Ein Pfleger steht an einem Bett auf einer Intensivstation in Braunschweig.
FAQ

Impfdurchbrüche Krank trotz Impfung - warum?

Stand: 24.09.2021 14:56 Uhr

Impfdurchbrüche - so nennt man es, wenn Menschen trotz eines vollständigen Impfschutzes an Covid erkranken. Woran liegt das? Wie gut schützt die Impfung? Hier die wichtigsten Fragen und Antworten.

Von Veronika Simon, SWR

Wie viele Menschen sind von Impfdurchbrüchen betroffen?

Das Robert Koch-Institut sammelt alle Fälle von Menschen, die trotz Impfung an Covid erkranken. Seit Beginn der Impfkampagne gab es nach diesen Daten in Deutschland 47.753 wahrscheinliche Impfdurchbrüche. Das RKI schätzt auf Grund dieser Zahl die Effektivität des Impfstoffs für die vergangenen vier Wochen auf 84 Prozent für die Altersgruppe unter 60 Jahren und auf 83 Prozent für Menschen über 60 Jahren. 

Im aktuellen Bericht des RKI ist auch angegeben, dass die Delta-Variante des Virus mittlerweile für 99,9 Prozent der Infektionen in Deutschland verantwortlich ist. Der hohe Anteil der Delta-Variante erhöht auch die Anzahl der Impfdurchbrüche, da diese Variante des Virus deutlich ansteckender ist als die ursprüngliche Form.

Warum gibt es Impfdurchbrüche überhaupt?

Dass sich Menschen anstecken würden, obwohl sie geimpft sind, wusste man bereits nach den Zulassungsstudien. Diese zeigten zwar, dass die Impfstoffe sehr gut wirkten, doch auch in den Studien hatte keiner der Impfstoffe eine Wirksamkeit von 100 Prozent. Solche Impfdurchbrüche sind also normal, man kennt sie auch von anderen Impfstoffen.

Dass aktuell die Anzahl solcher Impfdurchbrüche nach der Covid-Impfung steigt, liege auch daran, dass viele sich nicht mehr so streng an Hygieneregeln halten, sagt Katherine O’Brien. Sie ist Immunologin und leitet die Abteilung für Immunisierungen und Impfungen der WHO. Die Sicherheitsvorkehrungen seien jedoch wichtig, um die Verbreitung des Virus in Schach zu halten: "Wenn sich das Virus immer schneller und weiter verbreitet, dann kommen wir auch stärker damit in Kontakt - das betrifft auch Geimpfte." In seltenen Fällen könnten diese dann erkranken.

Wie lange hält der Impfschutz?

Dazu kommt, dass der Impfschutz mit der Zeit abnimmt. Je länger die vollständige Immunisierung zurückliege, desto höher sei die Wahrscheinlichkeit, trotz Impfung zu erkranken, so eine britische Studie. Denn der Antikörperspiegel, den der Körper gegen das Coronavirus aufgebaut hat, sinkt einige Zeit nach der Impfung ab. Damit bleibt der Körper jedoch nicht wehrlos zurück. Denn das Immunsystem besteht noch aus weiteren Abwehrzellen, die durch die Impfung aktiviert werden. So kann die Immunabwehr relativ schnell wieder aktiviert werden, auch wenn die Antikörper nach einigen Monaten kaum noch messbar sind.

Wahrscheinlich können Menschen, die sich trotz Impfung mit dem Coronavirus anstecken, auch andere infizieren - zumindest wurde in solchen Fällen Viren-Erbgut in den Abstrichen gefunden. Wie lange man bei einem Impfdurchbruch ansteckend ist, ist aber noch nicht endgültig geklärt.

Wer ist besonders betroffen?

Nicht alle Menschen haben das gleiche Risiko, trotz Impfung an Covid zu erkranken. Besonders betroffen seien Menschen mit einem geschwächten Immunsystem, erklärt O’Brien. Das kann zum Beispiel nach einer Organtransplantation der Fall sein oder während einer Krebsbehandlung. Doch auch mit steigendem Alter wächst die Gefahr eines Impfdurchbruchs. Denn das Immunsystem wird mit dem Alter unflexibler - vor allem, wenn es lernen soll, wie bisher unbekannte Erreger abgewehrt werden können. Die Folge: Die Impfung schlägt zum Teil nicht so gut oder gar nicht an, es kann kein lang anhaltender Schutz aufgebaut werden.

Das sieht man auch an den aktuellen Zahlen des Robert Koch-Instituts: In der Altersgruppe der über 60-Jährigen liegt der Anteil der Impfdurchbrüche in den vergangenen vier Wochen unter den symptomatischen Covid-19-Fällen bei fast 45 Prozent. Bei jüngeren Erwachsenen liegt dieser Wert bei 21,3 Prozent, bei Jugendlichen bei 1,4 Prozent. Allerdings ist die Impfquote bei den Menschen über 60 auch deutlich höher als bei den jüngeren Altersgruppen.

Wie funktioniert eine Immunantwort?

