Spätfolgen einer Corona-Infektion Was über Long-Covid bekannt ist
Schätzungen zufolge leiden in Deutschland rund eine halbe Million Menschen an den Spätfolgen einer Corona-Infektion. Was sind die Ursachen von Long-Covid? Was kann man dagegen tun? Antworten auf wichtige Fragen.
Erschöpfung, Kurzatmigkeit, Konzentrationsstörungen, Herzrasen, Muskel- und Gliederschmerzen - das sind nur einige der Symptome, die Patientinnen und Patienten noch lange nach einer überstandenen Corona-Infektion begleiten können.
Betroffen sind nicht nur Menschen mit schweren Verläufen, sondern auch Infizierte, die nur wenig Symptome hatten, darunter auch Kinder. Wenn Symptome noch lange nach einer überstandenen Covid-Erkrankung andauern, spricht man von "Long-Covid" bzw. "Post-Covid".
Was ist Long-Covid und wie unterscheidet es sich von Post-Covid?
Zeigen Patientinnen und Patienten länger als vier Wochen nach einer Corona-Infektion noch anhaltende oder wiederauftretende Symptome, spricht man von "Long-Covid". Bestehen die Beschwerden länger als zwölf Wochen nach der Infektion, spricht man von "Post-Covid". Die Definition in Deutschland orientiert sich an der Empfehlung des britischen Nationalen Instituts für Gesundheit und klinische Exzellenz (NICE) und der Definition der WHO.
Wer ist von Long-Covid betroffen? Und wie viele Betroffene gibt es?
Bisher gibt es wenig Daten darüber, wie häufig Menschen unter Long-Covid-Symptomen leiden. Fachleute gehen jedoch auf der Basis größerer Studien aus den USA und England davon aus, dass rund jeder zehnte Corona-Erkrankte in Deutschland gesundheitliche Beschwerden nach einer Covid-19-Infektion hat, die länger als drei Monate bestehen bleiben. Dieser Prozentsatz bezieht sich allerdings nur auf die Corona-Infizierten, die nicht in einer Klinik behandelt wurden.
Grundsätzlich lässt sich sagen: Menschen mit einem schweren Covid-19-Verlauf leiden häufiger an den langanhaltenden Symptomen als Personen mit einem milden Verlauf. Laut Prof. Carmen Scheibenbogen von der Berliner Charité haben zwei Drittel der Patienten, die auf der Intensivstation lagen, anhaltende Probleme. Bei denen, die beatmet waren, sei der Anteil sogar noch höher: "Da ist eigentlich niemand so wie er vorher war, wenn er mal ein paar Wochen auf der Intensivstation lag."
Scheibenbogen geht davon aus, dass derzeit rund eine halbe Million Menschen in Deutschland an den Langzeitfolgen einer Covid-19-Infektion leiden: "Wir haben ja in Deutschland eine Zahl von über fünf Millionen Covid-Infektionen gesichert. Die Dunkelziffer wird wahrscheinlich deutlich höher liegen. Also wenn wir jetzt mal die zehn Prozent zu Grunde legen, in diesen großen epidemiologischen Studien, die sehr zuverlässig sind, dann kommen wir auf 500.000. Davon sind jetzt nicht alle berufsunfähig und schwerkrank. Aber zumindest die Hälfte ist ziemlich krank. Selbst wenn man das nur ganz konservativ berechnet, kommen da sehr hohe Zahlen raus."
Das Problem: Viele dieser jungen Menschen seien so krank, dass sie nicht mehr arbeitsfähig oder nur teilarbeitsfähig sind.
Ältere, Übergewichtige und Menschen mit Vorerkrankungen an Lunge und Herzen haben ein höheres Risiko für Long-Covid. Zu dem Ergebnis kam eine im Fachmagazin Nature veröffentliche Studie aus England. Auch Menschen mit einer Autoimmunerkrankung oder einem Immundefekt sind nach Aussage der Berliner Immunologin Scheibenbogen öfter betroffen. Außerdem seien Frauen etwa doppelt so häufig von Long-Covid betroffen als Männer. Zu dem Ergebnis kam auch eine Studie der Universität in Mainz.
Was sind die häufigsten Symptome bei Long-Covid?
Bisher lässt sich kein einheitliches Krankheitsbild von Long-Covid bestimmen. Viele Patientinnen und Patienten fühlen sich nach überstandener Covid-19-Erkrankung noch länger körperlich und psychisch beeinträchtigt. Das hat einen großen Einfluss auf die empfundene Lebensqualität. Betroffene berichten über sehr unterschiedliche Symptome, die einzeln oder in Kombination auftreten und auch unterschiedlich lange andauern.
