Ein mit Manganknollen bedeckter Meeresboden

Manganknollen Sauerstoff aus der Tiefsee

Stand: 25.07.2024 14:46 Uhr

Forschende haben auf dem Grund der Tiefsee Sauerstoff entdeckt, offenbar erzeugt durch Manganknollen. Bestätigt sich das, könnte das die Theorien über den Ursprung des Lebens auf den Kopf stellen.

Von Yasmin Appelhans, NDR

In Kingston, Jamaika wird wieder verhandelt. Es geht um den Abbau von Rohstoffen aus der Tiefsee. Einige Firmen und Staaten möchten metallreiche Manganknollen abbauen, um sie zum Beispiel für Batterien zu nutzen. Ob und wie das erlaubt werden soll, darüber wird seit Jahren diskutiert.   

Manganknollen als Geobatterien

Eine neue Studie hat nun festgestellt, dass Manganknollen Sauerstoff produzieren können. Die Forschenden haben entdeckt, dass am Meeresboden, in ungefähr 4.000 Metern Tiefe, der sogenannten Clarion-Clipperton-Zone Sauerstoff produziert wird. Das ist das Gebiet, in dem künftig Manganknollen abgebaut werden könnten.   

Weil in diese Tiefe gar kein Licht dringt, wird der Sauerstoff, der hier nachgewiesen wird, "Dunkler" Sauerstoff genannt, denn normalerweise ist Licht für die Photosynthese und damit die Produktion von Sauerstoff in größeren Mengen notwendig. 

Der Sauerstoff scheint dabei überraschenderweise aber nicht nur im Dunkeln produziert worden zu sein, sondern nicht einmal durch Lebewesen hergestellt. Vermutet wird, dass die Manganknollen selbst als kleine Geobatterien fungieren könnten. Die elektrische Spannung zwischen Manganknollen könnte ausreichen, um Wasser mittels Elektrolyse in Wasserstoff und Sauerstoff zu spalten.

Überraschung auch bei Forschenden

"Als wir diese Daten zum ersten Mal erhielten, dachten wir, die Sensoren seien defekt, denn bei jeder Studie, die jemals in der Tiefsee durchgeführt wurde, wurde nur Sauerstoff verbraucht und nicht produziert", sagt dabei Andrew Sweetman. Er ist Meeresökologe von der Scottish Association of Marine Science. Acht bis neun Jahre lang sind die Forschenden von falschen Messungen ausgegangen. 

"Ich war erstaunt über die Ergebnisse und gleichzeitig erleichtert, die Qualität und Validität der Daten der Sauerstoffsensoren, die während der ersten Feldkampagnen gewonnen wurden, erneut zu bestätigen", ergänzt Tobias Hahn, damals Doktorand am GEOMAR-Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. Er hat geholfen, die Sonden zu überprüfen und sicherzustellen, dass die Messungen wirklich stimmten.   

Neue Theorien zur Entstehung von Leben

Die Ergebnisse sind deshalb so erstaunlich, weil Forschende lange davon ausgegangen sind, dass in der Tiefsee gar kein Sauerstoff gebildet werden kann, da kein Licht in die großen Tiefen dringt. Erst vor einigen Jahren wurden Mikroorganismen gefunden, die auch ohne Licht und in großer Tiefe Photosynthese betreiben und dabei Sauerstoff bilden können.  

In der aktuellen Studie wurde der Anstieg an Sauerstoff aber nicht nur im Meeresboden selbst gezeigt. Die Versuche wurden auch im Labor wiederholt. Um auszuschließen, dass es doch Mikroorganismen sind, die den Sauerstoff herstellen, haben die Forschenden hier die Proben vorab mit Quecksilberchlorid vergiftet. 

Dass mit den Manganknollen eine Sauerstoffproduktion ganz unabhängig von Lebewesen möglich ist, ist eine ganz neue Erkenntnis. Sie könnte auch neue Möglichkeiten zur Entstehung von Leben auf der Erde eröffnen. Gerade auch, was Sauerstoff atmende, also aerobe Lebewesen angeht, so Andrew Sweetman. "Damit aerobes Leben auf dem Planeten entstehen konnte, musste es Sauerstoff geben, und nach unserem Verständnis begann die Sauerstoffversorgung der Erde mit photosynthetischen Organismen", sagt er. "Aber wir wissen jetzt, dass Sauerstoff auch in der Tiefsee produziert wird, wo es kein Licht gibt. Ich denke, dass wir deshalb Fragen wie die folgenden neu überdenken müssen: Wo könnte aerobes Leben begonnen haben?" 

Brachliegende Testgebiete

Wie viel Sauerstoff tatsächlich im Tiefseeboden produziert wird, und ob damit auch die Lebewesen, die in den Manganfeldern leben, weitgehend versorgt werden, kann durch die Studie nicht berechnet werden. Dafür eigenen sich die Methoden nicht. Und auch dass die Manganknollen tatsächlich für den Sauerstoffanstieg verantwortlich sind, muss weiter überprüft werden.

Weitere Hinweise, dass die Theorie zutrifft, liefert ein Blick in die Gebiete, in denen bereits versuchsweise Tiefseebergbau betrieben wurde, so der aus Berlin stammende Franz Geiger von der Northwestern Universitiy in Illinois, der als Chemiker an der Studie beteiligt war: "2016 und 2017 besuchten Meeresbiologinnen und -biologen Standorte, an denen in den 1980er Jahren Manganknollen abgebaut wurden, und stellten fest, dass sich dort nicht einmal Bakterien erholt hatten", so Geiger. "Warum solche 'toten Zonen' jahrzehntelang fortbestehen, ist noch unbekannt. Dies ist jedoch ein großer Wermutstropfen für Strategien zum Meeresbodenabbau." 

Konsequenzen für Tiefseebergbau

Mit "The Metals Company" kritisiert nun ausgerechnet die Firma die Studie, die sie maßgeblich mitfinanziert hat. Laut der Zeitschrift "New Scientist" erklärte Patrick Downes von The Metals Company, er habe "ernste Vorbehalte" gegenüber den Ergebnissen und fügte hinzu, dass seine eigene Analyse darauf hindeutet, dass Sweetmans Ergebnisse auf eine Sauerstoffverunreinigung durch externe Quellen zurückzuführen sein. "Wir werden einen widerlegenden Artikel schreiben", kündigte Downes demnach in einer Erklärung im "New Scientist" an. 


Wie und ob die Erkenntnisse einen Einfluss auf die Verhandlungen in Kingston haben werden, wird die Zukunft zeigen. Schon jetzt sprechen sich aber viele Staaten, darunter auch Deutschland, für eine vorsorgliche Pause oder ein Moratorium zum Tiefseebergbau aus. "Tiefseebergbau würde die Meere weiter belasten und Ökosysteme unwiederbringlich zerstören. Deshalb werben wir als ersten Schritt für ein Innehalten und keine vorschnellen Entscheidungen auf Kosten der Meeresumwelt“, sagte dazu Bundesumweltministerin Steffi Lemke im November 2022.  

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR Info am 25. Juli 2024 um 09:53 Uhr.