Kokain

Sucht Immer mehr Menschen in Deutschland konsumieren Kokain

Stand: 25.03.2025 06:00 Uhr

Kokain galt einst als Statussymbol der Oberschicht. Heute zieht sich der Konsum offenbar quer durch alle sozialen Schichten. Die Droge, so Experten, ist allgegenwärtig - mit gravierenden Folgen für die Gesundheit.

Von Tina Roth, NDR

"Es gibt kaum eine Gruppe, in der Kokain nicht angekommen ist", sagt Heike Zurhold, Soziologin und Kriminologin am Zentrum für Suchtforschung (ZIS) in Hamburg. In den vergangenen zehn Jahren hat sich laut ZIS die Zahl der Kokain-konsumierenden Erwachsenen in Deutschland mehr als verdoppelt. Einen alarmierenden Anstieg verzeichnet auch die Krankenkasse BARMER. Die Zahl der Menschen, die sich wegen Kokainmissbrauchs in ärztlicher Behandlung befänden, habe sich in den vergangenen zehn Jahren verdreifacht.

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"Statt Pizza bringt der Bote eben Kokain"

Wie massiv der Konsum gestiegen ist, zeigen auch Abwasseranalysen in deutschen Städten. Dabei werden steigende Konzentrationen von Kokain-Rückständen nachgewiesen. Polizei und Zoll registrieren zudem seit Jahren Rekordfunde. 2017 wurden acht Tonnen Kokain in Deutschland sichergestellt, 2023 waren es dann schon 43 Tonnen, und das ist nur ein Bruchteil dessen, was sich tatsächlich auf dem Markt befindet.

Die hohe Verfügbarkeit der illegalen Droge drückt die Preise. Außerdem ist der Zugang für Konsumierende heutzutage sehr einfach. Über Messenger-Dienste wie Telegram lässt sich Kokain einfach und diskret bestellen. "Es ist wie ein Lieferservice. Statt Pizza bringt der Bote eben Kokain", berichtet Heike Zurhold vom ZIS.

Warum konsumieren Menschen Kokain?

Die Motive für den Kokainkonsum sind vielfältig. Eine Studie des Zentrums für Interdisziplinäre Suchtforschung zeigt: Viele Menschen nehmen Kokain, um wach und leistungsfähig zu bleiben oder um Hemmungen zu verlieren. "Es wirkt kurzfristig tatsächlich leistungsfördernd, man fühlt sich energetischer", erklärt Ingo Schäfer, Psychiater am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.

Kokain verhindert im Gehirn den Abbau des Glückshormons Dopamin. Die Folge: Es ist mehr von dem Hormon im Gehirn und bewirkt einen Euphorie-Schub. Doch die Wirkung hält durchschnittlich nur rund 30 Minuten an - danach drohen Stimmungstiefs und das Verlangen "nachzulegen".

"Irgendwann konnte ich nicht mehr staubsaugen, ohne Kokain zu konsumieren."

Hagen Decker hat erfahren müssen, wie schnell ein sporadischer Konsum zur Sucht werden kann. Seine erste Linie zog er mit 25 in einem Berliner Technoclub. "Ich habe Kokain aber sehr bald nicht nur zum Feiern genommen, sondern auch zum Arbeiten. Und irgendwann brauchte ich es für alles", erinnert er sich. 15 Jahre lang war er abhängig.

Er ist kein Einzelfall: Rund jeder vierte Kokainkonsument entwickele eine psychische Abhängigkeit, so die Experten vom ZIS. Der Körper gewöhnt sich an die Droge und viele Konsumenten erhöhen nach und nach die Dosis, um weiter dieselben Effekte zu erzielen. "Ich konnte irgendwann nicht einmal mehr staubsaugen, ohne vorher Kokain zu nehmen", erinnert sich Hagen Decker.

Gesundheitliche Folgen für Körper und Psyche

Die gesundheitlichen Risiken von Kokain sind gravierend. "Kokain ist eine Droge, von der man die Finger lassen sollte", warnt Psychiater und Suchtmediziner Schäfer. Kokain verengt akut die Blutgefäße und kann so auch bei jungen Menschen einen Herzinfarkt oder Schlaganfall auslösen.

Vor allem psychisch hinterlässt Kokain mittel- und langfristig Spuren: Das Rausch-Ende ist gekennzeichnet von Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit, Müdigkeit und Erschöpfung bis hin zu Aggressionen, Angstzuständen und Schuldgefühlen. Je intensiver der Konsum war, desto heftiger sind die Folgen. Kokain kann zu chronischen Angst- und Panikattacken, Schlafstörungen, paranoiden Wahnvorstellungen oder narzisstischem Verhalten führen.

Der lange Weg aus der Sucht

Der Ausstieg aus der Kokainsucht ist schwierig und langwierig. Hagen Decker schaffte es mit Unterstützung seiner damaligen Partnerin, die ihn zu Drogenberatungsstellen begleitete. Schließlich folgte nach einer stationären Entgiftung eine dreimonatige Entwöhnungsbehandlung. "Dort habe ich gelernt zu verstehen, warum ich süchtig wurde und wie ich abstinent bleiben kann", sagt er.

Seit zweieinhalb Jahren ist Hagen clean. Zusammen mit einem anderen ehemaligen Kokainabhängigen veröffentlicht er den Podcast "Sucht und süchtig", in dem beide offen über ihre Erfahrungen sprechen. Doch die Sucht ist geblieben: " Ich bin immer noch abhängig. Ich konsumiere nicht, aber ich bin abhängig und spüre das jeden Tag - mal mehr mal weniger. Als Abhängiger nicht zu konsumieren, ist lebenslange Arbeit.“

Der steigende Kokainkonsum in Deutschland ist eine für Experten besorgniserregende Entwicklung. Die Droge ist verfügbar, bezahlbar und erscheint vielen zunächst harmlos, doch nicht selten endet der Konsum in einer zerstörerischen Sucht.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die NDR-Sendung "Visite" am 18. März 2025 um 20:15 Uhr.