Zu den häufigsten gesundheitlichen Langzeitfolgen von Covid-19 gehören Erschöpfung und eingeschränkte Belastbarkeit bis hin zum Chronischen Fatigue Syndrom ME/CFS. Patienten, die unter Long-Covid oder Post-Covid leiden, klagen oft über Atemnot und dauerhafte Erschöpfung. Auch neurologische und psychische Symptome können auftreten: Kopfschmerzen, Konzentrations- und Gedächtnisprobleme, Geruchs- und Geschmacksstörungen, Muskelschwäche und -schmerzen, depressive Verstimmungen sowie Schlaf- und Angststörungen.
Was sind die körperlichen Ursachen von Long-Covid?
Eine Corona-Infektion ist bei den meisten Menschen schon nach zwei Wochen überwunden. Bei Menschen mit einer Immunschwäche kann sie aber auch über Wochen oder Monate andauern. Laut Scheibenbogen gibt es dann allerdings kaum noch Hinweise auf das Virus: "Das hat man in der ersten Zeit vermutet, aber man hat jetzt viele Untersuchungen gemacht, sich auch Gewebe angeschaut. Dass das Virus noch persistiert und Long-Covid macht, ist eigentlich vom Tisch."
Stattdessen könnten bei Long-Covid auch eine Fehlsteuerung des Immunsystems oder Autoimmunreaktionen eine Rolle spielen. So fand eine neue, vorveröffentlichte Studie Hinweise auf Entzündungsreaktionen, die auch noch lange nach der eigentlichen Erkrankung im Körper zu Beschwerden führen können.
Insbesondere bei schweren Verläufen kann es nach einer Infektion auch zu andauernden Gewebeschäden kommen, z.B. in der Lunge oder in den Gefäßwänden. Auch die Nebenwirkungen der Covid-19-Therapie selbst und die bei schweren Verläufen eingesetzten Medikamente können zu länger anhaltenden gesundheitlichen Problemen führen.
Symptome des Chronischen Fatigue Syndroms ME/CFS können dabei durch eine Minderdurchblutung entstehen. Bei einer schweren Infektion wird das Immunsystem massiv hochgefahren. Anhaltende Entzündungsreaktionen können sich auf die Gefäße auswirken, unter Umständen entstehen sogar kleine Gerinnsel, die die Blutzufuhr behindern.
Wie stark sind Kinder von Long-Covid betroffen?
Eine Corona-Infektion bei Kindern verläuft zwar meist mild oder symptomfrei, doch auch bei Kindern wurden Long-Covid-Fälle beobachtet. Oft stellt sich erst Wochen später heraus, dass Kinder Corona hatten, weil sie beispielsweise unter Erschöpfung leiden. Dabei treten ähnliche Symptome wie bei Erwachsenen auf. Das heißt, sie leiden unter anderem unter chronischer Müdigkeit, Konzentrations- oder Schlafstörungen.
Bislang fehlt es gerade bei Kindern jedoch an genauen Daten zu den Symptomen. Daher gibt es auch keine diagnostischen und therapeutischen Leitlinien oder spezielle Rehabilitationsprogramme für Kinder und Jugendliche. Das Krankheitsbild soll in Deutschland in dem Projekt "LongCOCid" weiter erforscht werden. Ziel ist es auch, spezielle Behandlungen für Kinder und Jugendliche sowie deren Rehabilitation zu etablieren.
Prof. Dr. Monika Brunner-Weinzierl, Leiterin der Experimentellen Pädiatrie der Universitätsmedizin Magdeburg erläutert die Hintergründe der Studie: "Da Long-Covid-19-Symptome bei Kindern und Jugendlichen auch für Autoimmunkrankheiten charakteristisch sind, wollen wir untersuchen, ob Betroffene für die Entwicklung von Autoimmunerkrankungen oder Allergien besonders gefährdet sind." Die Forschenden suchen hierfür insbesondere nach immunologischen Markern, die auf eine Entzündung am Gefäßsystem im Gehirn hinweisen könnten.
In seltenen Fällen kann bei Kindern auch Wochen nach einer Corona-Infektion das sogenannte "Paediatric Inflammatory Multisystem Syndrome", kurz PIMS, auftreten. Das ist eine sehr seltene Entzündungserkrankung verschiedener Organe und Blutgefäße. Seit Beginn der Pandemie bis zum 19. Dezember 2021 hat die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) 498 Fälle gemeldet. Die Symptome sind zum Beispiel Bauchschmerzen, Durchfall oder hohes, langanhaltendes Fieber. Behandelbar ist es allerdings sehr gut - mit Cortison oder Antibiotikatherapien.
