Forschung Wie sich Einsamkeit auf unser Essverhalten auswirkt
Einsamkeit gefährdet unsere Gesundheit - das haben viele während der Corona-Pandemie am eigenen Leib erfahren. Jetzt zeigen Forschende: Alleinsein könnte sogar mit negativem Essverhalten einhergehen.
Jeder vierte Haushalt in Deutschland ist ein Single-Haushalt. Die Corona-Pandemie war vor allem für diese Menschen von Einsamkeit geprägt. Tatsächlich hat Einsamkeit langfristige Auswirkungen auf unsere Gesundheit.
Forschende der University of California wollten herausfinden: Wie wirkt sich Einsamkeit auf unser Gehirn aus? Dabei nahm das Forschungsteam um die Forscherin Xiaobei Zhang vor allem die Veränderung unseres Essverhaltens unter die Lupe. Die neue Studie zeigt: Einsamkeit könnte grundlegende Prozesse in unserem Gehirn verändern.
Forschende untersuchen Einsamkeit und Essverhalten
In der Studie wurden 93 Frauen untersucht. Bei allen Teilnehmerinnen wurde der Body-Mass-Index (BMI) gemessen. Zudem wurde der Anteil des Körperfetts im Vergleich zur fettfreien Körpermasse identifiziert. Außerdem machten die Probandinnen Angaben zu ihrer wahrgenommenen sozialen Isolation, Essverhalten und psychischer Belastbarkeit.
In der Studie gaben 39 der 93 Frauen an, einsam zu sein. Diese Gruppe wies gleichzeitig einen höheren Körperfettanteil auf als die übrigen Probandinnen. Auch eine schlechtere Qualität der Ernährung, ungesundes Essverhalten und schlechtere mentale Gesundheit kamen bei den einsamen Frauen öfter vor.
Bei diesen Ergebnissen handelt es sich allerdings um eine reine Korrelation. Die Forschenden haben nicht nachgewiesen, dass Einsamkeit auch direkt zu einem höheren Körperfettanteil führt. Es kann ebenso gut sein, dass umgekehrt ein höherer Körperfettanteil Einsamkeit begünstigt. Die Wirkrichtung ist also noch unklar.
Einsamkeit könnte die Gehirnaktivität verändern
Bisherige Forschungsprojekte zeigen, dass Einsamkeit auch Einfluss auf grundlegende Strukturen unseres Gehirns hat. "Einsamkeit kann zum Beispiel mit einer Verkleinerung des Hippocampus einhergehen", erklärt Dirk Scheele gegenüber dem SWR. Er ist Professor für soziale Neurowissenschaften an der Ruhr-Uni Bochum. Der Hippocampus ist der Teil unseres Gehirns, der maßgeblich an der Gedächtnisbildung beteiligt ist. Einsamkeit kann laut Scheele also zu einem Rückgang unserer Gedächtnisleistung führen.
Die Forschenden aus Kalifornien identifizierten ebenfalls nicht nur körperliche, sondern auch kognitive Unterschiede zwischen den einsamen Frauen und den restlichen Probandinnen. Die Gehirne der einsamen Frauen reagierten stärker auf Lebensmittel-Reize. Das fanden die Forschenden heraus, indem sie den Probandinnen Bilder von Essen zeigten. Die einsamen Probandinnen wiesen dabei eine stärkere Hirnaktivität im Parietallappen auf. Der ist für die Verarbeitung körpereigener Signale wie Hunger zuständig.
Der Reiz des Süßen
Besonders interessant: Die Forschenden konnten einen Unterschied zwischen Reizen von süßen und herzhaften Lebensmitteln feststellen. Wenn die einsamen Probandinnen auf süße Reize stießen, war deren Kontrollmechanismus im Hirn weniger aktiv. Die Veränderungen könnten darauf hinweisen, dass süßen Reizen eine höhere Priorität zugeschrieben wird. So kann ein intensiveres Verlangen zustande kommen, das auch weniger kontrolliert werden kann.
Ähnliche Prozesse können auch bei Menschen mit Drogen- oder Esssucht beobachtet werden. Sie könnten erklären, warum einsame Menschen häufig ein ungesünderes Essverhalten an den Tag legen, wie belohnungsorientiertes Essen, Heißhunger oder eine Esssucht. Aber was ist am süßen Geschmack so besonders? Darauf hat Wissenschaftler Scheele eine Antwort. "Süße Lebensmittel wirken sehr belohnend auf unser Gehirn und werden auch anders verarbeitet", erklärt er. Süßigkeiten könnten sich besser als Trostpflaster für einsame Menschen eignen.
Hypothese: Einsamkeit kostet Energie
Die Forschenden der University of California gehen mit ihrer Vermutung noch weiter: In der Einsamkeitsforschung besteht die Auffassung, dass einsame Menschen eher dazu neigen, eine negative Erwartungshaltung gegenüber ihrer Umwelt zu pflegen. Sie sind häufig wachsamer und vertrauen ihren Mitmenschen nicht so leicht.
Das Forschungsteam aus Kalifornien schlussfolgert, dass diese ständige Habachtstellung einen höheren Energieverbrauch einfordert. Der muss vom Körper irgendwie gedeckt werden. Und hier kommen die Süßigkeiten ins Spiel: Sozial isolierte Personen könnten deshalb ein stärkeres Verlangen nach süßen Lebensmitteln verspüren, die den Blutzuckerspiegel in die Höhe schnellen lassen und schnell Energie liefern.
Korrelation bedeutet noch keine Kausalität
"Die Ergebnisse der Studie sind plausibel", sagt Dirk Scheele. Allerdings müsse man im Hinterkopf behalten, dass die Aussagen der Forschenden mit Einschränkung zu betrachten seien. Denn die Kausalität ist noch unklar. Laut der Studie besteht zumindest ein Zusammenhang zwischen Einsamkeit und ungesundem Essverhalten sowie Übergewicht. Die Wirkrichtung dieses Zusammenhangs muss laut Scheele aber noch untersucht werden.
Aber auch am Forschungsdesign könnte bei einer erneuten Durchführung einiges angepasst werden, kritisiert Scheele: "Fraglich ist, ob die Ergebnisse auch auf Männer übertragbar sind." Er hält es für sinnvoll, die Studie aus den USA zu wiederholen und auch männliche Probanden zu untersuchen. Bisherige Studien zeigen nämlich, dass Einsamkeit unterschiedlich auf die Gehirne von Männern und Frauen wirkt. Männliche Gehirne weisen dabei häufig sogar stärkere Veränderungen auf.
Einsamkeit: Ein komplexes Forschungsgebiet
Laut Dirk Scheele ist es gar nicht so einfach, Einsamkeit neurologisch zu erforschen: "Einsamkeit ist immer noch ein komplexes Gefühl, das sich nicht auf die Strukturen einer einzelnen Region zurückführen lässt. Wir gehen davon aus, dass Veränderungen in ganz verschiedenen Regionen passieren."
Für die Grundlagenforschung ist die US-Studie ein wichtiger Schritt, auf den neue Studien aufbauen können. Für die Gesellschaft und Politik hebt sie die Gefahren von Einsamkeit für die Gesundheit jedes Einzelnen hervor. "Einsamkeit ist zwar keine Krankheit, jedoch lässt sich belegen, dass sie ein Risikofaktor für viele psychische Erkrankungen ist und jetzt möglicherweise eben auch unser Essverhalten negativ beeinflusst", erklärt Dirk Scheele.