Forscher haben auf dem archäologischen Gelände der versunkenen Stadt Pompeji in Italien zwei Skelette gefunden.

Doppelte Naturkatastrophe Nach dem Vulkan kam das Erdbeben über Pompeji

Stand: 23.07.2024 06:22 Uhr

Beim Ausbruch des Vesuvs vor knapp 2.000 Jahren erstickten oder verbrannten viele Menschen in der Stadt Pompeji. Jetzt haben italienische Forscher festgestellt, dass es auch Opfer gibt, die bei einem Erdbeben gestorben sind.

Von Stefan Troendle, SWR

Beim Vulkanausbruch von Pompeji 79 Jahre n. Chr. war bisher klar: Erst stieß der Vesuv eine Welle von Vulkanasche und Bimsstein aus, anschließend bewegten sich pyroklastische Ströme den Vulkan hinab - für die Menschen in Pompeji eigentlich nicht überlebbar.

Anhand zweier gefundener Opfer haben Forscher durch eine forensische Untersuchung festgestellt, dass diese die Katastrophe zunächst überlebt haben müssen, dann aber anschließend bei Erdbeben ums Leben kamen. Dass Pompeji auch von Erdbeben getroffen wurde, war bisher so nicht belegt. Die Untersuchung des renommierten italienischen Geophysik-, Vulkan- und Erdbebenforschungsinstituts INGV wurde nun in der Fachzeitschrift "Frontiers in Earth Science" veröffentlicht.

Forensische Untersuchungen an neu entdeckten Skeletten

Die Untersuchung der Forschenden des INGV ähnelt einem Kriminalroman. Sie beruht auf einer Ausgrabung zweier Räume in einem zentralen Häuserblock von Pompeji. Dieser ist als "Insula der keuschen Liebenden" bekannt, weil dort ein Fresko gefunden wurde, das zwei sich küssende Menschen zeigt.

Als die Archäologen diese Räume ausgruben, entdeckten sie die Überreste der Skelette von zwei Männern. Sie kauerten in einer Ecke unter einer eingestürzten Wand. Um die Todesursache der Männer zu untersuchen, gingen die Forschenden wie bei einer Tatortanalyse vor, heißt es in dem Artikel in Frontiers in Earth Science.

Gesteinsschleuder und Glutlawine - Abfolge des Vulkanausbruchs

Als vor knapp 2.000 Jahren Magma im Schlot des Vesuvs aufstieg und sich mit dem Grundwasser vermischte, kam es zur Explosion. Die Kappe aus erstarrter Lava wurde vom Schlot des Vulkans gesprengt. Durch den Druckabfall wurde die gashaltige und zähflüssige Gesteinsschmelze in die Luft geschleudert und zerfetzt. Es entstand eine bis zu 30 Kilometer hohe Säule aus Gas und Asche über dem Vulkanschlot. Teile der darin abkühlenden Lavafetzen erstarrten zu porösen, von Gasblasen gespickten Gesteinsbrocken - dem Bims. Vom Wind getrieben, regneten einzelne Bestandteile der Wolke über Pompeji hinab. Später kollabierte die Eruptionssäule teilweise. Es entstanden tödliche Lawinen aus Gas, Asche und Glut - sogenannte pyroklastische Ströme. Mit hunderten Stundenkilometern strömten sie den Vulkan herab und begruben erst das nähergelegene Herculaneum, später auch Pompeji.

Beide Männer überlebten Anfangsphase des Ausbruchs

Durch die genaue Untersuchung der Ablagerungen fand das Team der Forschenden heraus, dass die menschlichen Überreste auf einer Schicht aus Bimsstein lagen, die durch ein Fenster in das Haus eingedrungen war. Die Männer mussten also die Anfangsphase des Ausbruchs überlebt und dann in dem Raum Schutz gesucht haben.

An keinem der Skelette fanden sich Hinweise auf Erstickung oder Brandspuren, was auf einen Tod durch die pyroklastischen Gas- und Asche-Ströme hingedeutet hätte. Beide hatten aber schwerste Verletzungen, ähnlich denen, die Menschen auch heute noch bei Erdbeben erleiden. Einer der beiden Männer, etwa 50 Jahre alt, war wohl sofort tot, als durch ein Erdbeben die Wände des Raumes einstürzten, so die Analyse des Forschungsteams.

Erdbeben sorgte für Einsturz des Hauses

Das Team fand auch heraus, dass das Haus intakt blieb, als der vulkanische Bimsstein auf Pompeji herabregnete. Durch die Lage der Mauern war zudem klar, dass diese nicht durch die bis zu 700 km/h schnellen pyroklastischen Ströme zum Einsturz gebracht worden sein konnten. Die letzten Minuten der beiden Männer bringen also den ersten direkten Beweis dafür, dass der Ausbruch des Vesuvs von Erdbeben begleitet wurde.

Erdbeben ereignete sich vor pyroklastischem Strom

Bisher gibt es nur einen Augenzeugenbericht über den berühmten Vulkanausbruch, der Pompeji zerstörte. Der Bericht stammt von Plinius dem Jüngeren, der sich vor knapp 2.000 Jahren auf der anderen Seite der Bucht von Neapel aufgehalten hatte. Er schrieb zwar, dass die Erde nach dem ersten Ausbruch zu beben begann - in den Ruinen von Pompeji wurden aber bisher keine eindeutigen Anzeichen von Erdbebenschäden gefunden.

Die Forschenden aus Italien gehen jetzt davon aus, dass sich das Erdbeben nach der ersten Phase des Ausbruchs ereignete, aber bevor die pyroklastischen Ströme durch Pompeji fegten und alle Überlebenden töteten - auch die, die versuchten, vor dem Erdbeben zu fliehen.