichts passiert. Wir brauchen das Gas und Putin die Deviseneinnahmen.

Nun ist aber klar geworden: Das russische Gas ist ein Politikum und wird für Muskelspiele eingesetzt. Das kann jederzeit wieder passieren. Deshalb ist der Eintritt eines Lieferstopps - auch wenn es nun akut erst einmal abgewendet wurde - in einem neuen Szenario wahrscheinlicher geworden.

Das Gespräch führte Till Bücker, tagesschau.de.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk Info am Mittag am 01. April 2022 um 12:25 Uhr.