Mikroorganismen zersetzen Plastik Können Bakterien unser Müllproblem lösen?
Forscher haben in der Arktis und den Alpen neue Mikroorganismen entdeckt, die Plastik zersetzen können - und das auch bei niedrigen Temperaturen. Doch reicht das für eine industrielle Anwendung?
Jedes Jahr fallen in Deutschland mehr als sechs Millionen Tonnen Plastikmüll an. Das ist ein Problem, denn ein Teil davon landet in der Umwelt, in den Böden oder den Flüssen und Meeren - mit teils gravierenden Problemen für die Ökosysteme.
Zersetzung bei Raumtemperatur
Ein Forscherteam aus der Schweiz hat deshalb erforscht, welche Mikroorganismen, also Bakterien, in der Lage sind, Plastik zu zersetzen - und dabei eine interessante Entdeckung gemacht: Sie konnten mehrere Bakterienstämme identifizieren, die auch bei niedrigeren Temperaturen um 15 Grad Celsius bereits bestimmte Kunststoffe zersetzen können, so das Ergebnis ihrer Studie.
Organismen, die Plastik "aufessen" können, sind schon länger bekannt - "diese wurden aber typischerweise bei über 30 Grad Celsius getestet", sagt Erstautor Joel Rüthi. Laut den Autoren könne eine Zersetzung bei Raumtemperatur den Energieverbrauch bei einer möglichen industriellen Anwendung reduzieren.
In der Arktis entdeckt
Gefunden haben die Forscher die Mikroorganismen in den Alpen und der Arktis, teilweise vergruben sie dazu Plastikstücke für ein Jahr und schauten dann, welche Organismen sich darauf angesiedelt hatten. 19 Bakterienstämme und 15 Pilzstämme entdeckten sie auf dem Plastik. "Bei einigen dieser Bakterien und Pilze handelt es sich um bisher nicht bekannte Spezien", so Rüthi.
Im Labor untersuchten sie dann, welche Arten von Kunststoff sie zersetzen konnten. Bei den Stoffen Polyester-Polyurethan (PUR), Polybutylenadipat-terephthalat (PBAT) und Polylactide (PLA) erzielten vor allem zwei Pilzarten gute Ergebnisse. Bei einem der häufigsten Kunststoffe dagegen, Polyethylenterephthalat (PET), schaffen sie das jedoch nicht.
Laut OECD werden weltweit etwa 460 Millionen Tonnen Plastik pro Jahr produziert. Der wichtigste Ausgangsstoff dafür ist Rohöl. Und der Bedarf steigt weiter: Bis 2050 dürfte sich die Menge laut verschiedenen Schätzungen verdoppeln.
PET (Polyethylenterephthalat): Wird für Ein- und Mehrwegflaschen, Lebensmittelverpackungen und als Polyester in Textilien verwendet. Die Menge der weltweiten Produktion liegt bei mehr als 30 Millionen Tonnen.
PP (Polypropylen): Kommt in Innenraumverkleidungen von Autos, Lebensmittelverpackungen oder Fahrradhelmen vor. Es werden etwa 70 Millionen Tonnen weltweit produziert.
PE (Polyethylen): Ist der häufigste Kunststoff: Die weltweite Produktion beträgt mehr als 100 Millionen Tonnen. Es wird beispielsweise für Verpackungen, Müllbeutel oder Kabelisolation verwendet.
PUR (Polyurethan): Steckt in Matratzen, Sportschuhen oder Bauschaum. Etwa 25 Millionen Tonnen werden davon produziert.
PBAT, PTA: Diese und andere Biokunststoffe machen nur etwa zwei Prozent der weltweiten Plastikproduktion aus.
Die Entdeckung der Schweizer Forscher ist zudem noch im Anfangsstadium. "Als nächstes müssen wir die Enzyme identifizieren, die von den Mikroorganismen produziert werden", sagte Rüthi. Diese müssten dann wohl noch optimiert werden, etwa um sie stabiler und langlebiger zu machen.
"Vielversprechendste Technologie"
Das Ziel wäre wohl, daraus eine Anwendung für die Industrie zu machen. Denn daran - am sogenannten enzymatischen Recycling - wird derzeit viel geforscht, erklärt Uwe Bornscheuer von der Uni Greifswald. "Wir haben ein enormes Problem mit Plastikmüll und diese Technologie ist die vielversprechendste, um dem zu begegnen", so der Chemiker.
In Frankreich sei bereits eine Anlage in Planung, in der ab 2025 rund 50.000 Tonnen PET-Kunststoff mithilfe eines speziellen Enzyms zersetzt werden sollen. "Gerade bei Privatunternehmen spielen die Kosten eine große Rolle. Und wenn man da bei Raumtemperatur statt bei 50 oder 70 Grad arbeiten kann, ist das natürlich ein enormer Vorteil", sagt Bornscheuer. Allerdings müsse sich erst noch zeigen, ob die Prozesse dann noch schnell genug abliefen und ob die Qualität der Endprodukte die Gleiche sei.
Das Ziel ist es, die Polymere mithilfe der Mikroorganismen - die die Enzyme produzieren - oder direkt mit bestimmten Enzymen in Monomere aufzuspalten. Daraus kann man dann neue Kunststoffe herstellen - eine Kreislaufwirtschaft.
Geringe Mengen als Problem
Der Mikrobiologe Wolfgang Zimmermann von der Uni Leipzig weist jedoch auf eine Einschränkung der Schweizer Entdeckung hin - zumindest im Moment: "Diese Mikroorganismen funktionieren vor allem gut mit leicht abbaubaren Kunststoffen, die mengenmäßig einen eher geringen Anteil an der gesamten Produktion haben."
Deshalb seien die Niedrigtemperatur-Bakterien derzeit kein Game Changer. Allerdings, so Zimmermann, gehe der Trend zunehmend dahin, "von schwer recycelbaren zu leichter abbaubaren Kunststoffen zu kommen. In Zukunft könnte es also mehr Bedarf im Bereich der leicht abbaubaren Polymere geben - was die beschriebenen Organismen wieder interessant machen könnte."
Mit Enzym-Cocktail gegen Plastik
Zudem würden beispielsweise für den Polyurethan-Abbau Mischungen verschiedener Enzyme gesucht. Dazu könne jede weitere Entdeckung einen Beitrag leisten. Auch bei Lebensmittelverpackungen, die meist aus mehreren Kunststoffsorten bestehen, sei ein Verfahren mit mehreren Enzymen gut geeignet. Denn diese Verpackungen können mit konventionellen Recyclingverfahren derzeit nicht verarbeitet werden und werden daher meist verbrannt.
Insgesamt sehen beide Forscher in "plastikfressenden Bakterien" ein enormes Potenzial: "Wir werden da noch viel Entwicklung sehen in den kommenden Jahren, auch in industriellem Maßstab", glaubt Bornscheuer. Eine wichtige Voraussetzung sei allerdings eine gute Mülltrennung, damit die verschiedenen Kunststoffe zielgerichtet recycelt werden können; hier seien auch die Verbraucher gefragt.
Das sieht auch Zimmermann so. Er gibt auch zu bedenken, dass der Ölpreis langfristig steigen und dadurch das enzymatische Recycling von Kunststoffen im Verhältnis rentabler wird. Zudem sei aber auch ein Umdenken im Gange: "Den Menschen und auch der Politik wird das Plastikproblem immer bewusster. Deshalb sollten wir jeden Lösungsansatz weiterverfolgen."