Warnweste und Stethoskop einer Notärztin

Psychiatrische Notfälle Notärztinnen sind empathischer als Notärzte

Stand: 10.12.2024 07:11 Uhr

Psychiatrische Notfälle sind häufig eine große Herausforderung für Notärztinnen und Notärzte. Frauen greifen bei solchen Einsätzen seltener zu Medikamenten als ihre männlichen Kollegen.

Von Stefan Troendle und Constanze Fett, SWR

Bei einem Knochenbruch, Herzinfarkt oder Schlaganfall gibt es klar definierte Handlungsabläufe für das Rettungspersonal. Anders ist das bei psychiatrischen Notfällen, hier haben die behandelnden Rettungskräfte einen größeren individuellen Spielraum.

"Solche psychiatrischen Notfälle treten häufig vielseitiger in Erscheinung als bei somatischen Krankheitsbildern und sie zeigen oft eine unberechenbare Entwicklung. Teilweise sind sie sogar mit einer erheblichen Gefährdung für das versorgende Personal und die Betroffenen selbst verbunden", erklärt Carlos Schönfeldt-Lecuona, stellvertretender leitender Oberarzt an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie III des Universitätsklinikums Ulm.

Notärztinnen verabreichen seltener Medikamente

Die Universität Ulm hat nun in einer Studie untersucht, ob Notärztinnen und Notärzte diesen individuellen Spielraum unterschiedlich nutzen. Das Ergebnis: Es gibt einen Gender-Effekt. Frauen entscheiden sich häufiger gegen das Spritzen von Beruhigungsmitteln. Um die Situation nicht weiter anzuheizen, verzichten sie auch öfters auf das Messen von Puls und Blutdruck. Denn die Messung der Vitalwerte wird von manchen Patientinnen und Patienten als übergriffig empfunden.

Im Rahmen der Studie wurden rund 3.000 Protokolle von Notarzteinsätzen mit psychiatrischem Hintergrund ausgewertet - Alkohol- und Drogenmissbrauch genauso wie psychische Ausnahmesituationen oder Panikstörungen. Derartige Einsätze machen etwa ein Drittel der Notfälle aus, bei denen ein Notarzt hinzugerufen wird.

Ausbildung muss verbessert werden

Aus anderen Bereichen der Medizin, ist bereits bekannt, dass Frauen durch eine patientenzentrierte Kommunikation eine bessere Gesprächsatmosphäre schaffen können, erklärt Benedikt Schick, Oberarzt für Anästhesie an der Uniklinik Ulm und Erstautor der Studie. Dadurch könnten sich Patientinnen und Patienten besser mitteilen und ihre Wünsche und Bedürfnisse besser formulieren.

Das ist bei psychiatrischen Notfällen offenbar genauso hilfreich wie Medizin. Im Rahmen der Untersuchungen haben männliche Notärzte doppelt so oft Medikamente eingesetzt wie ihre weiblichen Kolleginnen. Ein grundsätzliches Problem liegt in der Ausbildung, denn dort werden diese Fälle nur nebensächlich behandelt.

Schick sieht bereits im Studium Verbesserungspotenzial, damit psychiatrische Notfälle künftig als genauso wichtig betrachtet werden wie beispielsweise die Behandlung von Herzinfarkten. Männer setzen bei Notfällen bisher eher auf die Praxis. "Wir Männer wollen halt vielleicht doch eher zeigen, dass wir unter schwierigsten Bedingungen ganz tolle Sachen machen können."

Kein Gender-Effekt bei Zwangseinweisungen

Ob Patientinnen und Patienten gegen ihren Willen in ein Krankenhaus gebracht wurden, war aber nicht davon abhängig, ob sie von einer Ärztin oder einem Arzt behandelt wurden. Jedoch griffen Notärzte auch hier häufiger zur Beruhigungsspritze. Die Einweisung in ein Krankenhaus gegen den Patientenwillen, in Kombination mit der erzwungenen Verabreichung von Psychopharmaka zur Beruhigung ist für den Betroffenen als "maximale Eskalation" zu sehen und verursacht massiven Stress, erläutert Benedikt Schick.

Daher wirft die Ulmer Studie auch weitere Fragen auf, die noch nicht untersucht wurden. Zum Beispiel, ob die Anwendung von Zwang anschließend das Vertrauensverhältnis zwischen Psychiater und Patienten beschädigt. Denn von dem hängt schließlich der Erfolg einer Behandlung ab.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das Wissenschaftsmagazin Impuls in SWR Kultur am 05.12.24 um 16:05 Uhr