Bericht zur Artenvielfalt Schmetterling, Waldvogel und Co. sind in Gefahr
Mehr als 150 Wissenschaftler haben auf den Zustand der Artenvielfalt in Deutschland geschaut. Ihr Ergebnis: Viele Tier- und Pflanzenarten sind in einem kritischen Zustand. Es gibt aber auch einige positive Entwicklungen.
Wie schön wäre es, an dieser Stelle von deutschlandweiten Erfolgen bei der Wiederherstellung von Lebensräumen oder im Artenschutz berichten zu können. Klar, die gibt es - aber sie ändern (noch) nichts daran, dass der heute in Berlin präsentierte "Faktencheck Artenvielfalt" zu einem ernüchternden Resultat kommt.
10.000 Arten sind in Deutschland nachweislich bestandsgefährdet - vor allem Insekten, Weichtiere und Pflanzen sowie Spezies des Agrar- und Offenlandes. Von 93 untersuchten Lebensraumtypen sind 60 Prozent in unzureichendem oder schlechtem Zustand. Am schwersten haben es Äcker und Grünland, Moore, Moorwälder, Sümpfe und Quellen.
Der Klimawandel ist nur das eine
"Naturnahe Lebensgemeinschaften beginnen, an Arten zu verarmen. Gleichzeitig sehen wir eine beschleunigte Verschiebung hin zu neuartigen Lebensgemeinschaften mit zunehmendem Anteil gebietsfremder Arten", resümiert Botanikerin Jori Maylin Marx von der Universität Leipzig. Positive Entwicklungen verzeichnet der Bericht nur wenige - etwa infolge der verbesserten Wasserqualität von Flüssen sowie der Förderung natürlicher Strukturen in Wäldern und in der Agrarlandschaft. Vergleichsweise gut haben es auch die Laubwälder - obgleich ihnen der Klimawandel an die Substanz geht.
Klar belegbar ist außerdem, dass der Verlust von Lebensräumen und die intensivierte Nutzung von Kulturlandschaften den stärksten Negativeffekt auf die Artenvielfalt haben. Insbesondere die Intensivierung der Landwirtschaft wirkt sich negativ auf fast alle Lebensräume aus, nicht nur auf das Agar- und Offenland. Eine ökologisch orientierte Agrarreform empfiehlt sich damit aber auch als vielversprechender Hebel für den Schutz der Vielfalt.
Das Motto von morgen: Nicht gegen die Natur wirtschaften
"Für eine echte Trendwende müssen wir die Natur verstärkt wiederherstellen", sagt die Nachhaltigkeitsexpertin Nina Farwig. Und eine alte Tugend müsse wieder wichtig werden: "Mit der Natur zu wirtschaften - nicht gegen sie. Das kann auch bedeuten, dass wir ökologische Folgekosten in Wirtschaftsberichten bilanzieren. Vor allem müssen neue biodiversitätsbasierte Landnutzungssysteme entwickelt werden. Moderne Technologien können hierbei helfen", so Farwig.
Gemeinsam mit den mehr als 150 weiteren Autorinnen und Autoren des über 1.200 Seiten starken Berichts weist sie aber auch darauf hin, dass es noch rechtlichen und förderpolitischen Verbesserungsbedarf in der Naturschutzpolitik gebe. In vielen Fällen sei auch die Abstimmung mit anderen Nutzungsinteressen lückenhaft, und auch im Naturschutz versprächen erfolgsbasierte finanzielle Anreize den größten positiven Einfluss.
Manche Arten entwickeln sich auch positiv, etwa Libellen, Waldvögel und einige Bienenarten.
Braucht es ein Menschenrecht auf eine gesunde Umwelt?
Eine gesteigerte Verbindlichkeit könnte der Schutz der Artenvielfalt auch erhalten, indem er an höherrangige Rechte geknüpft werde, beispielsweise an ein Menschenrecht auf gesunde Umwelt oder ein grundgesetzlich gewährleistetes Eigenrecht der Natur.
Dass solche Gedankenanstöße aus Deutschland kommen, verblüfft dabei wenig. Denn in kaum einem Land wird so viel in Sachen Artenvielfalt geforscht wie hier. So wurden denn auch für den neuen, vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) angestoßenen Bericht mehr als 6.000 Publikationen ausgewertet, und das Autorenteam repräsentierte 75 Organisationen und Verbände. Zusammengetragen wurde vor allem der Stand des Wissens für fünf Kategorien von "Hauptlebensräumen": Agrar- und Offenland, Wald, Binnengewässer und Auen, Küsten und Küstengewässer sowie urbane Räume.
Es gibt noch Wissenslücken
Gerade am Beispiel letzterer offenbarten sich allerdings auch Wissenslücken, die es künftig noch zu stopfen gilt. Denn die Artenvielfalt in den stetig wachsenden urbanen Räumen erwies sich als bislang überraschend dürftig erforscht. Dort wo die Datengrundlage gut war wiederum, stellten die Forschenden ein anderes Problem fest: "Es gibt kein einheitliches, arten- und lebensraumübergreifendes System, um biologische Vielfalt zu erfassen", erklärt Geobotaniker Helge Bruelheide von der Uni Halle-Wittenberg. "Das erschwert die Verknüpfung von Daten - und damit die wissenschaftliche Auswertung. Außerdem fehlen Langzeitdokumentationen."
"Durch die unzureichende Datengrundlage sind auch die genauen Ursachen des Verlusts biologischer Vielfalt nur ungenügend bekannt", ergänzt sein Kollege Josef Settele, Leiter des Departments Naturschutzforschung am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Halle.
Impulse in die Politik hinein senden
Dennoch steht für das Team hinter dem Bericht fest, dass er trotz der Unschärfen eines der weltweit ersten Beispiele dafür sei, wie die Erkenntnisse großer, internationaler Berichte (etwa des Weltbiodiversitätsrats IPBES) auf eine nationale Ebene übertragen werden könnten - und das "mit dem Ziel, Handlungsoptionen für die konkrete nationale und subnationale Politik aufzuzeigen und zu entwickeln", wie es Pflanzenökologe Christian Wirth von der Universität Leipzig formuliert. Denn die im Bericht enthaltenen "alarmierenden Befunde zu Biodiversitätsverlust und ökologischer Degradation von Lebensräumen erfordern klare, verbindliche Maßnahmen von der Politik im Natur- und Umweltschutz", hebt Laura Breitkreuz vom Naturschutzbund Deutschland (NABU) hervor.
Denn am Ende sind es die biologisch vielfältigen Ökosysteme, die am leistungsfähigsten und stabilsten sind: Sie versorgen Menschen mit Nahrungsmitteln und Rohstoffen, sie halten die Nährstoffkreisläufe aufrecht, sie schützen das Klima und halten das Wasser in der Landschaft. "Der Erhalt der Biodiversität sichert unser Wohlergehen, aber auch das Wirtschaften. Schützen wir die biologische Vielfalt, schützen wir also uns selbst“, erklärt der Frankfurter Biologe und Paläontologe Volker Mosbrugger. Er ist der Sprecher der Forschungsinitiative zum Erhalt der Artenvielfalt (FEdA), in der das BMBF den Faktencheck gefördert hat.