Eine Maus in einer Box in einem Labor.

Arzneimittelforschung Wie man Versuchstiere durch Miniorgane ersetzen kann

Stand: 24.04.2024 06:22 Uhr

Anlässlich des Welttags der Versuchstiere fordern Tierschützer erneut, Pharmazeutika nicht an Lebewesen zu testen. Es gäbe Alternativen, die Tierversuche ersetzen könnten - etwa die Organ-on-a-Chip-Technik.

Von Frank Wittig, SWR

Im Jahr 1979 wurde der 24. April erstmals zum Welttag der Versuchstiere erklärt. Seitdem wird zu diesem Datum gegen Tierversuche demonstriert, die vor allem bei der Entwicklung von Pharmazeutika und Kosmetika auch in Deutschland millionenfach durchgeführt werden.

Tierschützer weisen auf ethische Bedenken und die oft mangelhafte Übertragbarkeit von Daten aus Tierversuchen auf den Menschen hin. Außerdem erklären sie, es gäbe längst alternative Testmethoden - vor allem Organ-on-a-Chip-Systeme - mit denen Tierversuche ersetzt werden können. Ist die Technik tatsächlich schon so weit?

Organ-on-a-Chip

Die Organ-on-a-Chip-Technik (OoC) ist eine Art hochentwickelter Urenkel der Zellkultur, die schon seit Jahrzehnten in der Arzneimittelforschung verwendet wird. Zellkulturen bestanden zunächst nur aus einem Zelltyp, der in einem Nährmedium kultiviert wurde. So ließ sich etwa an einer Kultur aus Nervenzellen untersuchen, ob ein Kandidat für ein Arzneimittel nervenschädigend ist.

Doch die Aussagekraft solcher Tests ist sehr begrenzt. Die Organ-on-a-Chip-Technologie ermöglicht eine bessere Abbildung der biologischen Prozesse, die sich im menschlichen Körper abspielen.

Miniorgane aus Stammzellen

Dazu werden in der Regel Stammzellen bestimmter Gewebetypen - etwa aus der Leber - in einem mikrofluidischen Zellkultursystem angesiedelt. Mikrofluidisch bedeutet: Feinste Kanäle stellen sicher, dass das Gewebe mit Flüssigkeit und Nährstoffen versorgt wird und dass biochemische Signale innerhalb des Zellverbandes übermittelt werden können. Aus den Stammzellen entwickeln sich verschiedene Zelllinien.

Ein differenziertes Gewebe entsteht, das einem Organ physiologisch sehr viel näherkommt als eine einzelne Zelllinie. Der Mikrochip, auf dem die Miniorgane aufgebaut sind, ermöglicht es, biochemische und bioelektrische Prozesse in den Miniorganen auszulesen und liefert so Erkenntnisse über Wirkung und Verträglichkeit der getesteten Arzneimittel.

Multiorgan-on-a-Chip

Auf der Basis dieser Technik wurden bisher unter anderem Gewebe aus Gehirn, Darm, Lunge, Herz, Niere und Prostata kultiviert. OoC können auch miteinander kombiniert werden. Die Forschenden sprechen dann von einem Multiorgan-on-a-Chip-System (MOoC).

Besonders vielversprechend ist die Kombination eines OoC des Gewebes, auf das ein Medikament abzielt, mit einem OoC der Leber. So kann die Wirksamkeit im Zielgewebe studiert und gleichzeitig getestet werden, wie das Entgiftungsorgan Leber mit dem Medikament umgeht.

Bei aller Euphorie, die in Bezug auf die Leistungsfähigkeit dieser OoC verbreitet wird, muss berücksichtigt werden: Die Technik ist sehr jung und steckt im Prinzip noch in den Kinderschuhen. Die nächsten Jahre müssen zeigen, wie zuverlässig diese Strategie ist und wieviel Entwicklungspotenzial sie beinhaltet.

Viele Tierversuche können mittelfristig ersetzt werden

Um alle Wechselwirkungen von Medikamenten im Körper zu studieren, müssten theoretisch alle 21 Organe auf Chips abgebildet und miteinander verbunden werden. Die größte bisher (2024) erreichte Zahl liegt bei zehn OoC. Diese MOoC stellen ein platzsparendes und günstiges Instrument für medizinische Forschung und Arzneimittelentwicklung dar. Doch auch damit lässt sich die Komplexität eines kompletten Lebewesens nicht abbilden.

Bei allen Schwächen, die Tiermodelle haben: Auf absehbare Zeit sind sie aus der Arzneimittelforschung nicht wegzudenken. Optimistische Schätzungen gehen aber davon aus, dass mittelfristig bis zu 80 Prozent der Tierversuche auf diesem Gebiet von den Organ-on-a-Chip-Systemen ersetzt werden könnten.