Feigengallwespe (blastophaga psenes)

Wilde Bestäubung Die tödliche Symbiose von Feige und Wespe

Stand: 25.08.2024 05:29 Uhr

Feige und Wespe bilden eine uralte Symbiose, die beiden Arten das Überleben sichert. Für das Einzeltier endet sie aber tragisch.

Von Florian Falzeder, BR

Die Geschichte von Feige und Wespe ist Jahrmillionen alt, dreht sich um Sex, Tod und Symbiose, und: "Es gibt auch eine Menge Betrug", sagt Finn Kjellberg. Der Evolutionsbiologe erforscht seit über 40 Jahren am französischen Centre national de la recherche scientifique die komplexe Symbiose der Echten Feige und einer kleinen Wespenart, die sie bestäubt.

Die beiden Arten sind voneinander abhängig, keine könnte ohne die andere überleben. Beide profitieren auch voneinander, zumindest als Arten. Für die einzelne Feigenwespe dagegen endet die Beziehung tödlich.

Wespe sucht Feige

Ein Feigenwespenweibchen, ausgewachsen etwa zwei Millimeter groß, will seine Eier ablegen und sucht sich dafür eine Feige. Die ist übrigens keine Frucht, sondern ein Blütenstand, also eine Ansammlung kleiner Blüten, die nach innen wachsen.

Die Wespe krabbelt durch das kleine Loch an der Unterseite in die Feige. "Die zwängt sich da so rein, dass sie sich dabei verletzt und dann keine Flügel mehr hat", beschreibt Thibaud Messerschmid, Botaniker bei den Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns.

Die Feige wird zur Todesfalle für die Wespenmutter. Sie stirbt an ihren Verletzungen, kann aber noch ihre Eier ablegen.

In der Wespenkinderstube

Daraus schlüpft die nächste Generation, erst die Larven, aus denen sich erwachsene Insekten entwickeln. Die Männchen begatten die Weibchen.

Danach fressen die flügellosen Männchen mit ihren großen Beißwerkzeugen noch Fluchtkanäle nach außen und sterben auf oder in der Feige. Die Weibchen fliehen in die Freiheit - und nehmen dabei Pollen mit.

Weibliche und männlich-weibliche Feigen

Die Echte Feige ist funktionell zweihäusig. Sie hat auf verschiedenen Bäumen männliche und weibliche Blüten. Die rein weiblichen Blütenstände, also Feigen, sind diejenigen, die wir Menschen essen. Die anderen haben sowohl weibliche als auch männliche Blüten in ihrem Inneren, die darüber hinaus etwas kürzere Stiele haben. Sie heißen Bocksfeigen, weil sie nur den Böcken, also Ziegen schmecken.

Landet das Feigenwespenweibchen jetzt auf so einer Bocksfeige, hat es verhältnismäßig Glück gehabt. Es stirbt zwar im Inneren, kann aber seine Eier ablegen und die nächste Generation überlebt.

Weibliche Feigen betrügen die Wespe

Anders ist es bei der Essfeige mit nur weiblichen Blüten. Weil deren Stiele länger sind und der Legestachel des Wespenweibchens zu kurz, kann es seine Eier nicht an der richtigen Stelle ablegen.

Die Wespe stirbt irgendwann erschöpft, die Feige hat aber ihr Ziel erreicht: Sie wurde bestäubt. "Das ganze System basiert also auf dem Betrug, dass die Wespe dazu gebracht wird, zu den weiblichen Bäumen zu gehen", sagt Kjellberg. Für das einzelne Tier sei das ein tragisches Schicksal, ergänzt der Botaniker Messerschmid, aber in der Biologie komme es nicht auf das Individuum an, sondern darauf, welche genetischen Programme sich durchsetzen.

Feige mit Wespenfleisch

Deswegen steckt in manchen Feigen tatsächlich eine tote Wespe. Allerdings nicht in jeder, denn es gibt hunderte Sorten weltweit, die Menschen züchten. Und die Mehrzahl davon kommt ohne Bestäubung aus. Diese selbstfruchtenden, sogenannten parthenokarpen Sorten sind unfruchtbar, müssen also von Menschenhand über Setzlinge vermehrt werden.

Weil sie nicht bestäubt wurden, entwickeln sie in ihren Kernen auch keine Samen. Ihre Kerne sind, so der Feigen-und-Wespen-Experte Kjellberg, weicher. Hat man dagegen eine der bestäubten Sorten oder eine wilde Feige erwischt, sind die Kerne hart und knuspern zwischen den Zähnen.

Weil die Feigenwespe wärmere Gebiete bevorzugt und vor allem im Mittelmeerraum lebt, müssen alle Sorten, die in Deutschland reife Früchte abwerfen, selbstfruchtend sein. Am Bodensee wurden zwar schon einzelne Exemplare der Feigenwespe gesichtet - für eine Bestäubung sind das allerdings zu wenige.

Symbiose: eine Erfolgsgeschichte

Die Beziehung zur Wespe haben übrigens alle der über 800 Feigenarten auf der Erde mit der Echten Feige, die wir Menschen essen, gemeinsam. Ob Würgefeigen, Benjamina oder Gummibaum, alle gehören zur Gattung der Feigen. Und zu jeder dieser Feigenarten gehört eine eigene Wespenart, die sie passgenau bestäuben kann.

Dass es so viele Feigen- und Feigenwespenarten gibt, ist ein Zeichen für die enorme Erfolgsgeschichte der Symbiose. Sie reicht bis in die Zeit der Dinosaurier zurück und ist etwa 70 bis 75 Millionen Jahre alt - eine echte symbiotische Erfolgsgeschichte.

Ein besonders beeindruckendes Beispiel: Es gibt eine Wespenart in der Wüste von Namibia, die, sobald sie geschlüpft ist, Distanzen von bis zu 160 Kilometern zurücklegen kann. Weggetragen vom Wind fliegen sie während ihres zweitägigen Lebens, sobald sie eine neue Feige riechen, dorthin. So können Bäume dieser Feigenart über enorme Entfernungen hinweg bestäubt werden.