Regelung der Sterbehilfe "An vielen Stellen kann Menschen geholfen werden"
Die Vorsitzende des Ethikrates plädiert für die Suche nach einem neuen Entwurf zur gesetzlichen Regelung der Sterbehilfe. Rechtssicherheit sei für die Betroffenen wichtig, sagt Alena Buyx. Aber es brauche auch mehr Suizidprävention.
tagesschau.de: Beide Anträge haben die Mehrheit verfehlt - ist das jetzt ein guter oder ein schlechter Tag?
Alena Buyx: Für die einen so, für die anderen so. Ich würde sagen, durchwachsen. Mich hat gefreut, dass es einen Antrag gegeben hat zur Suizidprävention, der viel Zustimmung erhalten hat. Und was die durchgefallenen Vorschläge anbelangt, so ist das natürlich immer ein bisschen misslich, wenn es nicht zu einer klaren Entscheidung kommt. Ich würde mir wünschen, dass da noch mal ein neuer Aufschlag gemacht wird.
Betroffene wollen Rechtssicherheit
tagesschau.de: Was bedeutet das jetzt für die Betroffenen?
Buyx: Das ist genau der Punkt. Es gibt durchaus auch gute Argumente dafür zu sagen, dass man die Sterbehilfe auch ungeregelt lassen könnte. Es gibt Kolleginnen und Kollegen, die dafür plädiert haben, dass keines der Gesetze kommt und man die Sterbehilfe offen lässt und sie beispielsweise durch die Ärzteschaft gestaltet.
Wir wissen aber, dass sich die Betroffenen sehr häufig Rechtssicherheit und eine klare Vorgabe wünschen. Und das sind nicht nur die Patientinnen und Patienten, sondern auch die Einrichtungen sowie Ärztinnen und Ärzte, die dann gegebenenfalls nach einem solchen Schritt gefragt werden. Deswegen votiere ich persönlich dafür, dass man nochmals einen Kompromiss sucht.
Neue Vorschläge sollen Klarheit bringen
tagesschau.de: Ganz oft hört man, dass sich Ärztinnen und Ärzte in einer Grauzone befinden. Bevor sie etwas Falsches tun, sagen sie lieber Nein. Wie kann man ihnen helfen?
Buyx: Es gibt zwei Sorgen. Einmal die Sorge, dass diejenigen, die von ihrem Recht auf selbstbestimmtes Leben und dem Recht, sich dabei Hilfe zu holen, Gebrauch machen wollen und diese Möglichkeit nicht erhalten. Auf der anderen Seite, gibt es die Sorge, dass vielleicht Missbrauch passiert, und Menschen gedrängt werden, wenn es keine gesetzlichen Regelungen, auch keine Schutzkonzepte gibt. Beides ist schlecht.
Entsprechend sollte es jetzt neue Vorschläge geben, die beides verhindern. Es wird zum einen darum gehen, dass man gute Beratungskonzepte hat. Wie aufwendig soll die Beratung sein? Wer soll diese Beratung vornehmen? Soll es da Wartefristen geben oder nicht? Soll es mehrere Termine geben oder nicht? Und da gab es deutlich unterschiedliche Vorschläge. Und das zweite wird auch sein, ob das Ganze ins Strafgesetzbuch kommen soll oder nicht? Das war auch ein weiterer Knackpunkt.
Ich persönlich plädiere dafür, dass man noch mal mit den Expertinnen und Experten in diesem Bereich spricht. Es hat von Sachverständigen durchaus Kritik an den Entwürfen gegeben. Das bedeutet, man kann die Entwürfe noch weiterentwickeln und vielleicht finden sich dann auch Wege, dass - vorsichtig formuliert - beide Gruppen, die ja sehr ernsthaft diskutiert haben, noch ein Stückchen zueinander finden und eventuell auch einen Konsensentwurf finden.
"Langer, vielgestaltiger Prozess"
tagesschau.de: Der Ethikrat hat auch eine Stellungnahme vorgelegt. Da ging es besonders auch um die Suizidprävention.
