Trockenheit in Deutschland "Es ist immer noch dasselbe Dürreereignis"
In vielen Regionen Deutschlands herrscht Dürre. Welche Rolle die Trockenheit seit 2018 spielt, wie lange es dauert, bis Böden sich erholen und welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, erklärt Klimaforscher Marx im Interview.
tagesschau.de: Sind wir 2022 wieder auf dem Weg in ein Dürrejahr?
Andreas Marx: Wir sind 2022 noch immer in einem Dürrejahr. Wir haben Regionen in Brandenburg, Berlin, in großen Teilen Sachsen-Anhalts, im südlichen Niedersachsen, um Hannover herum, bis rein nach Nordrhein-Westfalen, aber auch zum Beispiel Gebiete in Franken, in denen sich seit Juni 2018 ein Wasserdefizit in größere Tiefen des Bodens ausgeprägt hat, das sich seitdem nie ganz aufgelöst hat.
tagesschau.de: Der Dürre-Monitor liefert Informationen über die Bodenfeuchte. Ab wann spricht man überhaupt von Dürre?
Marx: Die Dürre ist eine statistische Einordnung der aktuellen Situation. Was man dazu wissen muss: Die Bodenfeuchte hat einen Jahresgang. Es ist vollkommen normal, dass vor allem der Boden auf dem obersten halben Meter im Winter sehr nass wird - teilweise so nass, dass er kein zusätzliches Wasser mehr aufnehmen kann. In den Sommer hinein trocknet der Boden dann jedes Jahr von oben nach unten aus.
Die Dürre-Informationen rechnen den Jahresgang heraus. Man ordnet die aktuelle Situation im Juni 2022 in die vergangenen Juni-Situationen zurück bis ins Jahr 1951 ein. Erst wenn es so trocken ist, wie man es statistisch alle fünf Jahre erwarten würde, ist es eine Dürre. Die verschiedenen Dürreklassen sind dann zehn-, zwanzig-, und fünfzigjährliche Ereignisse.
Seit rund 250 Jahren keine vergleichbare Situation
tagesschau.de: Was wir jetzt sehen, ist im Wesentlichen die Folge der Trockenheit im Jahr 2018?
Marx: Es ist immer noch dasselbe Dürreereignis. 2018 war ein ausgeprägtes Hitzejahr. Wir hatten im April die erste Phase mit mehr als 30 Grad Tageshöchsttemperaturen. Das hat in Kombination mit zu wenig Niederschlag dazu geführt, dass die Böden sehr schnell ausgetrocknet sind - auch bis in große Tiefen. Und dass 2019 noch ein Jahr mehr hinterher gekommen ist, das wieder zu heiß und zu trocken war, hat das noch verschärft. Diese beiden Jahre haben zu einer Trockenheit geführt, die für uns so vollkommen neu ist. Man kann mit großer Wahrscheinlichkeit sagen, dass es im vergangenen Vierteljahrtausend keine vergleichbare Dürre-Situation in Mitteleuropa gegeben hat.
tagesschau.de: Wie lange dauert es, bis sich der Boden wieder erholt?
Marx: Die Naturräume in Deutschland sind sehr unterschiedlich. Der Jahresniederschlag variiert in einer Größenordnung zwischen 450 und 2200 Litern pro Quadratmeter. Dazu kommt, dass wir sehr unterschiedliche Böden haben. Was sich 2021 aber gezeigt hat, war, dass man ungefähr ein halbes Jahr überdurchschnittlichen Niederschlag ohne Hitze braucht, um Dürre bis in größere Tiefen aufzulösen. Im Westen Deutschlands hat das im Januar eingesetzt und bis in den Juni gedauert, bis man aus der Dürre raus war. Der Süden hat dann nachgezogen. In weiten Teilen in der Mitte und Richtung Nordosten ist es aber so, dass sich die Dürre nicht aufgelöst hat, weil es dort 2021 nicht genug geregnet hat.
tagesschau.de: Müssen sich manche Regionen dauerhaft auf Trockenheit einstellen?
Marx: Das ist nicht zu erwarten. Wir haben in Deutschland aber noch kein Verständnis dafür, dass Dürre ein Extremereignis ist - genau wie ein Hochwasserereignis. Nur da ist es leichter zu verstehen. Die Welle kommt, verursacht große Schäden und geht. Bei der Dürre dauert es sehr lange, bis sie sich richtig ausgeprägt hat. Sie kann über Jahre bleiben und braucht in etwa ein halbes Jahr, bis sie geht. Das heißt: Diese Dürre wird irgendwann vorbeigehen. Ich kann nur leider nicht sagen, ob das jetzt im nächsten Winter oder dann im über- oder überübernächsten Winter passiert.
Das heißt aber nicht, dass wir uns nicht zukünftig darauf einstellen müssen, dass solche Ereignisse wiederkommen. Wir müssen für die Zukunft Wege finden, die Dürren besser zu managen, als wir das in der Vergangenheit gemacht haben.
tagesschau.de: Was heißt das konkret?
Marx: Deutschland ist, anders als Länder im Mittelmeerraum, in der sehr guten Position, dass der Klimawandel nicht nur höhere Temperaturen und größere Hitzeprobleme mit sich bringt. Klimawandel in Deutschland heißt auch, dass auch der Winterniederschlag steigt. Unterm Strich wird sich die Wasserverfügbarkeit also nicht wesentlich ändern. Gleichzeitig haben wir aber das Problem mit der Hitze im Sommer. Im Sommer wird der Wasserbedarf höher, die Sommerniederschläge wiederum steigen nicht, so dass wir Wege finden müssen, dass Wasser, das wir im Winter zu viel haben, im Sommer einsetzen können.
Dazu gibt es schon viele Umsetzungsbeispiele. Das Offensichtlichste ist das Speichern von Wasser in Talsperren. In vielen Regionen wird schon jetzt das Grundwasser gemanagt. Es wird im Winterhalbjahr Wasser aus den Oberflächengewässern genommen und dem Grundwasser zugeführt und so künstlich die Grundwasserstände erhöht. Damit haben wir im Sommerhalbjahr mehr Wasser, das wir aus dem Boden pumpen können. Ein anderer Ansatzpunkt ist beim Wasserverbrauch anzusetzen.
tagesschau.de: Wie weit fortgeschritten sind diese Maßnahmen?
Marx: Es ist nicht so, als würden wir ganz am Anfang eines Prozesses stehen - sowohl politisch als auch privatwirtschaftlich. Krisen führen immer dazu, dass eine Anpassung stattfinden wird und 2018 haben wir diese Erfahrungen gemacht: Auswirkungen von Trockenheit mit Milliardenschäden in Landwirtschaft, in der Forstwirtschaft, an Ökosystemen. Das hat dazu geführt, dass ein Prozess in Gang gekommen ist. Es ist eine nationale Wasserstrategie entwickelt worden, die jetzt im Moment in der Ressortabstimmung ist.
Gleichzeitig laufen in allen Bundesländern Prozesse. In Thüringen gibt es eine Niedrigwasserstrategie, in Sachsen ein Wasserkonzept 2030. Die Prozesse heißen überall anders. Aber im Kern geht es darum: Wie wird künftig die langjährige Wasserverfügbarkeit sein? Und wie müssen wir uns darauf einstellen ein, dass die Wasserverteilung zukünftig funktioniert.
Das Interview führte Konstantin Kumpfmüller, tagesschau.de