Epigenetik Soziale Ungleichheit wirkt auf unsere Gene
Vor allem die frühe Kindheit scheint für unsere spätere Gesundheit eine wichtige Rolle zu spielen - das zeigt eine neue Studie. So können negative Umwelteinflüsse unsere Gene und ihr Programm beeinflussen.
Wie wir aufwachsen, die Luftqualität, die Ernährung, der Stress in der Familie - all das hat einen Einfluss auf unsere Gene, auf unsere Gesundheit im späteren Leben.
Frühere Studien haben bereits gezeigt: Kinder aus sozial benachteiligten Familien sind häufiger ungünstigen Lebensbedingungen ausgesetzt, etwa schlechterer Ernährung oder mehr familiärem Stress. Sie neigen dazu, ein erhöhtes Risiko für Fettleibigkeit, Erkrankungen und schlechtere schulische Leistungen zu haben.
"Das Zusammenspiel von Umwelt und Genen können wir als einen grundlegenden Mechanismus sehen, wodurch soziale Ungleichheit die Entwicklung von Kindern beeinflusst und langfristig zu Unterschieden in Bildung, Gesundheit und Wohlbefinden führt", sagt die Entwicklungspsychologin Laurel Raffington, die seit 2022 die Forschungsgruppe "Biosozial - Biologie, soziale Unterschiede und Entwicklung" am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin leitet.
Soziale Ungleichheit in den Genen
Raffington fand in ihren Studien Hinweise darauf, dass man soziale Ungleichheit an Genen "sehen" kann, und zwar mit Hilfe sogenannter epigenetischer Profile. Diese fallen bei Kindern aus sozial benachteiligten Familien schlechter aus, sie deuten beim Vergleich mit anderen Studien auf eine schlechtere Gesundheit im Erwachsenenalter hin. So ist etwa das Risiko, an Diabetes zu erkranken oder schneller zu altern, erhöht.
"Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass die frühen Lebensumstände, wenn Kinder zum Beispiel in Armut geboren werden, besonders wichtig für die epigenetischen Profile sind", erklärt Raffington. Theoretisch könne man aus diesen Profilen der Kinder bereits eine Art Vorhersage machen über deren Gesundheitsrisiken im Erwachsenenalter, was empirisch aber noch nicht untersucht wurde.
Stress, Krankheit oder Ernährung können Rolle spielen
Dazu muss man wissen: Die Epigenetik liefert wichtige Informationen, die den Aktivitätszustand von Genen bestimmen. Es geht darum, welche Gene in den Zellen abgelesen werden oder sogar stumm geschaltet werden. Äußere Faktoren wie Stress, Krankheit oder Ernährung können Einfluss auf das epigenetische Programm der Zellen nehmen.
Rauchen verändert beispielsweise das Epigenom von Lungenzellen, Gene können so krankheitstreibende Eigenschaften bekommen: "Zum Beispiel weiß man aus Studien, dass wenn eine Person raucht und aufhört zu rauchen, dass das schon auch an einzelnen Gen-Regulatoren sichtbar ist", erklärt Raffington.
Ein epigenetisches Profil pro Person
Die Entwicklungspsychologin schaute sich für ihre Studie aber nicht einzelne Gene an, sondern das gesamte Genom der Kinder, da Umwelteinflüsse oft mehrere Gene betreffen und Effekte so besser sichtbar gemacht werden können.
Dafür sammelte Raffington gemeinsam mit anderen Forschenden Speichelproben von mehr als 3.200 Kindern und Jugendlichen im Alter von acht bis 18 Jahren und erstellte daraus pro Kind ein epigenetisches Profil. Für die Auswertung nutze die Wissenschaftlerin auch Ergebnisse aus früheren Studien, die bereits Erstaunliches zeigen konnten.
Veränderungen schon bei Kindern erkennbar
Damals wurden bestimmte DNA-Methylierungsstellen identifiziert. Stellen, die Gene regulieren und die mit einem schlechteren Gesundheitszustand in Verbindung gebracht werden. Raffington fand dann heraus, dass diese Veränderungen auch schon in den Genen von den Kindern sichtbar sind.
"Und eine Schlussfolgerung aus dieser Arbeit ist, dass Intervention zur Verbesserung der Gesundheit und Langlebigkeit möglicherweise schon Jahrzehnte vor dem Beginn altersbedingten Krankheiten geplant werden sollte."
Einfluss auf unsere Gene nehmen
Das ist die gute Nachricht dieser Forschung: Man kann ein epigenetisches Profil verändern. Es ist nicht auf immer festgelegt - trotz vielleicht schwierigerer Startbedingungen in der Kindheit, erklärt die Forscherin des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung. Vieles ist hier aber noch unerforscht. Es ist noch unklar, wie viel man am Ende noch positiv verändern kann, wenn man zum Beispiel erst als Erwachsener beginnt, sich gesünder zu ernähren oder sich mehr zu bewegen.
"Einige Altersforscher- und forscherinnen glauben auch, dass Medikamente, die vielleicht in der Zukunft erhältlich werden und die das biologische Altern verlangsamen oder umkehren sollen, in der Lage sein könnten, die negativen Auswirkungen in der frühen Lebensphase umzukehren. Aber momentan ist das zumindest für Menschen Zukunftsmusik", sagt Raffington.
Geldgeschenke für Mütter
In einer sogenannten Interventionsstudie in den USA wird Entwicklungspsychologin Raffington nun weiter untersuchen, inwieweit diese epigenetischen Profile beeinflussbar sind. Hierfür bekommen Mütter, die an oder nahe der Armutsgrenze leben, sechs Jahre lang Geldgeschenke, um bestimmte Stressfaktoren zu minimieren und zu untersuchen, ob und wie sich das auf die epigenetischen Profile der Kinder auswirkt. Denn das ist Raffingtons großes Forschungsziel: dass sich aus ihrer Arbeit auch sozialpolitische Maßnahmen ergeben und sie so zu einer besseren Entwicklung der Kinder beitragen kann.