Buyx: Wir haben sehr intensiv auf zwei Dinge hingewiesen. Wenn man über Suizidbeihilfe, Unterstützung und Begleitung beim Suizid spricht, dann muss man unbedingt gleichzeitig und intensiv die Suizidprävention in den Blick nehmen. Bis es zum Suizid kommt, ist ein langer, sehr vielgestaltiger Prozess abgelaufen. Und an vielen Stellen kann man Menschen helfen und sie unterstützen - da sind wirklich noch Wegstrecken zu gehen.
Das zweite ist, dass wir auch besonders stark das Augenmerk darauf gelegt haben, was das Bundesverfassungsgericht gesagt hat. Damit ein Suizid tatsächlich zulässig ist, muss die Entscheidung dazu freiverantwortlich sein. Da gibt es verschiedene Bedingungen, die berücksichtigt werden sollten. Und deswegen sollte eine sorgfältige, verpflichtende Beratung für diejenigen, die das wünschen, wirklich gut und auch praxisnah ausgestaltet werden.
Suizidprävention wichtig
tagesschau.de: Pflegekräfte berichten oft, dass in den häufigsten Fällen die Aussage, sterben zu wollen, ein Hilfeschrei sei und keine Aufforderung?
Buyx: Es geht wirklich darum. Wir wollen alle als Gesellschaft Suizide vermeiden. Ein Suizid ist ein tragisches Ereignis und es gibt Menschen, die diesen Weg für sich wählen. Wenn das freiverantwortlich und selbstbestimmt passiert, ist das auf jeden Fall zu respektieren. Und dann sollte es dafür auch Begleitung geben.
In vielen Fällen ist es so, dass so ein Suizidwunsch nicht von null auf einhundert einfach da ist, sondern dass das Entwicklungen sind und dass man an vielen Stellen Menschen helfen kann. In vielen Fällen ist es dann auch so, dass Sterbewünsche nachlassen.
Deswegen haben wir im Ethikrat so viel Wert darauf gelegt, dass eine umfangreiche, umfassende, niedrigschwellige Suizidprävention ganz wichtig ist. Die kann dann mit Hilfe und Begleitung für diejenigen, die sterben wollen verbunden sein. Und diese Menschen haben das Recht, tatsächlich selbstbestimmt und mit Unterstützung in den Tod zu gehen. Aber das muss ein Gesamtkonzept sein. Man muss das Thema ernst nehmen, das eine große gesellschaftliche Herausforderung ist.
Hilfreich, auf andere Länder zu schauen
tagesschau.de: Wir blicken ja immer auf die Niederlande zum Beispiel oder auch in die Schweiz, wo es eben Hilfe zum Suizid gibt. Ist das für uns in Deutschland eine Lösung?
Buyx: Es ist schon hilfreich, sich die Regelungen in anderen Ländern anzuschauen. Oft entsteht die Sorge, dass mit einer Regelung der Sterbehilfe die Zahlen hochschnellen. Das ist in den Ländern tatsächlich unterschiedlich. In der Schweiz beispielsweise haben die Zahlen nicht zugenommen. In Belgien hingegen gibt es bestimmte Steigerungen, wobei die Zahlen jetzt nicht durch die Decke gehen.
Letztlich geht es darum, eine Regelung zu finden, die für Deutschland, die deutsche Bevölkerung und auch unsere deutsche Debatte funktioniert. Das Thema beschäftigt die deutsche Öffentlichkeit, und zwar nicht nur die Fachwelt, schon lange und intensiv. Und das ist, aus meiner Sicht, etwas sehr Positives, was man über diese heutige Debatte, aber auch über frühere Debatten im Bundestag sagen kann.
Es wird wirklich ernsthaft gerungen, um auch unterschiedliche Einstellungen dazu, wie die Selbstbestimmung zu respektieren ist, wie sie umzusetzen ist. So sehr viele in der Praxis heute ein Stück weit enttäuscht sein werden, so sehr ist das jetzt auch eine Chance, sich nochmal gemeinsam an den Tisch zu setzen und eben auf der Grundlage dieser intensiven Debatten noch mal einen Versuch zu unternehmen.
Das Gespräch führte Anja Martini, Wissenschaftsredakteurin tagesschau. Es wurde für die schriftliche Fassung redigiert und gekürzt.