Wirtschaftsbeziehungen zu China Gefährlich gute Geschäfte
Kinderwagen, Smartphones, Arzneimittel: Viele Alltagsprodukte stammen aus China. Gefährlich ist diese Abhängigkeit dort, wo sie nicht sofort zu erkennen ist, wie Recherchen des ARD-Magazins report München zeigen.
Christian Stumpf ist Chefarzt der Kardiologie am Klinikum Bayreuth - und neuerdings immer wieder in Wirtschaftsnachrichten vertieft. Denn die aktuellen Lieferschwierigkeiten bei Waren aus China machen ihm Sorgen. Vor allem mit Blick auf die Versorgung mit Arzneimitteln: Es reiche, dass ein Werk in China ausfalle, und schon kann es sein, dass man ein "ganz normales Antibiotikum" nicht mehr bekomme.
Tatsächlich stammen fast 80 Prozent der Wirkstoffe für Antibiotika in der EU aus China. Aber auch viele der Artikel, die er für Operationen benötigt: Spritzen, Beatmungstuben, Herzkatheter. Eine Abhängigkeit, die sich rächen kann?
Aus Abhängigkeiten könnten Waffen werden
Es gibt Politiker, die diese wirtschaftlichen Abhängigkeiten kritisch sehen. So wie der Grünen-Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer. Er darf nicht mehr nach China reisen - das Land hat ihn sanktioniert, vermutlich, weil er sich regelmäßig kritisch zur Menschenrechtslage in dem Land äußert.
Reinhard Bütikofer sagt, solange nichts passiere, seien die China-Beziehungen ganz harmlos. "Gefährlich werden diese Abhängigkeiten in dem Moment, in dem die Führung in Peking der Auffassung ist, sie sollte aus diesen Abhängigkeiten Waffen machen." Eine Frage, die sich - so Bütikofer - für viele Experten und Politiker derzeit stelle: Was "würde passieren, wenn China genauso brutal und aggressiv über Taiwan herfallen würde, wie Putin über die Ukraine hergefallen ist?"
Energiewende "Made in China"
Die Abhängigkeit von China ist gerade dort besonders groß, wo sie auf den ersten Blick nicht ersichtlich ist. China dominiert die Produktion wichtiger Rohstoffe, wie etwa die der sogenannten Seltenen Erden. Laut Angaben der EU-Kommission stammten 2020 mehr als 98 Prozent dieser Metalle aus China - so dass die EU-Kommission Seltene Erden auf die Liste der kritischen Rohmaterialien gesetzt hat.
Diese Stoffe stecken in Fernsehern, Mobiltelefonen und Computern. Aber auch in Windkraftanlagen und Elektroautos. Die Energiewende wäre ohne Seltene Erden nicht denkbar.
USA wollen Abhängigkeit beenden
Aus Sicht des Rohstoff-Experten Daniel Goldmann war es für Europa lange Zeit bequem, die Produktion Seltener Erden China zu überlassen, auch weil bei der Gewinnung der Metalle giftiges Abwasser entsteht. Die Konsequenz: Heute sei Deutschland bei "Seltenen Erden mehr oder weniger komplett abhängig von China, aber auch bei vielen anderen Rohstoffen", so der Vizepräsident der TU Clausthal.
Die USA haben bereits Schritte eingeleitet, um sich aus dieser Abhängigkeit von China zu lösen. Nachdem die Vereinigten Staaten bis 2017 gar keine eigene Förderung von Seltenen Erden hatten, wird diese seit 2018 massiv ausgebaut.
Klare Strategie der Chinesen
Die teilweise einseitige Abhängigkeit von China ist auch Thema eines internen Dokuments aus dem Bundeswirtschaftsministerium aus dem November 2022, das dem ARD-Politikmagazin report München vorliegt. In diesen "internen chinapolitischen Leitlinien" weisen die Regierungsbeamten darauf hin, dass Chinas Strategie ganz gezielt darauf ausgerichtet sei, als Lieferant so dominant zu werden, dass dadurch Abhängigkeiten entstehen.
Für den Grünen-Politiker Reinhard Bütikofer keine Überraschung: Es sei "keine Geheimwissenschaft, da braucht man keinen CIA oder Bundesnachrichtendienst, um diese Strategie rauszukriegen. Das wird öffentlich so gesagt."
Etwa in einer Rede von Staatspräsident Xi Jinping vom April 2020, der zufolge China internationale Produktionsketten abhängiger machen sollte, um so das "Abschreckungspotential" gegen andere Nationen zu stärken.
"Deutschland im Konfliktfall erpressbar"
Für den Fall, dass es zu einem offenen Konflikt um die Insel Taiwan kommen sollte, befürchten die Beamten aus dem Bundeswirtschaftsministerium offenbar auch Konsequenzen für Deutschland: "Die große Bedeutung Chinas als Absatzmarkt für etliche deutsche Industriebranchen sowie kritische Abhängigkeiten in bestimmten wirtschaftlichen oder technologischen Bereichen [...] können Deutschland im Konfliktfall (insb. Taiwan-Szenario) erpressbar machen und zur Einschränkung seiner politischen Handlungsfähigkeit führen", heißt es in dem internen Schreiben.
Reinhard Bütikofer warnt ebenfalls davor, sich zu stark an China zu binden. Die Wirtschaftspolitik dürfe nicht dazu führen, "dass im Falle des Falles wir gar nicht mehr handlungsfähig sind, weil ökonomische Abhängigkeiten uns die Hände binden". Aktuell arbeitet das Außenministerium federführend für die Bundesregierung an einer China-Strategie. Ihre Fertigstellung ist für dieses Jahr geplant.
Handel mit Taiwan stärken
Derweil ist eine Gruppe FDP-Politiker Anfang dieser Woche nach Taiwan gereist. Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, leitet die Delegation. Sie verweist im Interview mit report München auf "die militärischen Drohgebärden gegenüber Taiwan".
Wichtig sei in dieser Lage vor allem, sich aus wirtschaftlichen Abhängigkeiten von China zu lösen. Man könne dort weiter Handel treiben, müsse aber sensibler damit umgehen - und in andere Märkte investieren. Auch in Taiwan, "wo Demokratie und Freiheit herrschen". Die chinesische Botschaft in Berlin wirft den FDP-Abgeordneten vor, "eine Konfrontation zwischen verschiedenen Lagern" heraufzubeschwören und bringt ihre "entschiedene Ablehnung zum Ausdruck".