Corona-Impfschäden Der harte Kampf um Entschädigung
Millionen Menschen haben sich gegen das Coronavirus impfen lassen und nur leichte Nebenwirkungen verspürt. Ganz wenige trugen offenbar bleibende Schäden davon - und fühlen sich nun allein gelassen.
Für Familie G. aus Kassel war die Corona-Impfung selbstverständlich. Doch sie sorgt für einen Wendepunkt im Leben von Tochter Sophie. Die damals 19-Jährige lässt sich im Frühjahr 2021 mit dem Impfstoff von BioNTech impfen. Gut eine Woche später bekommt sie Gelenkschmerzen. Erst an den Händen, dann in den Füßen.
Zu den Gelenkschmerzen kommt ein Ausschlag an den Füßen. "Das war das erste Mal, wo ich dachte, das ist komisch", sagt die heute 21-Jährige im Rückblick. Sophie kommt ins Zentrum für Neuropädiatrie des Klinikums Kassel. Ihr behandelnder Arzt ist Professor Bernd Wilken. Er vermutet damals eine Bindegewebsentzündung, eine Kollagenose. Das ist eine autoimmunologische Erkrankung, die es in der Familie gebe. Dass diese kurz nach der Impfung ausbricht, macht den Professor stutzig. "Das kann natürlich theoretisch Zufall sein. Es kann aber natürlich auch mit einer Impfung zu tun haben, die ja das Immunsystem zu einer Aktion herausfordert", sagt Wilken.
Sophie entwickelt Epilepsie
Es kommt noch schlimmer. Sophie erleidet eine Sinusvenenthrombose, was bedeutet, dass das Blut nicht mehr so gut aus dem Gehirn abfließen kann. In der Folge entwickelt sie Epilepsie. Sophie landet auf der Intensivstation, kann zeitweise nicht mehr laufen und nicht mehr richtig sprechen.
In der Familie: Verzweiflung, Ratlosigkeit und ein Gefühl der Angst, berichtet Sophies Mutter: "Ich habe damals gedacht, ich habe jetzt hier also vielleicht ein behindertes Kind." Auch Arzt Wilken macht sich damals Sorgen um seine Patientin. Der Fall habe ihm "durchaus schlaflose Nächte bereitet".
Impfschäden sind sehr selten
Es sind Erlebnisse, die die Familie bis heute prägen. Mit denen sie sich aber allein gelassen fühlt. Impfschäden sind Einzelfälle, die aber für die Betroffenen gravierende Folgen haben können. Etwa 0,02 Prozent der Menschen mit einer Corona-Impfung haben dauerhafte Beschwerden, beziehungsweise schwere Nebenwirkungen - bis hin zu bleibenden Schäden, so die Angaben des Paul-Ehrlich-Instituts, das solche Meldungen registriert. Auch Impfhersteller gehen von Zahlen in dieser Größenordnung aus.
Bei öffentlich empfohlenen Impfungen - wie der Corona-Impfung - ist eigentlich der Staat für die Versorgung zuständig, wenn ein dauerhafter gesundheitlicher Schaden eintritt. So ist es im Infektionsschutzgesetz geregelt.
Versorgungsämter prüfen kausalen Zusammenhang
Thomas Kerner kann den Grundgedanken im staatlichen Umgang mit Impfschäden erklären. Er ist in Bayern für die sogenannten sozialen Entschädigungen verantwortlich; arbeitet im "Zentrum Bayern Familie und Soziales" in Bayreuth. Er erklärt, dass es im gesamtgesellschaftlichen Interesse liege, dass Leute sich impfen lassen. "Und wenn es eben in den seltenen Fällen zu einer gesundheitlichen Schädigung kommt, wird diese vom Staat entschädigt", so Kerner.
Die Entschädigung reicht von der Übernahme von Heil- und Krankenbehandlungen über Rehabilitationsleistungen bis hin zu einer monatlichen Rentenzahlung. Zuständig sind die Versorgungsämter. Aber auch hier muss bei einem Antrag die Kausalität, also der Zusammenhang zwischen Impfung und Gesundheitsschaden, belegt sein. In Bayern wurden zum Beispiel bis Mitte Juli rund 2.250 Anträge bei den Versorgungsämtern eingereicht. 1.190 wurden bearbeitet und 105 anerkannt. Diese Quote bewegt sich im Bundesdurchschnitt von rund zehn Prozent.
Sophies Antrag wird abgelehnt
Sophie G. aus Kassel hat bei ihrem zuständigen Versorgungsamt einen Antrag gestellt - sie will einen staatlichen finanziellen Ausgleich für ihren mutmaßlichen Schaden nach einer Impfung. Der Antrag wurde abgelehnt. Es bestehe allenfalls ein zeitlicher, aber kein kausaler Zusammenhang zwischen den gesundheitlichen Beeinträchtigungen und der Impfung, heißt es.