Wo finden Betroffene Hilfe?
Erste Anlaufstelle ist immer der Hausarzt. Er entscheidet, ob ein Facharzt hinzugezogen werden sollte, ob möglicherweise eine Reha sinnvoll ist oder ob die Überweisung in eine Spezialambulanz notwendig ist. Viele größere Kliniken haben mittlerweile Post-Covid-Ambulanzen eingerichtet. Außerdem werden Long-Covid-Netzwerke und weitere Reha-Einrichtungen für Long-Covid-Betroffene aufgebaut.
Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es bei Long-Covid?
Da noch unklar ist, was die Langzeitfolgen der Corona-Infektion verursacht, kann man bei Long-Covid bislang nur die Symptome behandeln. Nach bisherigen Beobachtungen bessert sich die Gesundheit bei vielen Betroffenen damit nach spätestens zwei bis drei Monaten. In einem Teil der Erkrankten kann Post-Covid allerdings länger anhalten, unter Umständen sogar dauerhaft bleiben.
Bei funktionellen Einschränkungen oder kognitiven Leistungsminderungen sowie emotionalen Belastungen sind oftmals spezifische Therapien und Trainings sinnvoll. Bei verminderter Belastbarkeit gilt das "Pacing" als wichtiges Konzept, um eine Überlastung zu vermeiden.
Die Art der Behandlung ist abhängig vom jeweiligen Therapieschwerpunkt. So kann vor allem die Physiotherapie mit Atemtherapie, Krankengymnastik und manueller Therapie zur Förderung von Kraft, Ausdauer, Gehvermögen und Koordination eingesetzt werden. Mittels Ergotherapie lassen sich Wahrnehmung und Bewegung von Armen und Händen verbessern. Auch Konzentration und Gedächtnis lassen sich mit gezieltem Training verbessern. Emotionale Störungen wie Depressivität oder Ängste lassen sich psychotherapeutisch behandeln. Bei Sprachstörungen bzw. Schluckstörungen kann Logopädie sinnvoll sein.
Besonders schwer Betroffenen kann dann eine Reha helfen. Eine Erfolgsgarantie gibt es dafür aber leider nicht. Außerdem seien die Reha-Plätze knapp und die Wartelisten lang, so Prof. Scheibenbogen. In Zukunft sollen mehr Versorgungsstrukturen für Long-Covid geschaffen werden, erklärt auch die neue Bundesregierung. Mittlerweile bilden sich immer mehr Selbsthilfegruppen: Mit anderen Betroffenen darüber zu sprechen hilft mit der Erkrankung umzugehen.
Da die Ursachen von Long-Covid unklar sind, ist eine gezielte medikamentöse Behandlung noch nicht verfügbar. Momentan wird untersucht, welche bereits zugelassenen Medikamente bei Long-Covid Symptomen helfen können - zum Beispiel, um Entzündungsreaktionen zu bremsen oder die Durchblutung zu verbessern.
Kann man Long-Covid vorbeugen?
Zur Vorbeugung von Long-Covid ist bislang nur wenig bekannt. Carmen Scheibenbogen hat dazu eine klare Meinung: "Das Beste ist natürlich, Sie sind geimpft und bekommen kein Covid, dann bekommen Sie auch kein Long-Covid. Aber auch bei Impfdurchbrüchen - da gibt es jetzt auch Studien dazu - ist das Risiko Long-Covid zu bekommen ungefähr um die Hälfte vermindert."
Es gibt zwei Medikamente von Pfizer und Merck, die im Anfangsstadium von Covid-19 als antivirale Medikamente gegeben werden können. Wenn diese Medikamente den Krankheitsverlauf verbessern, mindern sie, so Carmen Scheibenbogen, möglicherweise auch das Risiko von Long-Covid. Das sei eine berechtigte Hoffnung, die weiter untersucht werden muss. Erste Studien weisen auch auf eine Minderung schwerer Verläufe mit dem Antidepressivum Fluvoxamin hin, sagt die Immunologin.
Der beste Schutz vor Long-Covid ist immer noch die Impfung. Aber auch Hygiene- und Abstandsregeln sollten bestmöglich eingehalten werden. Und zwar von allen: Geimpften und Genesenen, Kindern und Jugendlichen.