Durch die Impfung wird der Körper dazu angeregt, Antikörper zu bilden. Sie entstehen innerhalb von Tagen und Wochen durch spezialisierte Blutzellen. Immunologe Carsten Watzl nennt die Antikörper eine "Armee", die durch Zellteilung möglichst schnell anwachsen müsse. Wenn der echte Erreger erneut in den Körper eindringt, sei dieser gewappnet. Die Antikörper blockierten die Bindestelle des Virus, und dann könne dieses die Körperzellen nicht mehr infizieren.

Bereits infizierte Zellen werden durch T-Zellen, umgangssprachlich auch T-Killerzellen, einfach zerstört. Eine Ausbreitung der Krankheit im Körper wird verhindert.

Der zweite wichtige Teil der Immunreaktion sind sogenannte Gedächtniszellen. Solche gibt es sowohl bei den für Antikörperbildung verantwortlichen B-Zellen als auch bei den T-Zellen. Nach einer Infektion bildet der Körper diese Gedächtniszellen, die Information über einen Erreger wie SARS-CoV-2 in sich tragen. Bei einer erneuten Infektion können sie innerhalb eines Tages die Immunreaktion starten, Antikörper produzieren und spezifische T-Zellen bilden. So kann das Virus schnell bekämpft werden. Auch bei SARS-CoV-2 scheint das so zu sein, vermuten Forscherinnen und Forscher. Sie konnten zeigen, dass Genesene T-Gedächtniszellen bilden, die lange im Körper verbleiben.

Wie sind die Krankheitsverläufe?

Geimpfte haben einen klaren Vorteil - selbst im Fall einer Infektion. Denn sie erkrankten im Schnitt nicht mehr so stark, erklärt die Immunologin O’Brien. Viele dürften eine Infektion kaum wahrnehmen oder nur milde Symptome entwickeln.

Doch auch hier sind nicht alle Altersgruppen gleich betroffen: In einer Untersuchung von der Yale School of Medicine in den USA wurden die Daten von fast 1000 Covid-Patienten analysiert. Die Gruppe der Menschen, die trotz Impfung schwer erkrankten und im Krankenhaus behandelt werden mussten, war im Mittel 80,5 Jahre alt. Viele hatten chronische Vorerkrankungen. In Deutschland sind bisher 585 Menschen über 60 trotz Impfung an einer Corona-Infektion verstorben. In der Altersgruppe unter 60 Jahren waren es bisher drei.

Wie gut ist der Schutz vor einem schweren Verlauf?

Doch auch für ältere Menschen gilt: Insgesamt schützt die Impfung weiterhin gut vor einem schweren oder tödlichen Verlauf. Zwar sinkt in der älteren Gruppe die Effektivität der Impfungen mit der Zeit - doch wenn es darum geht, schwere Verläufe zu verhindern, liegt der Schutz laut aktuellen israelischen Daten in allen Altersgruppen bei über 80 Prozent.

Nach Einschätzung des Robert Koch-Instituts sind mit einer vollständigen Impfung in Deutschland auch Menschen über 60 Jahren noch zu ca. 95 Prozent vor einer Einlieferung ins Krankenhaus geschützt, zu 96 Prozent vor einer Behandlung auf der Intensivstation und zu ca. 93 Prozent vor einem tödlichen Verlauf. Diese Zahlen beziehen sich auf die gemeldeten Impfdurchbrüche der letzten vier Wochen.

Wie sieht es in anderen Ländern aus?

Wie das Robert Koch-Institut in Deutschland beobachten auch in anderen Ländern die nationalen Gesundheitsbehörden die Anzahl der Impfdurchbrüche genau. In den USA gab es nach Angaben der Seuchenschutzbehörde CDC vom 13. September 15.790 Menschen, die trotz Impfung mit einer Covid-Erkrankung ins Krankenhaus eingeliefert wurden oder daran verstarben. Bei über 178 Millionen geimpften US-Amerikanern entspricht diese Anzahl laut der Behörde jedoch den Erwartungen - man gehe weiterhin von einer hohen Wirksamkeit der Impfstoffe aus.

Für Aufsehen sorgten Daten aus Israel: Dort sind 60 Prozent der Menschen, die mit einer Corona-Infektion im Krankenhaus behandelt werden, geimpft. Doch Experten wie Jeffery Morris, Professor für Biostatistik an der Perelman School of Medicine der University of Pennsylvania, warnen: Die Schlussfolgerung, dass die Impfung nach einigen Monaten nicht mehr wirke, sei zu kurz gegriffen. Der Anteil der Geimpften unter den Covid-Patienten im Krankenhaus in Israel sei zwar hoch, das sei aber vor allem auf die hohe Impfquote gerade unter der älteren Bevölkerung in Israel zurückzuführen. Es gebe nur noch wenige Ungeimpfte, die schwer an Covid erkrankten. Das verzerre das Bild.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete der NDR in der Sendung Visite am 14. September 2021 um 20:15 Uhr.