Blick auf die Cheopspyramide.

Vor 4.300 Jahren Krebs-OPs bei den alten Ägyptern?

Stand: 07.06.2024 06:37 Uhr

Die alten Ägypter haben vermutlich schon vor mehr als 4.300 Jahren Versuche unternommen, bösartige Tumore zu entfernen. Das zeigt eine neue Untersuchung.

Von Julia Nestlen, SWR

Menschen im altem Ägypten verfügten bereits vor Jahrtausenden über umfangreiches medizinisches Wissen. Es ist bekannt, dass sie Prothesen und Zahnfüllungen anfertigten und Medikamente gaben. Bislang gab es allerdings keinen Nachweis dafür, dass sie Wissen zur Behandlung von Krebserkrankungen besaßen. Eine neue Studie in der Fachzeitschrift "Frontiers in Medicine" zu zwei Schädeln belegt zur Überraschung der Forschenden mögliche Spuren einer Krebsoperation.

Der Schädel eines  Mannes

Der Mann litt vermutlich an einer fortgeschrittenen Tumorerkrankung im Nasenrachenraum.

Vermutlich frühester Nachweis einer Krebsoperation

Einer der Schädel aus der Duckworth-Sammlung der Cambridge-Universität in England stammt von einem Mann Anfang 30, der wohl von einer fortgeschrittenen Tumorerkrankung im Nasenrachenraum betroffen war. Der gut 4.300 Jahre alte Schädel ist einer der bislang ältesten bekannten Krebsfälle. Am Gaumen hat der Knochen ein großes Loch, dazu kommen rund dreißig kleine Knochenschäden am Schädel, die wahrscheinlich durch den metastasierenden Krebs verursacht wurden.

Als die Tübinger Forscherin und Erstautorin der Studie, Tatiana Tondini, die krankhaften Knochenveränderungen genauer untersuchte, entdeckte sie zu ihrer Überraschung Schnittspuren.

Damit habe ich nicht gerechnet. Ich habe meinen Betreuer gerufen, und wir haben uns gefragt, ob das Schnittspuren sind und woher sie kommen könnten? Wir haben die halbe Abteilung im Labor versammelt, das war sehr aufregend.
Tatiana Tondini, Archäologisches Institut Universität Tübingen
Der Schädel eines  Mannes zeigt Verletzungen durch eine bösartige Krebserkrankung und mögliche Spuren einer Operation.

Die Schnittspuren könnten durch ein Skalpell entstanden sein.

Die entdeckten Schnittspuren im Bereich der erkrankten Stellen könnten, so die Forscherin, durch ein scharfes Werkzeug, wie ein Skalpell, entstanden sein. Das wäre der früheste Nachweis einer chirurgischen Krebsbehandlung in der menschlichen Geschichte - auch wenn sie nicht lebensrettend war, denn der Mann starb entweder kurz vor oder nach der Operation.

"Wir können nicht sagen, ob die Person durch den Eingriff starb oder er bereits tot war und die alten Ägypter versuchten, besser zu verstehen, an was er erkrankt war", erklärt Tondini. "Wenn er überlebt hätte, müssten wir eine Reaktion im Knochen haben, die wir aber nicht sehen können."

Neue Methoden ermöglichten überraschende Entdeckung

Der Wissenschaftler Calvin Wells untersuchte den Schädel bereits 1963 und erkannte die Krebserkrankung, nicht aber die Hinweise auf eine Operation. Das liegt daran, dass sich die Methoden der Analyse in den letzten Jahrzehnten stark weiterentwickelt haben. Mithilfe digitaler Mikroskopie und Mikro-Computertomografie, also besonders hochauflösender Bildgebung, konnte das Forschungsteam nun diese Schnittspuren am Knochen sichtbar machen, die mit bloßem Auge nicht erkennbar sind.

Beleg für Behandlung lebensgefährlicher Kopfverletzungen

Der zweite untersuchte Schädel ist der einer Frau im Alter von über fünfzig Jahren, die ebenfalls von einer Krebserkrankung betroffen war. Auch diesen Schädel untersuchten die Forschenden, um mehr über die Krebsarten zu erfahren, die es auch schon in der Antike gab und wie die altägyptische Medizin vor mehr als 4.000 Jahren versucht hat, Krebs zu erforschen.

Neben den Spuren einer Krebserkrankung deuten zwei weitere verheilte Verletzungen auf gewaltsame Auseinandersetzungen hin. Eine Verletzung sei, so die Forscherin, durch einen scharfen Gegenstand, wie einem Schwert, entstanden. Das lasse Rückschlüsse auf das medizinische Wissen der Zeit zu: "Wir sehen anhand der Knochenformationen um die Verletzung, dass die Frau die Verletzung überlebt hat", so Tondini. Das heißt, die alten Ägypter waren in der Lage, lebensgefährliche Schädelfrakturen erfolgreich zu heilen.

Überraschende Kampfverletzungen an weiblichem Schädel

Überraschend und neu für die Forschenden bei der Untersuchung der Knochenschäden war die Erkenntnis, dass es sich um den Schädel einer Frau handelt.

Solche Verletzungen seien eher typisch für männliche Schädel aus der Zeit um 600 v. Chr. in Ägypten, einer Zeit, in der das Land von mehreren Invasionen geprägt wurde. "Wir können nicht sicher sagen, ob die Frau eine Kriegerin war oder ob es Spuren von häuslicher Gewalt sind." Forscherin Tondini hält die Kriegerinnen-Hypothese aber für wahrscheinlicher, da die Verletzung vermutlich durch einen schwertähnlichen Gegenstand verursacht worden sei.

Krebs ist keine moderne Krankheit

Die Vorstellung, dass Krebs eine Krankheit der Moderne sei, müsse man vor dem Hintergrund der Studie überdenken, im Gegenteil: Die Krankheit sei auch bei den alten Ägyptern häufig vorgekommen, denn auch sie hätten Alkohol getrunken, die Häuser seien schlecht durchlüftet gewesen, sodass Menschen vermutlich Rauchbelastung ausgesetzt gewesen seien. "Auch damals gab es Umwelteinflüsse und Verhaltensweisen, die potenziell Krebs ausgelöst haben", meint Tondini.

Gewebeanalysen sollen weitere Erkenntnisse bringen

Gewebe- und DNA-Untersuchungen der Schädel könnten zu wichtigen neuen Ergebnissen führen. Die Forscherin hofft auf Erkenntnisse, ob sich Krebsmarker über die Zeit verändert haben und mehr über die Krankheitsgeschichte und Lebensumstände der Fälle zu erfahren. Beim Schädel des Mannes hofft sie, das Epstein-Barr-Virus nachweisen zu können, das heute mit Krebs im Nasenrachenraum in Verbindung gebracht wird.

Für die Gewinnung von Probenmaterial ist es allerdings nötig, die Schädel zu beschädigen. Wenn die Universität Cambridge dem zustimmt, plant die Forschungsgruppe, weitere Untersuchungen an den Schädeln durchzuführen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete SWR Wissen am 06. Juni 2024 um 13:52 Uhr.