Erderwärmung und Klimawandel Wenn das Meer CO2 ausstößt
Das Meer nimmt viel vom menschengemachten CO2 auf. Dadurch mildert es den Klimawandel ab. Der Prozess hat aber Grenzen: Das Mittelmeer setzt in manchen Gebieten bereits mehr CO2 frei als es aufnimmt.
Es ist ein Wechselspiel: Der Ozean schluckt unser CO2, und das nicht zu knapp. Gut ein Viertel des gesamten Ausstoßes sind es in diesem Jahr laut dem Forschungsbericht Global Carbon Budget 2022. Dadurch mildert das Meer auch den Klimawandel etwas ab.
Der Klimawandel selbst wiederum sorgt aber dafür, dass das Meer anteilig nicht mehr so viel CO2 aufnehmen kann wie früher. Jetzt schon sind es vier Prozent weniger. "Die CO2-Aufnahme der Ozeane nimmt nicht ab, aber sie wäre ohne den Klimawandel noch größer," sagt dazu Judith Hauck. Sie ist Biogeochemikerin am Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven und ist eine der Autorinnen des Global Carbon Budgets.
Meer könnte CO2 ausstoßen
Im Extremfall könne das Meer durch wärmere Temperaturen infolge des Klimawandels nicht nur kein weiteres CO2 aufnehmen - sondern sogar zu einer Quelle des Treibhausgases werden, erklärt der Meeresgeologe Or Bialik von der Universität Haifa in Israel und der Universität Münster. Er vergleicht den Prozess mit einer Flasche Limonade, die an einem heißen Sommertag auf dem Rücksitz des Autos vergessen wurde.
Öffnet man dann die Flasche, versucht das gesamte CO2, also die sogenannte Kohlensäure, zu entweichen. Das Gas schießt mitsamt der klebrigen Flüssigkeit nach draußen. "Das liegt daran, dass es weniger löslich ist, es wird aus dem Wasser herausgelöst und versucht, aus der Flasche zu kommen," sagt Bialik.
Mittelmeer gibt mehr CO2 frei als es aufnimmt
Genau dieser Prozess könnte im Sommer im Mittelmeer stattfinden. Bialik hat mit Kollegen Studien im östlichen Mittelmeer durchgeführt, einer Region, die gerade im vergangenen Sommer wegen ihrer sehr hohen Wassertemperaturen in den Schlagzeilen war. Über 30 Grad war das Wasser dort warm. Insgesamt gehört dieses Meeresgebiet zu den sich am schnellsten erwärmenden weltweit.
In einer kürzlich in der Zeitschrift "Scientific Reports" veröffentlichten Studie haben Bialik und seine Kollegen Erschreckendes festgestellt. Das östliche Mittelmeer hat über das ganze Jahr gesehen mehr CO2 freigesetzt als es aufnimmt. "Das ist nicht trivial und etwas, das wir nicht erwarten. Denn wir denken meistens, dass das Meer CO2 aufnimmt", sagt Bialik.
Rätselhafte Kalk-Kristalle im Wasser
Das liegt wohl zum Teil an den hohen Temperaturen, die hier gerade im Sommer herrschen. Das CO2 gast einfach aus, wie das Gas aus der heißen Limonadenflasche. Zum anderen Teil liegt es wahrscheinlich auch daran, dass es in dieser Meeresregion sehr wenig Nährstoffe gibt. Dadurch können Pflanzen wie Algen schlechter wachsen und das Kohlenstoffdioxid deshalb nicht speichern.
Es spielt aber vielleicht auch ein anderes, bisher unbekanntes chemisches Phänomen beim Ausgasen des CO2 eine Rolle. Denn die Forschenden fanden Kristalle aus Kalk im Wasser, die ihnen zunächst Rätsel aufgaben. Normalerweise wird diese Form von Kalk, das Aragonit, vor allem durch Tiere im Wasser gebildet, zum Beispiel durch Muscheln oder Korallen. Solche Tiere kommen in der Region aber gar nicht vor.
Bisher unbekanntes Phänomen
Bialik begann also, die Chemie des Wassers zu untersuchen. Daraus entwickelten die Forschenden eine Idee: Es könnte sich bei den Kristallen um ein Phänomen handeln, das in normalem Meerwasser bisher so noch nicht beschrieben wurde. Es könnte sich um Aragonitkristalle handeln, die sich direkt in der Wassersäule gebildet haben, also anorganisch, ohne das Zutun von Tieren und Pflanzen.
Es gibt zwar Meeresregionen, in denen Aragonit stark ausfällt. Zum Beispiel in den Bahamas, dem Persischen Golf oder dem Roten Meer. Dort formieren sich aber riesige, weißlich-trübe Wolken. Dass sich unbemerkt Kristalle bilden können, die dann an den Meeresboden sinken, war bisher unbekannt.