Ihr behandelnder Arzt sieht das anders. Durch die Impfung habe man in das Immunsystem eingegriffen. "Da besteht einfach die Möglichkeit, dass es auch daran gelegen hat", so Wilken. Er hält einen Zusammenhang mit der Impfung für wahrscheinlich.
Sophie geht in die nächste Instanz
Sophie G. gibt nach der Ablehnung durch das Versorgungsamt nicht auf. Ihr Fall liegt nun beim zuständigen Sozialgericht. Sie will auch von BioNTech Schadensersatz und Schmerzensgeld. Ihre Anwältin hat eine Klage gegen den Impfstoff-Hersteller eingereicht. Der Anwalt von BioNTech schreibt in seiner Antwort auf die Klage: "Auf Grundlage der vorgelegten Dokumente ergeben sich keine Tatsachen, aufgrund derer ein Zusammenhang zwischen der streitgegenständlichen Impfung und den behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin plausibel erscheinen würde. Es ist bereits unklar, ob die Klägerin zum Zeitpunkt der Impfung überhaupt gesund war."
Dem steht die Einschätzung von Sophies behandelndem Arzt entgegen. Seine Patientin sei zum Zeitpunkt der Impfung gesund gewesen, sagt Wilken im Interview. "Sophie war fit, hatte eine ganze Karriere vor sich. Sie hat gejobbt und hat sich vorbereitet auf die Cello-Aufnahmeprüfung in Berlin und war ein gesundes Mädchen."
Kausaler Zusammenhang schwer zu beweisen
Es ist ein juristischer Hochseilakt, den kausalen Zusammenhang zwischen einer Impfung und einem mutmaßlichen Impfschaden vor Gericht zu beweisen. "Als Patient muss man den Vollbeweis erbringen", sagt Yvonne Schuld, Fachanwältin für Medizinrecht aus Mainz, im BR-Podcast "Geimpft, geschädigt - vergessen?" "Das Gericht muss am Ende zu hundert Prozent überzeugt sein, dass das, was man vorträgt auch tatsächlich stimmt."
In anhängigen Klagen erlebe sie, dass bereits der Gesundheitsschaden bestritten würde. Dann müssen Sachverständige ran. Entsprechend teuer kann ein solcher Prozess werden. Und so haben vor allem mutmaßlich Geschädigte geklagt, die rechtsschutzversichert sind.
Hohe Hürde für Kläger: das Nutzen-Risiko-Verhältnis
Selbst wenn ein Gesundheitsschaden anerkannt wird, folgt die nächste Hürde. Denn bislang verweisen die Gerichte immer auf die europäische Arzneimittelbehörde, die das sogenannte Nutzen-Risiko-Verhältnis der Corona-Impfung als positiv bewertete. Das schränke die Erfolgsaussichten bei Klagen stark ein, so Anwältin Schuld.
"Es darf nicht auf die einzelne Person abgestellt werden, auf den betroffenen Kläger, sondern man muss sich die Gesamtheit aller Arzneimittelbenutzer anschauen. Also ist der Benefit, den man durch dieses Arzneimittel hat, sozusagen größer als der Schaden?" So erklärt es die Fachanwältin für Medizinrecht. Kläger müssen also eine hohe Hürde überwinden.
Betroffene fühlt sich im Stich gelassen
Sophie G. wollte eigentlich Musikerin werden. Als sie sich 2021 impfen ließ, stand sie kurz vor der Aufnahmeprüfung zum Musikstudium. Durch die schwere Erkrankung unmittelbar nach der Impfung ist dieser Traum geplatzt - eine professionelle Musikerkarriere undenkbar. Sie befindet sich weiter in ärztlicher Behandlung und fühlt sich im Stich gelassen. "Man wird so allein gelassen von der Gesellschaft, auch von den Versorgungsämtern. Man versucht, sich zu impfen für die Gesellschaft, um andere zu schützen und vielleicht auch sich selbst. Und dann wird einem so in den Rücken gefallen", sagt Sophie.
Sophies Verfahren läuft jetzt vor dem Sozialgericht weiter. Ein Sachverständiger soll gehört werden. Über die Klage gegen BioNTech wurde noch nicht verhandelt. Der Kampf um Entschädigung ist also längst nicht ausgestanden. Klar ist, die Betroffenen brauchen Kraft. Sie müssen nicht nur mit ihren Erkrankungen leben, sondern sich auch langen juristischen Auseinandersetzungen stellen.