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Interview

Drittes Jahr der Pandemie Was das Immunsystem leisten muss

Stand: 05.11.2022 02:51 Uhr

Deutschland befindet sich im dritten Jahr der Pandemie - und neben Coronaviren prasseln derzeit auch Erkältungsviren auf unsere Immunsysteme ein. Welche Herausforderungen das bringt, erklärt Immunologin Christine Falk im Gespräch mit tagesschau.de.

tagesschau.de: Wir haben lange Menschenmassen gemieden, Maske getragen und uns so wenig wie möglich irgendwelchen Viren ausgesetzt. Was passiert mit einem gesunden Immunsystem, wenn es so lange geschützt und geschont wird?

Christine Falk: Unser Immunsystem war geschont, es musste nicht so viel tun, weil wir nicht so viel Kontakt mit Viren hatten, die in unsere Körper gelangt sind. Und dadurch musste es nicht so viel aktiv sein. Aber es ist deswegen weder eingeschlafen noch irgendwie träge geworden, sondern es musste nicht permanent aktiv sein. Und das merken wir jetzt. Es muss also wieder anspringen und auf Hochtouren anlaufen. Und das sind dann die typischen Erkältungskrankheiten, die wir jetzt überall beobachten. Man hat den Eindruck, es zirkulieren mehrere virale Infekte, und das ist ja auch genau der Fall, wie die Berichte des Robert Koch-Instituts bestätigen.

Professorin Christine Falk, Präsidentin Deutsche Gesellschaft für Immunologie, zu den Herausforderungen unseres Immunsystems im Herbst und Winter

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tagesschau.de: Was kann denn jeder einzelne tun, um sein Immunsystem aus dieser Ruhephase zu holen?

Falk: Wir können unser Immunsystem gar nicht von außen beeinflussen, weil das Immunsystem immer arbeitet. Die Frage ist, in welchem aktiven Zustand es sich befindet. Es arbeitet, ohne dass wir es merken, permanent. Es schläft auch nicht ein. Durch einen erneuten Kontakt mit Viren bringt es sich wieder auf ein höheres Niveau an Abwehrfähigkeit. Dazu braucht man eben auch die Kontakte zu Viren, denn ansonsten ist das Immunsystem ja nicht gefordert. Wir können es also weder durch positives Denken noch durch irgendwelche Ergänzungsmedikamente oder Nahrungsmittel oder ähnliche Dinge beeinflussen. Es ist tatsächlich immer vorhanden, und es muss sich jetzt selbst wieder auf diese höhere Aktivierungsstufe bewegen.

tagesschau.de: Neben den Erkältungsviren ist auch eine neue Untervariante von Omikron dabei, sich auszubreiten: BQ.1.1. Was wissen Sie darüber?

Falk: Das Virus optimiert sich genau an der Stelle, an der es in Zellen eindringen kann, das ist ein Schlüssel-Schloss-Prinzip. Es ist nicht wirklich eine neue Variante, mit der wir es jetzt zu tun haben, sondern eine Untervariante von Omikron, die sich weiter optimiert hat, auf der Basis von Omikron. Wir wissen, dass es noch ansteckender wird, denn das ist die Optimierungsstrategie des Virus. Ob es mehr Krankheitslast macht, gerade wenn man eine hohe Impfquote in der Bevölkerung hat, wissen wir nicht so genau. Es sieht jetzt nicht danach aus, dass sich eine wirklich gefährlichere Variante durchsetzen würde - im Moment sind es Varianten, die ansteckender sind. Trotzdem sollte man sich tatsächlich, wenn man kann, gut schützen, idealerweise durch Dreimal-Impfung oder zusätzliches Maske tragen.

Christine Falk
Zur Person
Christine Falk ist Professorin am Institut für Transplantationsimmunologie an der Medizinischen Hochschule Hannover und Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Immunologie. Außerdem ist sie Mitglied des ExpertInnenrats der Bundesregierung.

tagesschau.de: Die neue Untervariante kann also Menschen, die geimpft sind, wieder infizieren?

Falk: Das ist die Qualität, die wir von Omikron schon kennen. Die Omikron-Varianten - und jetzt auch die neue - können diese erste Abwehrlinie im Nasen-Rachen-Raum tatsächlich überwinden. Die Antikörper, die wir über die Impfung gebildet haben, sind dort nicht so gute Abfangjäger, weil sie die Omikron- und auch die BQ.1.1-Variante nicht so gut erkennen. Und dann schlüpft es durch diese Antikörper-Abwehrlinie durch und kann trotzdem Menschen infizieren, auch wenn diese schon geimpft sind.

Wenn man sich jetzt im Jahr 2022 schon mal mit einer Omikron-Variante angesteckt hat, dann hat man zusätzliche - man könnte sagen - Omikron-Antikörper erworben, die dann im Nasen-Rachen-Raum sitzen, und die schützen dann auch besser vor der BQ1.1-Variante. Das heißt die Leute, die schon mal Omikron hatten, sollten auch besser geschützt sein vor BQ1.1. Die Menschen, die nur geimpft waren, könnte BQ.1.1 noch mal austricksen und anstecken. Aber in allen Fällen schützt uns die darunterliegende Immunität in der Regel vor einem schweren Verlauf.

tagesschau.de: Welcher Impfstoff schützt denn vor der Untervariante, der angepasste oder der andere? Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt ja beide.

Falk: Das ist eigentlich eine sehr gute und nachvollziehbare Empfehlung der STIKO. Für Menschen über 60 Jahren und Menschen mit Vorerkrankungen, einem geschwächten Immunsystem oder Menschen, die Medikamente nehmen oder für Transplantierte, ist die vierte Impfung empfohlen. Und wann immer ein angepasster Impfstoff vorhanden ist, empfiehlt die STIKO, den zu nehmen. Und Menschen, die jünger sind und ein gesundes Immunsystem haben, aber gerne zum vierten Mal geimpft werden möchten, sollte man nicht abweisen. Das ist vielleicht auch etwas, was in der STIKO-Empfehlung nur indirekt steht, dass man nach Rücksprache mit den Ärztinnen und Ärzten natürlich auch dann eine vierte Impfung bekommen kann, wenn man sie gerne haben möchte und bisher gut vertragen hat.

tagesschau.de: Und weiß man denn schon, wie lange der Impfschutz anhält?

Falk: Dazu kann man keine genaue Aussage treffen. Die Frage, wie lange diese Immunität oder der Schutz vor Ansteckung anhält, hat etwas damit zu tun, wie viel dieser Immunität im Nasen-Rachen-Raum über einen langen Zeitraum erhalten bleibt. Weil das nicht für alle Menschen gleich ist, kann man sagen: Je älter die Menschen sind, desto schneller lässt der Impfschutz nach. Deswegen ist die Empfehlung ab 60 Jahren eine Art Sicherheitspuffer. Bei den Leuten, die jünger sind als 60 Jahre, geht man davon aus, dass diese drei Impfungen schon dazu geführt haben, dass ein immunologisches Gedächtnis angelegt wurde. Und wie lange dieser Schutz vor Ansteckung hält, ist eben sehr individuell. Aber selbst wenn man sich ansteckt, springt diese ganze Immunkaskade an, um zu verhindern, dass man einen schweren Verlauf hat, sodass man dann vielleicht Erkältungssymptome hat, aber nicht wirklich schwer krank wird.

Das Gespräch führte Anja Martini, Wissenschaftsredakteurin tagesschau

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete SWR2 Wissen am 15. März 2021 um 08:30 Uhr.