Gesättigte Meeresoberfläche
Dass das geschieht, könnte wiederum auch mit den immer höheren Temperaturen im östlichen Mittelmeer zu tun haben. Denn verdunstet das Wasser an der Oberfläche und wird warm, ist diese Wasserschicht mit Aragonit gesättigt. Es kann dann zum Beispiel an kleinen Staubpartikeln auskristallisieren. Ein wenig so, wie sich Zuckerkristalle an Holzstäbchen bilden, wenn man sie über längere Zeit in gesättigte Zuckerlösung taucht.
Durch die chemischen Prozesse, die bei der Bildung der Kristalle ablaufen, könnte nun noch mehr CO2 aus dem Meer ausgasen. Ungefähr 15 Prozent des ausströmenden CO2 im östlichen Mittelmeer könnten so auf das Konto der ausfallenden Kalkkristalle gehen, hat Bialik errechnet.
Lokal begrenzt oder weit verbreitet?
Ob diese Kristallbildung ein lokal begrenztes Phänomen im östlichen Mittelmeer ist oder auch in anderen Meeresbereichen stattfindet, ist noch unklar. Bialik sorgt sich besonders um sehr große Bereiche der Ozeane. "Noch beunruhigender ist es, wenn man darüber nachdenkt: Welche anderen Meeresgebiete sind nährstoffarm und erwärmen sich? Man erkennt dann, dass dies eine Beschreibung der großen Ozeanwirbel ist," sagt er. Diese riesigen Wirbel sind in allen Ozeanen zu finden.
Der Meereschemiker Andrew Dickson vom Scripps Institute of Oceanography, der nicht an Bialiks Forschung beteiligt war, ist sich da jedoch nicht sicher. Das östliche Mittelmeer sei ein ziemlich einzigartiges Gebiet, sagte er gegenüber dem amerikanischen Magazin Wired. "Die Frage ist also, inwieweit diese Umgebung wirklich etwas Besonderes ist, oder ob die Bedingungen in allen Ozeanen vorkommen. Und ich habe kein klares Bild davon im Kopf."
Ob solche Kristalle zum Beispiel tatsächlich auch in den großen Ozeanwirbeln auftreten, ist keineswegs sicher und wird derzeit noch erforscht. Was aber sicher ist, ist dass die Ozeane durch den Klimawandel zukünftig weniger CO2 speichern können.
Wie das Meer das CO2 speichert
Dass das Meer überhaupt so viel CO2 speichert, liegt insbesondere an drei Mechanismen. Der erste Prozess ist rein physikalisch und dadurch bedingt, dass schlicht mehr CO2 in der Luft über dem Wasser ist. Denn befindet sich mehr Gas in der Atmosphäre als im Wasser, strebt das System nach einem Ausgleich. Mehr CO2 löst sich. Dieser Effekt findet sich sowohl im Meer als auch in Süßwasser, wie Flüssen und Seen.
Den zweiten, biologischen Prozess kennt man auch vom Land. Denn wachsen Algen und Seegras im Meer, nehmen sie CO2 auf. Sinken sie in die Tiefe und in den Meeresboden, versinkt damit quasi auch ein Teil des Kohlenstoffdioxids. Den Effekt findet man so auch in Wäldern, die dadurch lange CO2 speichern.
Es gibt aber noch einen dritten, chemischen Prozess, der einzigartig im Meer ist und der entscheidend dafür sorgt, dass es so viel Kohlenstoffdioxid aufnimmt. Es gibt nämlich Besonderheiten in der Ozeanchemie. Bestimmte, im Meerwasser enthaltene Ionen, die Karbonat- und Bikarbonationen, reagieren mit dem CO2, das im Wasser gelöst wird. Dadurch liegt der Kohlenstoff in einer anderen Form vor und mehr CO2 kann vom Wasser aufgenommen werden.
Das hat allerdings Folgen. Denn diese chemischen Reaktionen im Meer sorgen dafür, dass der pH-Wert des Meeres immer weiter absinkt. Je mehr menschliches CO2 das Meer also aufnimmt, desto saurer wird es auch.
Klimawandel verlangsamt Prozesse
Das Meer sorgt also auf physikalischem, biologischem und chemischem Weg dafür, dass der Klimawandel abgeschwächt wird, weil weniger menschlich gemachtes CO2 in der Atmosphäre ist.
Durch den Klimawandel aber ändern sich nun Strömungen in der Atmosphäre und im Ozean. Das sorgt zum Beispiel dafür, dass in bestimmten Regionen Wasser mit viel Kohlenstoffdioxid nicht mehr so schnell in die Tiefe transportiert werden kann. Es bildet sich also nicht so schnell neues Oberflächenwasser, das wieder mehr Kohlenstoffdioxid aufnehmen könnte.
Und auch die höheren Temperaturen führen dazu, dass der Ozean nicht mehr ganz so viel CO2 aufnehmen kann. Denn rein physikalisch gesehen löst sich in warmem Wasser weniger Gas als in kaltem.