Eine Flüssigkeit tropft aus der Kanüle einer Spritze.

Welt-Aids-Konferenz Zwei Spritzen pro Jahr schützen vor HIV-Infektion

Stand: 24.07.2024 17:04 Uhr

Lenacapavir, das bisher in der HIV-Therapie eingesetzt wird, soll zu 100 Prozent vor einer HIV-Infektion schützen. Dazu muss es zweimal im Jahr gespritzt werden. Noch fehlen aber Studienergebnisse.

Von Dorothee Rengeling, BR

Bisher wurde das Medikament Lenacapavir in der HIV-Therapie eingesetzt. Vor allem bekommen es Personen, die schon lange HI-Viren in sich haben und mit Resistenzen gegen andere Medikamente kämpfen. Für diese Anwendung ist es allerdings in Deutschland nicht zugelassen.

Kein einziger HIV-Fall in Testgruppe

Das kalifornische Pharmaunternehmen Gilead hat die Substanz jetzt für einen anderen Zweck getestet: den Schutz vor einer HIV-Infektion. Die sogenannte Präexpositionsprophylaxe - die vorbeugende Einnahmemöglichkeit - wurde mit mehr als 5.300 Frauen zwischen 16 bis 25 Jahren in Südafrika und Uganda getestet. Eine Gruppe bekam zweimal im Jahr - also alle sechs Monate - Lenacapavir gespritzt. Eine zweite Gruppe nahm pro Tag eine Tablette mit einem Wirkstoff, der ebenfalls vor einer Infektion schützt, eine dritte Gruppe schluckte einen anderen präventiven Wirkstoff in Tablettenform. Unter den 2.134 Frauen in der Lanacapavir-Gruppe gab es keinen einzigen Fall einer HIV-Infektion.

Zulassung als Präventivmedikament

"Wir haben theoretisch eine neue Präventionsmöglichkeit mit einer Spritze alle halbe Jahre, die zu hundert Prozent vor der HIV-Infektion schützt", sagt der Arzt und Aids-Forscher Hendrik Streeck vom Universitätsklinikum Bonn. Bei den beiden Gruppen, die täglich eine Tablette als Prävention vor einer HIV-Infektion eingenommen hatten, gab es insgesamt 55 HIV-Infizierte. "Dieses Ergebnis ist mehr, als eine Impfung jemals hätte hoffen lassen", sagt Christoph Spinner vom Klinikum Rechts der Isar der Technischen Universität München, der dieses Jahr Co-Vorsitzender der Konferenz ist.

Doch bis jetzt gibt es noch keine Zulassung für Lenacapavir als Präventivmedikament. Die Forschung ist auch noch nicht abgeschlossen. Gilead wartet noch auf die Ergebnisse der klinischen Studie der Phase III. Im Moment läuft außerdem auch noch eine zweite Studie mit Männern, die Sex mit Männern haben, und männlichen Sexarbeitern, denen Lenacapavir zweimal jährlich als Prä-Expositions-Prophylaxe gespritzt wird.

Spritze könnte das Problem mit der Impfung beenden

Seit 40 Jahren wird in der Aids-Forschung bisher vergeblich nach einem Impfstoff gesucht. Doch das HI-Virus verändert rasch seine Eiweißstoffe auf der Oberfläche. Das bedeutet, dass ein Impfstoff keine Chance hat, anzugreifen. "Es gelingt dem menschlichen Immunsystem kaum, stabile, sogenannte neutralisierende Antikörper auszubilden und einen wirksamen Schutz zu entwickeln", so der Infektiologe Spinner. Umso bedeutender ist die Entdeckung, dass die Spritze hundertprozentig vor einer HIV-Infektion schützt. Damit könnte eine Trendwende in der Aids-Forschung eingeläutet sein.

Christoph Spinner, Infektiologe Klinikum rechts der Isar München, zu den Inhalten der 25. Welt-Aids-Konferenz

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"Es wird auch ein Stigma reduziert"

Die bisher bekannten Präventionspillen funktionieren zwar schon sehr gut - wenn auch nicht zu hundert Prozent wie anscheinend Lenacapavir. Sie müssen allerdings jeden Tag geschluckt werden. Die nur zweimal pro Jahr verabreichte Spritze würde diese strikte tägliche Einnahme nicht erfordern. Das würde es vielen Menschen, die ein erhöhtes Infektionsrisiko wie etwa Sexarbeiter und Sexarbeiterinnen haben und Präventionspillen nutzen, leichter machen.

Hendrik Streek meint, es werde auch ein Stigma reduziert. "Denn Menschen, die immer eine Tablette, mit der sie sich vor einer HIV-Infektion schützen, bei sich oder auch zuhause haben, sind viel zu erkennbar für andere. Der Schutz durch die Spritze wäre eben nicht so erkennbar wie durch diese tägliche Tablette oder auch ein Kondom."

Das Problem der Kosten

Auch über den Preis der Spritze ist noch nichts bekannt. Medikamente, die normalerweise präventiv gegen das HIV-Virus eingesetzt werden, kosten in Deutschland circa 30 Euro pro Monat. Lenacapavir wird vermutlich teuer sein. Wieviel, das lässt sich im Moment nur schätzen. "Lenacapavir wird etwa um 2.000 Euro bis 2.500 Euro pro Anwendung kosten. Das sind Dimensionen, die einfach nicht darstellbar sind, wenn man vielen Menschen dieses Medikament geben will", sagt Streek. Denn mehr als 95 % aller HIV-Infizierten leben in Entwicklungsländern.

Medikament dort verfügbar machen, wo es benötigt wird

In Ländern Afrikas, Osteuropas und Zentralasiens, die wenig Ressourcen haben, ist das HIV-Problem am größten. Besonders Menschen dort sollten sich aber die Präventionsspritze leisten können. "Die größere Herausforderung wird natürlich sein, dieses Medikament auch dort verfügbar zu machen, wo es am dringendsten benötigt wird", sagt Christoph Spinner.

Jetzt haben der Pharmakologe Andrew Hill von der Universität Liverpool und seine Kollegen berechnet, wie sich durch eine Generika-Version die Kosten senken lassen könnten. Auf Grundlage von Rohstoffpreisen und Gesprächen mit großen Generika-Herstellern in China und Indien kommen sie auf den Preis von circa 36 Euro für ein Nachahmerprodukt. Dabei gingen sie davon aus, dass das Mittel für zehn Millionen Patienten bestellt wird. Ihre Berechnungen sind allerdings Teil einer sogenannten Preprint-Studie. Sie wurden also noch nicht im sogenannten Peer-Review-Verfahren durch Fachexperten unabhängig voneinander überprüft.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 24. Juli 2024 um 17:00 Uhr.